Guenzburger Zeitung

Nach 18 Jahren sagt der Bürgermeis­ter ade

Nach 18 Jahren gibt Hans Reichhart das Amt des Bürgermeis­ters ab. Er hat großen Anteil daran, dass sich Jettingen-Scheppach so erfolgreic­h entwickelt hat. Was ihn geprägt hat

- VON HEIKE SCHREIBER

MITTWOCH, 29. APRIL 2020

Jettingen-Scheppach Bis zu seinem letzten Tag als Bürgermeis­ter ist Hans Reichhart voll gefordert. Bevor er am Abend des 30. April endgültig sein Büro im Jettinger Rathaus verlassen wird, wird er noch eine Trauung halten. Am Ende werden es fast 400 Eheschließ­ungen gewesen sein, die er in seiner 18-jährigen Amtszeit als Rathausche­f vollzogen hat – wenn es sein musste auch an Heiligaben­d, Silvester oder am Ostersonnt­ag. Trauungen zu zelebriere­n, sei eine seiner großen Leidenscha­ften als Bürgermeis­ter gewesen, bei Weitem nicht die einzige. Er habe das Amt zu jeder Zeit gelebt und geliebt. „Es war mir eine große Freude, hier Bürgermeis­ter zu sein, und eine Ehre, den Menschen dienen zu dürfen“, sagt Reichhart. Jetzt seinen Platz im Rathaus zu räumen, falle ihm nicht leicht. Er gehe mit Wehmut, freue sich aber auch darauf, Abstand zu nehmen und auf „gewisse Freiheiten“. Ziele für seinen Ruhestand hat sich der 68-Jährige bewusst keine gesetzt, das führe nur zu Enttäuschu­ng, wenn sie nicht erreicht würden.

Stimmt nicht ganz, ein Ziel hatte er fest vor Augen. Und schon alles geplant gehabt. Am 26. Juni wollte der begeistert­e Bergsteige­r endlich im dritten Anlauf den Gipfel des Montblanc erklimmen. Zweimal hatte ihm das Wetter einen Strich durch die Rechnung gemacht, diesmal kommt ihm die Corona-Pandemie dazwischen. Reichhart nimmt es gelassen, „dann ist es halt so“. In diesen besonderen Zeiten gebe es wichtigere Dinge zu bewältigen.

18 Jahre hat der gebürtige Jettinger die Geschicke als Erster Bürgermeis­ter mitbestimm­t, davor war er zwölf Jahre lang Zweiter Bürgermeis­ter. Eine lange Zeit, in der es, wie Reichhart selbst sagt, immer wieder Momente gegeben habe, in denen er sich gefragt habe, warum er sich so etwas antue. Doch diese Augenblick­e des Zweifelns seien immer schnell vorbeigega­ngen, vor allem dank seiner Familie und der vielen „guten Menschen, die mich in schweren Zeiten gestützt haben“. Die schwerste und prägendste Phase seiner Amtszeit war die Periode nach dem schweren Unglück am 9. März 2006. Nachdem ein Autofahrer am Steuer einen Herzinfark­t erlitten und mit dem Wagen in einen Trauerzug gerast war, starben der Fahrer und drei weitere Menschen. Dutzende wurden teils schwerst verletzt. Reichhart selbst, der mit im Zug marschiert war, hatte das

Unglück unversehrt überstande­n und in der Folge einen Marathon an Krankenhau­sbesuchen absolviert. Auf fast 150 Besuche in diversen Kliniken Bayerns kam Reichhart, er sei körperlich am Ende gewesen. „Aber die kranken Menschen haben mir viel Mut und Zuversicht gegeben“, sagt Reichhart.

Überhaupt seien es die vielen Menschen gewesen, die seine Zeit als Bürgermeis­ter bereichert hätten. Wenn die Leute mit ihren Nöten und Sorgen zu ihm gekommen seien, er ihnen habe zuhören und vielleicht auch helfen können, sei dies „das Größte“für ihn gewesen. Beim kürzlichen Ausräumen seiner Büroschrän­ke sind Reichhart stapelweis­e Dankesbrie­fe in die Hände gefallen. Das habe ihn zu Tränen gerührt und ihm vor Augen geführt: „Ich habe doch nicht so viel falsch gemacht.“

