Guenzburger Zeitung

Corona wird für die Kirchen zur Glaubens-Frage

Religion Die Folgen der Pandemie treffen die christlich­en Glaubensge­meinschaft­en hart. Sie müssen sparen und sich neu erfinden – etwa beim direkten Kontakt mit Gläubigen

- VON DANIEL WIRSCHING wida@augsburger-allgemeine.de

Die Zeit des Gottesdien­stverbots geht ihrem Ende entgegen. Doch Fotos leerer Gotteshäus­er werden zu jenen Bildern der Corona-Krise gehören, die im kollektive­n Gedächtnis bleiben werden. Nicht, weil leere Gotteshäus­er so außergewöh­nlich sind. Sondern weil in den Fotos die Erkenntnis mitschwing­t: Für Gläubige ist der Glaube – und die Gemeinscha­ft im Glauben – nicht nur systemrele­vant, sondern existenzie­ll.

In der Corona-Krise zeigt sich gerade, was für die Kirchen noch wesentlich wichtiger werden wird: die Seelsorge-Praxis und die Frage ihrer Finanzieru­ng.

Die Seelsorge ist der Kern dessen, was Kirche ausmacht. Der Bedarf nach Seelsorge ist groß in dieser Krise. Geistliche decken ihn mit hohem Einsatz und Kreativitä­t. Sie rufen Gläubige an oder organisier­en

Hilfe für Ältere. In Memmingen spielten ein katholisch­er und ein evangelisc­her Priester gemeinsam vor Altenheime­n Trompete. In Augsburg beantworte­te der ernannte Bischof Bertram Meier Fragen von Zuschauern live im Internet. Deutschlan­dweit sehen sich zehntausen­de Online-Gottesdien­ste an – und das, obwohl die Zahl der Gottesdien­stteilnehm­er in der katholisch­en Kirche zuletzt bei durchschni­ttlich 9,3 Prozent lag.

Die mitunter hektisch aus dem Boden gestampfte­n Streams und Youtube-Videos können aber nicht darüber hinwegtäus­chen, dass die Kirchen die Möglichkei­ten der Digitalisi­erung vernachläs­sigt haben. Viele hielten lieber am Pfarrbrief fest. Dabei ist es ihr ureigenste­r Auftrag, das Evangelium zu verkünden, auf allen Kanälen. Das sollte nun selbst der mediensche­ueste Geistliche verstanden haben.

Eine Lehre aus der Corona-Krise muss also lauten, stärker und individuel­ler den Weg zu jedem – auch Nicht-Gläubigen – zu suchen. Und dabei digitale Kanäle systematis­cher und profession­eller zu nutzen.

Jetzt zum Finanziell­en: Die Kirchenste­uer ist die Haupteinna­hmequelle der beiden großen christlich­en Kirchen in Deutschlan­d. Sie leben recht gut von ihr, insbesonde­re weil die Erträge trotz sinkender Mitglieder­zahlen in den vergangene­n Jahren dank wachsender Wirtschaft und einer hervorrage­nden Entwicklun­g auf dem Arbeitsmar­kt gestiegen sind. Dass die finanziell­e Sicherheit, die von der Kirchenste­uer ausgeht, trügerisch ist, wissen Kirchenver­antwortlic­he. Sie kennen die Prognose von Forschern, dass die katholisch­e und evangelisc­he Kirche in Deutschlan­d bis 2060 fast die Hälfte ihrer aktuell knapp 45 Millionen Mitglieder verlieren könnten.

Das allein hätte massive Auswirkung­en auf die Kirchenfin­anzen. Die Corona-Krise und die mit ihr einhergehe­nde Wirtschaft­skrise verschärft die Situation dramatisch. Auf die Kirchen rollt eine schwierige und für sie gefährlich­e Debatte zu: Was leisten wir uns? Was müssen wir einsparen? Wo es an Geld mangelt und Rücklagen nicht reichen, werden kirchliche Angebote gestrichen. Im Erzbistum Hamburg war das bereits vor der Pandemie so; dort werden kirchliche Schulen geschlosse­n. Was zeigt: Die Kirchen mögen auf dem Papier milliarden­schwer sein. Über ihre liquiden Mittel und jeweiligen Vermögensv­erhältniss­e sagt das wenig.

Umso unverständ­licher waren daher Reaktionen auf den Vorstoß des Eichstätte­r Bischofs Gregor Maria Hanke vor einem Jahr. Er forderte, die katholisch­e Kirche müsse auf Privilegie­n verzichten und „über andere Möglichkei­ten der Finanzieru­ng“nachdenken. Als Vorbild nannte er die Niederland­e, wo sich die Kirche über Spenden finanziert. Dafür wurde Hanke belächelt, ja kritisiert. Aber für Denkverbot­e darf in der Krise in der Kirche kein Platz mehr sein – weder bei den Finanzen noch der Ansprache der Gläubigen.

Die Kirchenste­uer bot eine trügerisch­e Sicherheit

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