Guenzburger Zeitung

Hier wird ein besseres Hollywood erfunden

Auf Netflix startet am 1. Mai eine neue Serie, die die Doppelmora­l der US-Filmindust­rie witzig kritisiert

- VON MARTIN SCHWICKERT

In der siebenteil­igen Netflix-Serie „Hollywood“werfen Ryan Murphy und Ian Brennan einen etwas anderen Blick auf die Goldene Ära der amerikanis­chen Filmindust­rie. Denn die 1940er und 50er Jahre waren nicht nur von ungeheurer Produktivi­tät und Kreativitä­t gekennzeic­hnet, sondern auch von den Zensurvorg­aben des „HayesCode“, mit dem die Sittenwäch­ter gegen vermeintli­ch unmoralisc­he Werke vorgingen. Es war die Zeit der großen Doppelmora­l. Denn natürlich lebte die kreative Gemeinde in Hollywood keineswegs nach den sittlichen Vorstellun­gen, die sie in ihren Filmen verteidigt­e.

Während Rock Hudson als züchtiger, romantisch­er Held an der Seite von Doris Day und Gina Lollobrigi­da

Karriere machte, war es in Hollywood ein offenes Geheimnis, dass er im echten Leben Männer liebte. Aber nicht nur homophobe Ressentime­nts, sondern auch rassistisc­he Stereotype­n wurden seinerzeit in Hollywood perpetuier­t. Als erste Afroamerik­anerin gewann Hattie McDaniel 1940 für ihre Nebenrolle als Haussklavi­n in „Vom Winde verweht“einen Oscar, wurde bei der Verleihung an einen Tisch weit weg von den weißen Nominierte­n platziert und kam ihr Leben lang nicht über die Rolle des Dienstmädc­hens hinaus.

Von all dem erzählt „Hollywood“im Modus einer gut gelaunten Unterhaltu­ngsserie. Denn Murphy und Brennan stimmen kein politischk­orrektes Klagelied gegen die Diskrimini­erungen vergangene­r Zeiten an, sondern holen keck zu einem Alternativ­entwurf

der historisch­en Wirklichke­it aus. „Hollywood“geht der Frage nach, was wäre, wenn man damals mehr Mut bewiesen, eine Frau ein Studio geleitet, eine Afroamerik­anerin die Hauptrolle bekommen hätte und Rock Hudson Hand in Hand mit seinem

Lebensgefä­hrten über den roten Teppich gegangen wäre.

Im Zentrum steht eine Gruppe junger Menschen, die mit einem Koffer voller Träume nach Los Angelas kommen und im Filmgeschä­ft Karriere machen wollen. Der ehemalige GI Jack (David Corenswet) steht jeden Tag erfolglos vor den Studiotore­n für einen Statistenj­ob an. Erst als er an einer Tankstelle arbeitet, wendet sich sein Blatt. Denn Besitzer Ernie (Dylan McDermot) kümmert sich nicht nur um die Treibstoff­versorgung, sondern vermietet seine schmucken Tankwarte auch als sexuelle Dienstleis­ter.

Schwerreic­he Produzente­n-Gattinnen fahren auf der Suche nach einem Abenteuer vor, auch schwule Hollywood-Größen wie der schüchtern­e Rock Hudson (Jake Picking), um den sich Kollege Archie (Jeremy

Pope) kümmert. Der wartet auf seinen Durchbruch als Drehbuchau­tor, aber der Studiochef will nicht den Namen eines Afroamerik­aners auf dem Filmplakat. Die Dinge ändern sich, als der Boss nach einem Herzinfark­t im Koma liegt und dessen Ehefrau Avis (Patti LuPone) die Geschäfte übernimmt. „Hollywood“entwickelt über sieben Folgen die turbulente Energie einer klassische­n Screwball Comedy und versteht sich als kritische Liebeserkl­ärung an Hollywood. Murphy und Brennan mischen beherzt erfundene und reale Charaktere. Das fiktive Konzept ermöglicht es, dass sich die Figuren von den Ressentime­nts befreien. Dabei befindet sich die Serie nicht nur durch ihre verschwend­erische Ausstattun­g, sondern auch durch ihren Mut im Einklang mit jener goldenen Ära des Kinos.

 ?? Foto: Netflix ?? David Corenswet spielt in „Hollywood“den GI Jack.
Foto: Netflix David Corenswet spielt in „Hollywood“den GI Jack.

Newspapers in German

Newspapers from Germany