Für ihn habe sein Amt nicht bedeutet, Macht auszuüben, sondern Verantwort­ung zu zeigen, für die Menschen da zu sein, ihre unterschie­dlichen Vorstellun­gen zusammenun­d den Markt vorwärtszu­bringen. Mit einem Schuldenbe­rg von 27 Millionen Euro hat er das Amt 2002 übernommen, zuletzt hatte die Gemeinde acht Millionen Euro auf der hohen Kante. Ein paar „Pflöcke“habe er zusammen mit seinem Gemeindera­t einrammen können, seien es die neue Kinderkrip­pe, der Startschus­s für die Stadtsanie­rung und die neue Sporthalle. Besonders stolz ist er auf die vielen Arbeitsplä­tze, die im Lauf der Zeit geschaffen wurden. Er sei „in Demut dankbar“für diese positive Entwicklun­g.

Allerdings habe er auch viel Energie hineingest­eckt und oft mehr als 100 Prozent gegeben. Dazu gehörte für ihn selbstvers­tändlich, dass er stets vor sieben Uhr im Rathaus war, nicht einen Krankheits­tag angesammel­t und in seiner 42-jährigen kommunalpo­litischen Laufbahn von etwa 1200 Sitzungen nur zwei verpasst hat.

Alles zu geben und arbeiten ohne zu jammern hat er früh gelernt. Seine Eltern hätten ihm dies vorgelebt. Dank dieser Eigenschaf­t, etwas Glück und vieler Förderer, wie es Reichhart betont, wurde er im September 1966 Deutschlan­ds jüngster Werkmeiste­r bei der Deutschen Bahn im Starkstrom­dienst. Diese Zeit, in der er Verantwort­ung für ein 16-köpfiges Team übernehmen musste, habe ihn geprägt.

Kraft geschöpft hat Reichhart vor allem bei und mit seiner Familie. Auch wenn ein Teil seines Jahresurla­ubs verfallen sei – 46 Tage müsste er eigentlich jetzt noch abbauen –, habe er doch jede freie Minute genutzt, um sie mit seiner Frau und seinen zwei Kindern zu verbringen, mit ihnen die Natur zu genießen und zu verreisen. Sei es nach Tibet, China, Syrien oder auf 5000er wie den Ararat und den Kilimandsc­haro – je abenteuerl­icher die Reisen waren, umso besser.

In den 70er-Jahren fuhr er mit dem Auto bis ans Rote Meer, 28 Grenzen galt es zu passieren. Die Reisen seien oft nicht lange, aber dafür äußerst intensiv gewesen. Die Erinnerung­en an seinen ersten Afrikatrip hat Reichhart bis heute in einem Koffer verwahrt, von Tickets bis hin zu Muscheln. Er könne sich einfach von nichts trennen, gesteht Reichhart, „es hat sich viel daheim angesammel­t“. Auch Tausende von Dias warten auf eine mehr oder weniger große Aufräumakt­ion, für die Reichhart im Ruhestand mehr Zeit hätte. „Aber dazu braucht es viel Mut“, sagt er.

Den Mut, sich nach langer Pause wieder Alpinskier unter die Füße zu schnallen und sogar mal wieder einen Wettkampf zu bestreiten, hatte Reichhart schon im Frühjahr. Er wollte es sich nicht nehmen lassen, seinem Enkel das Skifahren beizubring­en und zu beweisen, dass er die Schwünge nicht verlernt hat. Bei der Gelegenhei­t hat er sich neue Bretter zugelegt, die Kreismeist­erschaft bestritten und in seiner Altersklas­se gewonnen.

Apropos Enkel: Für die zwei Kinder seines Sohns Hans, der in Kürze sein Amt als Landrat antritt, wird er ab Mai endlich mehr Zeit haben. Er sei „leidenscha­ftlicher Großvater“, auf diese Aufgabe könne er sich jetzt voll konzentrie­ren.

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 ?? Foto: Bernhard Weizenegge­r ?? Nach 18 Jahren im Amt verabschie­det sich Hans Reichhart als Bürgermeis­ter von Jettingen-Scheppach am 30. April in den Ruhestand. Warum er ein Ziel zum dritten Mal verschiebe­n muss.
Foto: Bernhard Weizenegge­r Nach 18 Jahren im Amt verabschie­det sich Hans Reichhart als Bürgermeis­ter von Jettingen-Scheppach am 30. April in den Ruhestand. Warum er ein Ziel zum dritten Mal verschiebe­n muss.

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