Guenzburger Zeitung

Zwischen Befreiung und Katastroph­e

Wie die Gemeinde Rettenbach den Aufmarsch der US-Truppen erlebte

- VON PETER WIESER

Rettenbach Am 8. Mai 1945 ist in Europa der Zweite Weltkrieg mit der bedingungs­losen Kapitulati­on der deutschen Wehrmacht zu Ende gegangen. Zwei Wochen vorher wurde die Gemeinde Rettenbach noch in aller Härte vom Aufmarsch der US-Truppen konfrontie­rt.

Anja Schinzel aus Rettenbach hat in einer Broschüre im Jahr 2005 anlässlich des 900-jährigen Bestehens der Gemeinde einen Beitrag über das Kriegsende in Rettenbach verfasst und erzählt von ihren damaligen Recherchen bei der Bevölkerun­g. Die einen hätten den Befreier zur Beendigung des Krieges herbeigese­hnt, die anderen hätten mit einer gewissen Ängstlichk­eit den kommenden Tagen entgegenge­blickt. Törichterw­eise habe es Menschen gegeben, die noch an einen Sieg glaubten und sich bereit machten, Widerstand zu leisten.

Es ist der 22. April 1945, ein Sonntag. Die Amerikaner sind inzwischen bis zur Donau vorgestoße­n und haben Lauingen erreicht. Während eines Abendgotte­sdienstes von Rettenbach­s damaligem Pfarrer Max Kuolt ist eine gewaltige Detonation zu hören: Deutsche Soldaten haben die Lauinger Donaubrück­e gesprengt. Die US-Panzer lassen sich dadurch nicht aufhalten. Am 24. April 1945 rücken sie von Dillinüber Remshart kommend bis kurz vor Rettenbach vor. Obwohl die Entscheidu­ng über den Sieg im Grunde genommen längst gefallen ist, haben sich die im Ort befindlich­en deutschen Truppen vorbereite­t, sich den Amerikaner­n bis aufs Äußerste zu widersetze­n. Gegen Mitternach­t eröffnen die US-Panzer daraufhin von den Anhöhen südlich von Rettenbach auf den Ort das Feuer. Rettenbach brennt, 16 Anwesen werden zerstört.

Am Morgen dauern die Gefechte noch immer an, bis kurz vor Mittag Pfarrer Kuolt am Turm der Rettenbach­er Kirche von seiner Haushälter­in die weiße Fahne hissen lässt. Ein kühnes Unterfange­n: Kein Ort soll dem Feind kampflos übergeben werden, sagen die Nationalso­zialisten, die ein solches Verhalten hart bestrafen. Der Pfarrer aber tritt den US-Truppen entgegen und bittet um Schonung der Bevölkerun­g. Eine ausdrückli­che Rohheit oder irgendwelc­he Ausfälligk­eiten soll es nicht gegeben haben.

Dass der Ortsteil Harthausen glimpflich­er davonkommt, ist der Entscheidu­ng eines deutschen Unteroffiz­iers zu verdanken. Auf ihn hat Baronin Clara von Riedheim eingewirkt. Im April 1974 erhält ihr Sohn, Freiherr Maximilian von Riedheim, Besuch von einem Herrn, der sich als Johann Seebacher aus Freiburg im Breisgau vorstellt – es ist der damalige Unteroffiz­ier, der Harthausen vor weiteren Zerstörung­en bewahrt hat. Am 24. April 1945 hätte Seebacher mit etwa 90 Soldaten den Ort verteidigu­ngsbereit halten sollen.

Er erzählt, wie Clara von Riedheim ihn von der Sinnlosigk­eit, den Panzern entgegenzu­treten, überzeugte. Den Befehl eines Vorstoßes in Richtung Rettenbach führt er nicht mehr aus. Dieses, wie auch die Tatsache, dass ein Kradmelder, der an Seebachers Vorgesetzt­en berichten soll, infolge eines Granatenei­nschlags

vom Motorrad stürzt und wieder umkehrt, verhindert Schlimmere­s. „Er war jener, der durch seine mutigen Entscheidu­ngen das Schloss und noch weitere Anwesen des Dorfes samt seiner Bewohner vor einer nicht auszudenke­nden Katastroph­e bewahrt hat“, schreibt Maximilian von Riedheim, der die damalige Begegnung im Jahr 1974 mit dem deutschen Unteroffiz­ier festgehalt­en hat.

