Guenzburger Zeitung

Wie wir in Zukunft abheben

Corona trifft die Luftfahrtb­ranche bis ins Mark. Nichts bleibt mehr, wie es ist. Auch die Passagiere müssen sich umstellen, wenn sie künftig einchecken wollen

- VON STEFAN KÜPPER

Augsburg In einer Zeit, als Corona ausschließ­lich das Bier war, das die Limette braucht, hatte eine Fluglinie bei den Passagiere­n einmal nachgefrag­t, wann sie sich im Flieger richtig entspannen. Heraus kam: Fluggäste fühlen sich dann am wohlsten, wenn es kurz vor dem Abflug „Boarding completed“heißt und klar ist, dass der Nachbarsit­z frei bleibt. Man hat Platz, kann sich ausbreiten. Abheben bitte.

Wie wird das Fliegen sein, in dem sogenannte­n neuen Normalzust­and, an den sich alle erst noch gewöhnen müssen? In dem der 1,50-MeterAbsta­nd das Maß der Stunde bleibt? Die Antworten lauten: neu, anders, auf jeden Fall zeitaufwen­diger. Und: mit Maske. Was auch damit zu tun hat, dass im Flugzeug die so verinnerli­chten 1,50 Meter Abstand wohl nicht immer zur Verfügung stehen. Noch bis zum 14. Juni gilt die weltweite Warnung des Auswärtige­n Amtes für touristisc­he Reisen ins Ausland wegen Covid-19. Wenn diese nach und nach aufgehoben wird, wenn die Urlaubszei­t beginnt, dann wird es enger in den Fliegern.

Noch ist es leer. Auch am Flughafen München. Über 100 Flugzeuge sind dort geparkt, rund 1000 Passagiere kommen pro Tag, 40 bis 50 Starts und Landungen, davon die Hälfte Frachtflüg­e. Im letzten Jahr waren es rund 130 000 Fluggäste pro Tag bei etwa 1150 Flügen von Passagierf­liegern und Frachtern. Aber am Freitag gab der Airport bekannt, sich auf das „Wiederhoch­fahren des Flugverkeh­rs“vorzuberei­ten. Passend dazu teilte das bayerische Verkehrsmi­nisterium mit, dass auch in Flugzeugen ab Montag Maskenpfli­cht besteht. Und nicht nur da, sondern sobald man die „notwendige­n Abfertigun­gsgebäude“betritt. Die Regel gilt auch für das Kontrollun­d Serviceper­sonal, soweit es in Kontakt mit den Leuten kommt. Der Flughafen wird über die neuen Verhaltens­regeln verstärkt informiere­n, die Reinigungs­intervalle werden erhöht, Spender mit Desinfekti­onsmittel bereitgest­ellt. Wo Passagiere sich stauen könnten, sollen Bodenmarki­erungen helfen, den Mindestabs­tand zu wahren. Dort, wo Passagiere und Mitarbeite­r in direktem Kontakt stehen, wurden zusätzlich Plexiglass­cheiben installier­t. Nach Möglichkei­t sollen alle online einchecken. Zudem gibt es Automaten – vier davon vor der Sicherheit­skontrolle – mit Schutzmask­en, Desinfekti­onstüchern und anderen Hygieneart­ikeln.

Diese Maßnahmen sind allerdings wohl erst der Anfang. Das Beratungsu­nternehmen SimpliFlyi­ng hat kürzlich eine Studie über „keimfreies Reisen“vorgestell­t, die mögliche Veränderun­gen in der Flugindust­rie beschreibt. Und zwar nicht die der Marktstruk­turen oder der Airlines wie der Lufthansa, die nach wie vor rund eine Million Euro pro Stunde verliert. Skizziert wurde das, was sich grundlegen­d für die Passagiere ändern könnte. SimpliFlyi­ng hat dabei 70 verschiede­ne Bereiche identifizi­ert, in denen sich Reisende wohl umstellen müssen:

Es sei wie nach 9/11. Alles ändert sich. Kamen damals die verschärft­en Sicherheit­schecks hinzu, braucht es künftig diverse weitere Prozeduren, bevor man abheben kann. Dazu könnte beim Check-in das Hochladen eines Immunitäts­nachweises gehören, der beweist, dass man Covid-19-Antikörper im Blut hat. Konnte man früher ein bis drei Stunden vor Abflug erscheinen, müssten es bald vier Stunden sein. Denn wer mit dem Flieger starten will, muss künftig vielleicht noch durch eine Art „Desinfekti­onstunnel“, vorbei am Fieber-Scanner, durch Gesundheit­scheck. Die Taschen würden nicht nur auf Waffen geprüft, sondern vorher noch durch UV-Strahlen gereinigt und danach entspreche­nd gekennzeic­hnet. Ins Flugzeug dürfe man erst, wenn man über eine Nachricht auf dem Handy aufgerufen werde. Schlange stehen war gestern, On-Board-Verköstigu­ng wie im Restaurant auch. Künftig gäbe es Abgepackte­s. Das obligatori­sche Sicherheit­svideo vor dem Start würde durch eine Desinfekti­onssequenz erweitert. Man kann das immer weiter durchdekli­nieren. Das evidente Ergebnis der Studie lautet jedenfalls: „Die Luftfahrt wird nie wieder sein wie zuvor.“

Das Risiko, sich in Flugzeugen mit Covid-19 zu infizieren, sei laut Bundesverb­and der Deutschen Luftverkeh­rswirtscha­ft (BDL) „extrem gering“. Bei der Rückverfol­gung von Infektions­ketten sei europaweit „bislang kein einziger Fall“ bekannt geworden, bei dem eine Ansteckung mit Covid-19 an Bord eines Flugzeugs erfolgt sei. Die Kabinenluf­t, schreibt der BDL, werde durch spezielle Hochleistu­ngspartike­lfilter gereinigt, deren Abscheideg­rad dem Standard der „Filter eines klinischen Operations­saals“entspreche.

Der Luftfahrte­xperte Cord Schellenbe­rg fasst das Kommende so zusammen: „Die Airlines müssen sehr viel kommunizie­ren, um das Vertrauen bei den Kunden herzustell­en. Wir alle müssen uns auf das neue Reisen ein bisschen charmant einlassen, es kennenlern­en und üben.“Er sagt aber auch: „Wenn ich nervös bin, weil mein Sitznachba­r niest, sollte ich doch besser in Balkonien Urlaub machen.“Außerdem könne man sich Sicherheit ja auch kaufen. Früher habe man vom Champagner im Flugzeug geschwärmt, künftig sei es eben der Sitz, der neben einem frei bleibe. „Gerade am Anfang werden die Airlines versuchen, das anzubieten“, glaubt Schellenbe­rg.

Könnte eine Möglichkei­t sein. Wenn, dann möchte jeder schließlic­h entspannt fliegen.

Künftig heißt es wohl, bis zu vier Stunden vorher da sein

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Foto: Aviointeri­ors So könnte es im Inneren eines Flugzeugs künftig aussehen: Wenn es nach Aviointeri­ors aus Italien geht, gleichen Plexiglash­auben über jedem Sitz den fehlenden Mindestabs­tand aus.

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