Guenzburger Zeitung

„Corona verläuft bei Kleinkinde­rn anders“

Sind Kinder Coronaviru­s-Schleudern? Oder sind sie immun? Bei der Frage, wie es mit Schulen und Kitas weitergeht, soll eine Ulmer Studie eine wichtige Rolle spielen. Professor Klaus-Michael Debatin erklärt, wie die Erkenntnis­se helfen

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Herr Professor Debatin, seit Montag läuft an den Universitä­tskliniken in Heidelberg, Freiburg, Tübingen und bei Ihnen in Ulm eine Studie zu Kindern und dem Coronaviru­s. Das Ergebnis soll dem Land Baden-Württember­g bei der Entscheidu­ng helfen, wie es angesichts der Corona-Pandemie mit Schulen und Kitas weitergehe­n soll. Wie können Ihre Erkenntnis­se helfen? Klaus-Michael Debatin: Es ist das übergeordn­ete Thema, das gerade überall hochpoppt: Wie geht es mit der Kinderbetr­euung weiter? Ein Grund, die Kindergärt­en zu schließen und geschlosse­n zu halten, war ja die Annahme, dass Kinder, vereinfach­t gesagt, die Virusschle­udern sind. Bei anderen Virusinfek­tionen ist das auch so. Nun stellt sich heraus, dass die Corona-Infektion bei Kindern vor allem in der Altersgrup­pe unter zehn Jahren anders verläuft. Diese Kinder sind viel weniger krank, sie stecken das mit einem leichten Husten weg. Es gibt kaum Kinder, die in der Klinik behandelt werden müssen oder gar intensivpf­lichtig sind. Und es gibt eine isländisch­e Studie, die gezeigt hat, dass man bei Kindern in diesem Alter kein Virus nachweisen kann, auch wenn ein Elternteil infiziert ist.

Eine Studie aus China kommt dagegen zu einem anderen Ergebnis.

Debatin: Wir sammeln ständig neue Erkenntnis­se. Es gibt aus China Zahlen, die darauf hinweisen, dass die Kinder nicht weniger infektiös sind als Erwachsene. Das ist aber keine systematis­che Studie darüber, wie oft Kinder infiziert sind, wenn ihre Eltern infiziert sind. Das Übertragun­gsthema ist da nicht adressiert worden. Was bleibt, und das gilt querbeet: Kinder sind von dieser Erkrankung sehr viel milder betroffen als Erwachsene.

Es ist also unklar, welche Rolle Kinder bei der Übertragun­g des Coronaviru­s spielen. Wie zuversicht­lich sind Sie, dass Ihre Studie die richtige Antwort findet?

Debatin: Ich bin mir sicher, dass wir mit der Studie ein Ergebnis bekommen. Ob es so aussieht, wie es sich viele wünschen, das weiß ich nicht. Wissenscha­ft ist ergebnisof­fen.

Welche Ergebnisse sind denkbar? Debatin: Es könnte sein, dass Kinder immun sind, doch dafür haben wir keinen Anhaltspun­kt. Dass Kinder milder betroffen sind, könnte darauf hinweisen, dass sie das Virus schneller eliminiere­n. Das ist meine persönlich­e Hypothese. Man könnte das damit erklären, dass das Immunsyste­m bei Kindern in diesem Alter in einem dauernden Trainingsz­ustand ist. Jeder, der ein Kind im Kindergart­en oder in der Grundschul­e hat, weiß: Alle paar Wochen kommt es mit Fieber oder einer Erkältung nach Hause. Dieses Immunsyste­m könnte ein Grund dafür sein, dass Kinder das Coronaviru­s sehr viel schneller eliminiere­n oder keine nennenswer­te Virusrepli­kation zulassen. Wenn das so ist, dann ist natürlich die Frage neu zu stellen, wie infektiös Kinder sind.

Sie untersuche­n Wieso?

Debatin: Die Pärchen ermögliche­n viele Kombinatio­nen: Vater infiziert, Kind nicht infiziert. Das heißt, dass keine Virusübert­ragung stattgefun­den hat. Vater infiziert, Kind infiziert. Das heißt, das Kind hat eine starke Virusübert­ragung bekommen. Es gibt im Moment keine

Eltern-Kind-Pärchen.

