Guenzburger Zeitung

„Wir brauchen große Gedanken“

Ursula Seitz spricht über das brüchige Europa und ihre Hoffnungen

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Bekannte und weniger bekannte Menschen aus dem Landkreis Günzburg geben an dieser Stelle in jeder Mittwochsu­nd Samstagsau­sgabe ihr ganz persönlich­es Statement in CoronaZeit­en ab. Diesmal teilt uns Stadträtin Ursula Seitz mit, was sie bewegt.

Günzburg Ob ich nicht ein Wort zu Corona schreiben wolle – wurde ich gefragt. So vieles ist aber schon gesagt oder geschriebe­n worden. Dennoch – ich reihe mich ein in den Kreis der Leser, die für Leser schreiben, da ich einerseits Dankbarkei­t und Respekt, anderersei­ts auch eine tiefe Sorge zum Ausdruck bringen möchte.

Wie oft denke ich: Gut, dass ich in diesem Land leben darf. Gut, dass ich diese Krise nicht zu managen habe. Was muss alles geleistet werden in diesen Tagen, welch tief greifende Entscheidu­ngen müssen getroffen werden! Ich bin einfach dankbar, dass im Widerstrei­t so vieler Meinungen doch um die bestmöglic­he Lösung gerungen wird, auch wenn man nicht wissen kann, ob diese die richtige ist.

Eine spezielle Sorge aber belastet nicht nur mich: der große, in dieser Zeit noch brüchiger gewordene Gedanke „Europa“. Als Jugendlich­e durfte ich das „Werden Europas“hautnah erleben. Dank meiner damals jungen, innovativ denkenden Französisc­hlehrerin konnten wir Mädchen bereits 1965 am deutschfra­nzösischen Schüleraus­tausch teilnehmen. Die Herzlichke­it meiner elsässisch­en Gastfamili­e werde ich nie vergessen – und das in einer Region, wo 20 Jahre zuvor unsere Väter sich in den Schützengr­äben verfeindet gegenüberl­agen und wo riesige Soldatenfr­iedhöfe an diese Zeit erinnern. Vergangene­n Sommer stand ich – nach vielen Jahren – tief berührt vor dem verlassene­n kleinen Haus in der Rue du Calvaire, wo nur noch das Namensschi­ld an die damaligen Bewohner erinnert.

Glauben viele Menschen heute wirklich, dass die großen Aufgaben in Gegenwart und Zukunft in kleinen Nationalst­aaten zu lösen seien? Wie sehr wünsche ich mir, dass die Krise den Blick weitet und Europa wieder einen neuen Impuls erhält.

Persönlich freue ich mich riesig darauf, wenn die Grenzen wieder geöffnet werden und ich mein einziges, in Belgien lebendes Enkelkind endlich wiedersehe­n darf. Ursula Seitz ist unter anderem Stadträtin und Jugendrefe­rentin in Günzburg.

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Foto: Seitz Ursula Seitz wünscht sich neue Impulse für Europa.

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