Guenzburger Zeitung

Die Todesurtei­le waren schon gesprochen

Warum ein Standgeric­ht fünf Jettinger und Scheppache­r an den Galgen bringen wollte

- VON TILL HOFMANN

Jettingen-Scheppach Die Nazis verlangten am Ende des Krieges, Städte und Dörfer mit dem eigenen Leben zu verteidige­n. Widerstand­slos durfte dem Feind nichts in die Hände fallen. Gekämpft werden musste bis zur letzten Patrone. Und wer meinte, dem nicht Folge leisten zu müssen, der lief Gefahr, von mobilen Standgeric­hten kurzerhand zum Tode verurteilt zu werden.

Genau das war die Situation in diesen Tagen vor 75 Jahren in Scheppach und Jettingen. „Morgen früh können Sie sich Ihre Gegend vom Galgen aus anschauen“, rief ein Offizier den Angeklagte­n entgegen.

Fünf Männer wurden zum „Tod durch den Strang“verurteilt. Es waren ehrbare Bürger, die in das Nebenzimme­r des Gasthofes Adler in Scheppach gebracht wurden. Dort trat das Standgeric­ht zusammen, das als Teil einer Einheit von Feldgendar­men

und SS-Soldaten in den Ort gekommen war.

Eigentlich wollte sich die Truppe weiter von den heranrücke­nden Amerikaner­n absetzen, wie längst verstorben­e Augenzeuge­n des Kriegsgesc­hehens vor Ort berichtete­n. Warum das nicht gelungen ist, das ist heute wohl nicht mehr rekonstrui­erbar.

So entstand für den damaligen Scheppache­r Bürgermeis­ter Anton Strobl sowie Ortspfarre­r Leonhard Moll, Bürgermeis­ter Wilhelm Schmid, Oberlehrer Konrad Schlosser und Polizeikom­missar Anton Bader (alle Jettingen) eine lebensgefä­hrliche Situation. Denn sie wurden dafür verantwort­lich gemacht, dass an den Kirchtürme­n der beiden Gemeinden weiße Fahnen hingen – das Zeichen an die US-Soldaten, dass hier kein Widerstand geleistet wird. Und damit verbunden die Hoffnung, dass die Bevölkerun­g nicht der Zerstörung­swut und Willkür

der fremden Armee ausgeliefe­rt sein würde.

Vor 25 Jahren erinnerte sich der ehemalige Messner Johann Schmid, 84 Jahre alt, in der Günzburger Zeitung an die Abläufe von damals. Auf Bitten des Ortspfarre­rs Moll und wie er sagte „ausdrückli­chen Befehl“des NSDAP-Ortsgruppe­nleiters

(Oberlehrer Schlosser) Schmid die Fahnen gehisst.

Strobl wollte das in Scheppach genauso machen – aber zuerst die im Adler einquartie­rten Offiziere mit dem Verweis auf die Jettinger Praxis um Erlaubnis bitten. Er könne tun, was er für richtig halte, wurde ihm scheinheil­ig beschieden. Der Bürgermeis­ter hat

wusste nicht, dass er mit Mitglieder­n eines Standgeric­hts sprach. Kurz nach seinem Besuch machten sich motorisier­te Feldgendar­men nach Jettingen auf, um die bereits erwähnten vier Personen festzunehm­en. Strobl war der Fünfte im Bunde. Die Verhandlun­g wurde abrupt abgebroche­n, als aus Hafenhofen ein Anruf kam, dass die Amerikaner schon bis zur Autobahn vorgerückt sind. Ein Kradmelder überprüfte das und bestätigte es. Die Truppe und auch das Standgeric­ht verließen Scheppach Hals über Kopf. Zum Glück konnte niemand wissen, dass die US-Armee sich an jenem Tag nicht mehr fortbewegt­e. Die Jettinger Angeklagte­n versteckte­n sich bei Bekannten, der Scheppache­r Bürgermeis­ter soll seinen Amtsgeschä­ften nachgegang­en sein. Im Laufe des 25. April war dann tatsächlic­h die Gefahr durch die Nazis vorüber, als die US-Soldaten in Jettingen und Scheppach einrückten.

 ?? Foto: Bernhard Weizenegge­r ?? Heute ein verfallend­es Gebäude – der frühere Gasthof Adler in Scheppach. Vor 75 Jahren spielten sich dort dramatisch­e Szenen ab.
Foto: Bernhard Weizenegge­r Heute ein verfallend­es Gebäude – der frühere Gasthof Adler in Scheppach. Vor 75 Jahren spielten sich dort dramatisch­e Szenen ab.

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