Erinnerung zwischen 1945 und heute
Nie zuvor war das Interesse in der deutschen Öffentlichkeit so groß wie in diesem Gedenkjahr. Fast täglich berichten die Zeitungen über bestimmte Ereignisse, Zeitzeugen werden befragt und legen Erinnerungen vor – Bezirksheimatpfleger Peter Fassl schrieb diese Zeilen im Jahr 2005. Sie deuten an, welch eine lange Zeit 15 Jahre sind, wenn es um die Dimension der Erinnerung geht. Der Zweite Weltkrieg und insbesondere die Abgründe der Naziherrschaft: Auf regionaler und lokaler Ebene tat man sich mit diesem Thema über Jahrzehnte schwer. „Die NS-Zeit vor Ort war ein heißes Eisen, man ließ lieber die Finger davon“, schreibt Barbara Sallinger, die in den 80er- und 90er-Jahren wegweisende wissenschaftliche Arbeiten zur Krumbacher Ortsgeschichte vorgelegt hat, rückblickend [Peter Fassl (Hg.), Die NSZeit in Ortsgeschichten, Augsburg, 2014].
Bis 2005 waren es vor allem prägnante Einzelstudien, die sich intensiv mit der NS-Zeit vor Ort auseinandersetzten. Dann kam dieses Jahr 2005, in dem auch viele Zeitzeugen intensiv über ihre Erlebnisse berichteten. Dies geschah bisweilen mit einer schonungslosen Offenheit – auch gegenüber sich selbst – die rückblickend geradezu erstaunlich und in vielen Fällen schlichtweg beeindruckend war. Unser Blick auf Weltkrieg und NS-Zeit hat sich dadurch entschieden verändert, er ist offener, differenzierter geworden. Die Dimension von „Erinnerung“ist seit 2005 eine andere – und vor allem wesentlich kenntnisreichere – geworden.
Jetzt, 15 Jahre später und 75 Jahre nach Kriegsende – rücken die Ereignisse im Frühjahr 1945 erneut in das öffentliche Bewusstsein. Aber wie groß ist der Unterschied zum Gedenkjahr 2005. Die aktuelle Corona-Krise überschattet wie ein unheimlicher, dunkler Mantel auch dieses Gedenken. Viele der damals befragten „Zeitzeugen“leben seit Jahren nicht mehr. Die noch Lebenden werden jetzt Zeuge einer neuen Weltkrise und sie können all das, was jetzt passiert, oft nur schwer einordnen.
Doch wie wird die Generation, die jetzt die Geschehnisse des sogenannten öffentlichen Lebens bestimmt, die Allgegenwart der sogenannten Corona-Krise einmal einordnen? „Jetzt sind wir selbst die Quelle künftiger Geschichten. Sie handeln davon, wie Menschen sich in Zeiten geben, da der Tod seit Langem mal wieder gute Chancen auf Allgegenwärtigkeit hat“, schreibt Hilmar Klute in der Süddeutschen Zeitung.
Wie werden diese „Geschichten“einmal aussehen? Sind es Geschichten der Angst, gar der Hysterie oder vor allem der Solidarität, des Miteinanders, einer Gesellschaft, die aus all dem sogar gestärkt hervorgeht? Bei der Suche nach Antworten auf all diese Fragen sind wir erst am Anfang. Aber bekanntlich hat die Suche nach Antworten nach 1945 ja auch eine ganze Weile gedauert.