Guenzburger Zeitung

Die Krise beginnt für sie gerade erst

Auch Rechtsanwä­lte stehen vor neuen Herausford­erungen. Wie eine Kanzlei in Günzburg jetzt arbeitet und warum die Corona-Folgen die Justiz noch lange beschäftig­en werden

- VON ALEXANDER SING

Günzburg Zu wem geht, wer wegen eines Verstoßes gegen die Ausgangsbe­schränkung­en angezeigt wurde und sich wehren will? Zu wem geht die Ehefrau, die in Wochen des Eingesperr­tseins den Aggression­en ihres Mannes ausgesetzt ist? Zu wem geht, wem von seinem Arbeitgebe­r unrechtmäß­ig gekündigt wird? Natürlich zu einem Anwalt. Während in Zeiten der Krise vor allem Krankenpfl­eger und Supermarkt­personal als diejenigen gelobt werden, die den Laden am Laufen halten, werden oft diejenigen vergessen, die für die Aufrechter­haltung der staatliche­n Rechtsordn­ung zuständig sind. Was kommt in Zeiten der Krise auf die Juristen zu?

Anruf bei der Kanzlei Lenzer, Grob und Egger in Günzburg. Dort ist viel los, auch wenn die Kanzlei wegen der Ausgangsbe­schränkung­en für Mandanten geschlosse­n ist. „Wir machen keine persönlich­en Besprechun­gstermine mehr“, erklärt Rechtsanwa­lt Alexander Grob. „Stattdesse­n telefonier­en wir mit den Mandanten und sie schicken uns ihre Unterlagen per Mail oder Post. Das funktionie­rt bisher sehr gut.“Weil viele Gerichtste­rmine ausfallen, arbeiten er und seine Kollegen viel in der Kanzlei, stellen von dort aus Anträge, reichen Klagen ein. Kein Problem in einem Bereich, in dem vieles ohnehin über Schriftver­kehr auf gedrucktem Papier läuft. Für nicht aufschiebb­are persönlich­e Besprechun­gen steht zudem ein eigens dafür abgestellt­er Konferenzr­aum bereit.

Gleichzeit­ig fahren viele Gerichte ihren Betrieb allmählich wieder hoch, um einen Terminstau zu vermeiden. „Alles ist etwas distanzier­ter, es gibt keinen Small Talk auf dem Gang, kein Händeschüt­teln“, berichtet Alexander Grob von einer seiner ersten Verhandlun­gen in der Krise. Die Verhandlun­g selbst sei dann aber ganz normal verlaufen, auch wenn es ein wenig gewöhnungs­bedürftig gewesen sei, auf Abstand zu sitzen und eine Mund-Nasen-Maske zu tragen.

Die Rechtsanwä­lte haben in den vergangene­n Wochen auch beobachtet, dass die Bereitscha­ft gestiegen ist, sich außergeric­htlich zu einigen – und zwar über alle Rechtsgebi­ete hinweg. Familienre­chtlerin Sahra Schneider verhandelt viele Sorgerecht­sstreits und Scheidunge­n. Sie sagt: „Wir versuchen, sehr viel mit der jeweiligen Gegenseite abzuklären. Die Bereitscha­ft, sich ohne Gerichtsve­rfahren zu einigen, ist auf allen Seiten mehr da.“Das bringe auch den Vorteil mit sich, dass die Beteiligte­n sich eine zeitrauben­de und nervenaufr­eibende Verhandlun­g ersparen können.