Daten, die zeigen, dass Kinder ihre Eltern oder Großeltern anstecken. Es ist eher umgekehrt. Aber das ist noch nicht abgesicher­t. Bei unserer Studie machen wir im Unterschie­d zu Island und China im Übrigen nicht nur den aktuellen Virusnachw­eis mit Abstrichen, sondern auch Antikörper­untersuchu­ngen im Blut.

Antikörper­tests sind bei der HeinsbergS­tudie der Uni Bonn eingesetzt worden und stark in die Kritik geraten. Debatin: Diese Untersuchu­ngen sind noch sehr in der Entwicklun­g. Da ist auch viel in der Diskussion, wie präzise das ist. Unser zentrales Labor in Heidelberg setzt mehrere Tests ein. Davon erhoffen wir uns gute, valide Aussagen, ob jemand die Infektion schon gehabt hat.

Finden Sie genügend Teilnehmer? Debatin: Das Interesse ist riesig. Ich war am Sonntag vier oder fünf Stunden in der Klinik, um in meinem Büro zu arbeiten. Das Telefon klingelte ununterbro­chen. Wir werden überhaupt keine Mühe haben, die 500 Eltern-Kind-Pärchen zu erreichen, die wir für Ulm angepeilt haben. Insgesamt sollen es 2000 Pärchen sein. Ich hatte da ehrlich gesagt Zweifel. Immerhin wird den Kindern Blut abgenommen.

Wie erklären Sie sich das Interesse? Debatin: Die Fragen sind mannigfalt­ig: Wie ansteckend sind die Kinder, wie ansteckend sind die Enkel, wie sieht es in Familien aus? Manche wollen auch einfach wissen: Bin ich infiziert, ist mein Kind infiziert? Und dann ist da eben noch die Frage der Kinderbetr­euung.

Sie suchen explizit Kinder, die eine Notbetreuu­ng bekommen. Wieso?

Debatin: Wir haben Kinder, die seit Wochen nur den Kontakt in der Familie haben – im Idealfall zumindest. Daneben haben wir aber auch Kinder, die Notbetreuu­ng bekommen und sehr viel mehr Kontakt zu anderen Kindern haben. Uns interessie­rt: Gibt es einen Unterschie­d?

Melden sich viele Eltern, deren Kinder eine Notbetreuu­ng bekommen? Debatin: Wir werden das im Lauf der Woche auswerten und dann gegebenenf­alls gezielt an die Kindergärt­en und Schulen herantrete­n.

Man geht davon aus, dass nur ein bis zwei Prozent der deutschen Bevölkerun­g infiziert sind. Rechnerisc­h wären das nur ein paar Handvoll der 2000 Teilnehmer-Pärchen. Genügt das? Debatin: Das wird man sehen. Ich persönlich glaube, dass wir die Zahl der Teilnehmer erhöhen sollten. Einen Überblick, wie gut die Studie läuft, werden wir etwa nächste Woche haben.

Spüren Sie Druck aus der Politik? Debatin: Es gibt den Druck aus der Bevölkerun­g: Jetzt macht endlich mal was! Die Einschränk­ungen haben ja Auswirkung­en. Da geht Bildung verloren. Und die Wirtschaft kommt nur in Gang, wenn man für die Kinderbetr­euung eine Lösung hat. Insofern steht die Politik unter Druck und gibt ihn weiter. Der baden-württember­gische Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n hat gesagt: Wenn es geht, dann möchte ich eine rationale Grundlage für die Entscheidu­ng haben. Im Extremfall, aber das wird nicht herauskomm­en, könnte das Ergebnis dieser Studie lauten: Kinder sind immun. Dann ist das Thema Kindergart­en als Infektions­beschleuni­ger erst mal vom Tisch und dann muss man anders überlegen.

Die Studie läuft nur in Baden-Württember­g. Ist das sinnvoll?

Debatin: So ist das föderale System, das Land Baden-Württember­g hat diese Studie in Auftrag gegeben. Am Montag habe ich gehört, dass Bayern sich ebenfalls dafür interessie­rt und sich gegebenenf­alls beteiligen oder eine eigene Studie machen will. Die Bayern machen im Zweifelsfa­ll ja immer etwas Eigenes.

Interview: Sebastian Mayr

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Foto: Christian Charisius, dpa Verbreiten Kinder das Coronaviru­s stark – oder sind sie immun? Eine Ulmer Studie sucht Antworten.
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Klaus-Michael Debatin, 67, ist Ärztlicher Direktor der Universitä­tsklinik für Kinder- und Jugendmedi­zin Ulm.

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