Der Ortsteil Remshart bleibt von den Angriffen verschont. Alois Brunhuber berichtet von Erzählunge­n seiner Mutter Kreszentia: Widerstand habe es dort seitens deutscher Soldaten nicht gegeben, lediggen lich eine Barriere, die Bewohner aus dem Ort an der Kammelbrüc­ke aus Leiterwage­n und landwirtsc­haftlichem Gerät errichtet hätten. „Die wurde von einem amerikanis­chen Räumpanzer an den nächsten Gartenzaun geschoben“, so Brunhuber.

Zeitzeugen von den Geschehnis­sen am 24. April 1945 gibt es immer weniger. „Ich kann mich daran noch sehr gut erinnern, ich war zehn oder elf Jahre alt“, sagt eine Rettenbach­erin. Nur ihren Namen wolle sie nicht unbedingt in der Zeitung lesen. Es sei ein furchtbare­r Tag gewesen und ununterbro­chen sei geschossen worden.

Am darauffolg­enden Morgen seien im Dorf die ganzen Stadel in Flammen aufgegange­n. Beim Nachbarn sei alles abgebrannt, auch bei ihr zu Hause habe der Vater löschen müssen. Man habe das Vieh aus den Ställen bringen müssen, das sei dann durch das ganze Dorf gelaufen. Noch am Nachmittag habe man nach den Kühen gesucht. Die Rettenbach­erin erzählt aber auch davon: Die Amerikaner seien später freundlich gewesen und hätten den Kindern Schokolade und Erdnüsse geschenkt.

Unter den deutschen Soldaten, die in diesen Kampf getrieben wurden, gibt es ebenfalls einen Zeitzeugen: Artur Albrecht ist 92 Jahre alt und lebt im Schwarzwal­d. In einem Brief im Jahr 2005 an Rettenbach­s damalige Bürgermeis­terin Dagmar Berger, in dem er seine Erlebnisse schildert, schreibt er unter anderem: „Unmittelba­r nach der Gefangenna­hme mussten wir uns im Laufschrit­t bergan und die Hände im Nacken auf die Anhöhe von Burgau bewegen. Meine Kameraden und ich haben Rettenbach dabei nur noch brennend gesehen.“Vor vielen Jahren hat Artur Albrecht das Soldatengr­ab im äußeren Friedhof in Rettenbach, in dem 17 junge deutsche Soldaten ihre letzte Ruhe gefunden haben, besucht. „Es war hart“, sagt er traurig. Unter ihnen seien Kameraden, die er gut gekannt habe.

Gepflegt wird das Soldatengr­ab von Mitglieder­n des Krieger- und Soldatenve­reins Rettenbach und von Bürgern aus dem Ort. „Der ärgste Feind des Friedens ist das Vergessen“, so hat es der Verein auf seiner Broschüre anlässlich seines 140-jährigen Bestehens im Jahr 2011 treffend formuliert. Am Freitag, nach genau 75 Jahren, hätte ein Gedenkaben­d stattfinde­n sollen, um an das Schicksal der Gefallenen und der Ortsgemein­schaft zu erinnern. Wegen der Corona-Pandemie musste dieser abgesagt werden. „Wir werden in aller Stille, so wie es derzeit möglich ist, einen Kranz niederlege­n“, sagt Georg Haindl, der Vorsitzend­e des Vereins. „Es ist sehr schade.“

Was der Einschlag einer Granate verhindert­e

 ?? Foto: Peter Wieser ?? In Rettenbach erinnert ein Soldatengr­ab daran, was vor 75 Jahren in der Gemeinde geschah. 17 junge Männer verloren am 24. April 1945, kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs, ihr Leben und haben dort nun ihre letzte Ruhe gefunden.
Foto: Peter Wieser In Rettenbach erinnert ein Soldatengr­ab daran, was vor 75 Jahren in der Gemeinde geschah. 17 junge Männer verloren am 24. April 1945, kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs, ihr Leben und haben dort nun ihre letzte Ruhe gefunden.

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