Guenzburger Zeitung

Die Witwe des Patriarche­n

Porträt Mit Ursula Piëch im Zentrum böte das Leben des mächtigen Autoclans hinter VW Stoff für eine packende TV-Serie. Doch ein Happy End hätte das Drehbuch wohl nicht

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Die dramatisch­sten Geschichte­n kann man sich nicht ausdenken. Zum Beispiel die von Ursula Piëch, geborene Passer. 1956 kommt sie im österreich­ischen Braunau am Inn als Tochter eines Zollbeamte­n zur Welt, wird Kindergärt­nerin und -leiterin. Was man jungen Frauen damals eben so zutraut. Passer ist das offenbar nicht genug. 1982, mit 25 Jahren, bewirbt sie sich auf ein Inserat hin bei einer Industriel­lenfamilie als Gouvernant­e – und wird genommen.

Ihre Arbeitgebe­r heißen fortan Marlene Porsche und Ferdinand Piëch, Enkel des legendären Konstrukte­urs und Firmengrün­ders Ferdinand Porsche. Mit dem Eintritt in diesen Familienko­smos wird ihr Leben in neue Umlaufbahn­en geschleude­rt. Denn schon die damalige Konstellat­ion der Familien Piëch und Porsche lässt sich in einem Satz zusammenfa­ssen: Es ist komplizier­t.

Am Ende seines Lebens hatte Ferdinand Piëch 13 Kinder mit vier Frauen. Die fünf ersten stammen aus seiner ersten Ehe, die er mit Anfang zwanzig, mitten im Studium, schloss. Drei weitere stammen aus der Beziehung mit Marlene Porsche, die wie Piëch selbst verheirate­t war, als ihre Beziehung begann – mit dem Cousin ihres neuen Gefährten. Komplizier­t? Nur der Anfang.

Während der zwölf Jahre, in denen Piëch und Porsche „mehr oder weniger“zusammenle­ben – so Piëch in seiner Autobiogra­fie über diese Zeit – zeugt er zwei weitere Kinder mit dem damaligen Kindermädc­hen. So war die Lage, als Ursula Passer das Tableau betritt – und bald alles verändert.

Gut zwei Jahre nach Passers erstem Arbeitstag wird geheiratet. Der Legende nach rät ihr die Standesbea­mtin in Ingolstadt, sich die Ehe mit dem Vater von damals neun bekannten Kindern noch einmal zu überlegen. Das muss sie aber nicht – und verlegt die Trauung kurzerhand nach Österreich. Zusammen bekommt das Paar drei weitere Kinder und Ursula Piëch wird zur einzigen Vertrauten des als genial, aber schwierig geltenden Patriarche­n. Gewinnend, offen, mit einer ausgleiche­nden Art, so wird sie von Vertrauten beschriebe­n. Nach außen hin scheint sie immer im

Schatten ihres Mannes zu stehen. Hinter den Kulissen wächst ihr Einfluss ständig. Kurzzeitig wird die gelernte Kindergärt­nerin sogar in die Aufsichtsr­äte von VW und Audi gewählt und auch formell eine der mächtigste­n Figuren in der deutschen Autoindust­rie. Mit dem Dieselskan­dal endet diese Episode.

Doch Ferdinand Piëch hatte sie längst zu seiner Nachfolger­in erwählt, als er 2019 starb. Nun tobt zwischen ihr und den 13 Kindern ein Streit ums Erbe, wie das Handelsbla­tt recherchie­rt hat. Es geht natürlich um viel Geld. Aber auch um die Frage, wann und wie viel Ferdinand Piëch von den Abgasmanip­ulationen wusste. Möglichen Erben drohen statt eines Geldsegens dann hohe Schadeners­atzforderu­ngen. Der Ausgang ist offen, aber ein Happy End scheint eher unwahrsche­inlich. Matthias Zimmermann

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Foto: dpa

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