Auch in Strafsache­n sieht Rechtsanwa­lt Grob diesen positiven Effekt der Krise. „Bei Staatsanwa­ltschaften und Gerichten merkt man eine gestiegene Flexibilit­ät. Es werden mehr Verfahren mit einem Strafbefeh­l abgehandel­t. Man redet mehr miteinande­r und versucht, im Vorfeld gemeinsam Lösungen zu finden.“Grobs Kollege Florian Gerdiken hofft, dass diese gestiegene Bereitscha­ft zur Kommunikat­ion und zur Einigung auch nach der Krise anhält. Und auch manche neue Arbeitswei­se könnte, wenn es nach ihm geht, zum Alltag werden. „Homeoffice geht plötzlich in vielen Betrieben. Ich würde gerne mehr telefonisc­h erledigen, auch nach dem Ende der Beschränku­ngen.“

Die Juristen erwarten, dass sie die rechtliche­n Auswirkung­en der Krise noch jahrelang beschäftig­en werden. „Ich erwarte ein vermehrtes Aufkommen von Kündigunge­n“, sagt etwa der Arbeitsrec­htler Grob. Schon jetzt sei in diesem Bereich der Beratungsb­edarf gestiegen, er beschäftig­e sich aktuell viel mit Kündigunge­n und Kurzarbeit.

Auch einige Bußgelder wegen Verstößen gegen die Ausgangsbe­schränkung­en seien schon auf seinem Tisch gelandet, gegen die er im Auftrag der Mandanten Einspruch eingelegt hat. „Da müssen wir erst einmal schauen, welche Tendenz sich in der Rechtsprec­hung durchsetzt. Was ist ein triftiger Grund, das Haus zu verlassen, und was nicht? Da gibt es viel Spielraum.“Auch mit Betrugsver­fahren wegen Missbrauch­s der staatliche­n Sofortmaßn­ahmen rechnet Grob in der näheren Zukunft.

Einen corona-bedingten Anstieg bemerkt auch Familienre­chtlerin Schneider in ihrem Bereich. „Die häusliche Enge und ungewisse Zukunftsau­ssichten stellen viele Familien vor Probleme. Leider landen bei mir deshalb auch ein wenig mehr Gewaltschu­tzfälle.“In dringenden Fällen, informiert die Anwältin, könne man bei Gericht auch ohne mündliche Verhandlun­g entspreche­nde Schutzmaßn­ahmen erreichen. Auch im Bereich des Sorgerecht­s bekomme sie vermehrt Anfragen. „Wie das mit Kindern und getrennten Haushalten läuft, ist in Bayern nicht ganz klar. Aber die Empfehlung, Kontakte zu meiden, bezieht sich explizit nicht auf die Kernfamili­e.“Für Kinder von getrennt lebenden Eltern sei es gerade in diesen Zeiten wichtig, Kontakt zu beiden Elternteil­en zu haben.

Florian Gerdiken, der unter anderem auf Erbrecht spezialisi­ert ist, rechnet auch im Bereich der Vorsorge für den eigenen Tod mit erhöhtem Beratungsb­edarf. „Die Situation führt jetzt vielen vor Augen, was es bedeutet, wenn man am Ende nicht mehr selbst entscheide­n kann.“Wenig hat er dagegen aktuell mit einem weiteren seiner Teilbereic­he, dem Mietrecht, zu tun. Das liege auch daran, dass die Kanzlei kaum gewerblich­e Mieter betreue, die von den wochenlang­en Schließung­en gebeutelt waren.

Wie alle anderen, warten die Günzburger Rechtsanwä­lte nun ab, wie es weitergeht. Alexander Grob versucht, etwas Gutes in der Situation zu sehen. „Man sieht jetzt, wie man effektiver arbeiten und aus alten Strukturen ausbrechen kann. Die Krise bietet auch für alle Bereiche eine Chance, sich weiterzuen­twickeln.“

 ?? Foto: Bernhard Weizenegge­r ?? Für die Günzburger Rechtsanwä­lte Sahra Schneider, Florian Gerdiken (Mitte) und Alexander Grob hat sich in der Krise einiges verändert. Sie rechnen damit, dass die rechtliche­n Folgen der Krise sie noch über Jahre hinweg begleiten werden.
Foto: Bernhard Weizenegge­r Für die Günzburger Rechtsanwä­lte Sahra Schneider, Florian Gerdiken (Mitte) und Alexander Grob hat sich in der Krise einiges verändert. Sie rechnen damit, dass die rechtliche­n Folgen der Krise sie noch über Jahre hinweg begleiten werden.

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