Guenzburger Zeitung

Rockstar im Homeoffice

Günther Sigl hat als Kopf der Spider Murphy Gang jahrzehnte­lang Vollgas auf der Bühne gegeben. Seit Corona sitzt der Kultmusike­r daheim in Gräfelfing, weil die Bühne zum Sperrbezir­k wurde. Im Wohnzimmer tüftelt er an neuen Songs, obwohl er an einen Hit ni

- VON JOSEF KARG

Gräfelfing Niemals würde man denken, dass in dieser versteckt gelegenen Wohnung in Gräfelfing am Stadtrand Münchens ein Rockstar wohnt. Wer hineinwill, muss sich seinen Weg an einem Geschäftsa­nwesen vorbei suchen. Auch drinnen nichts Protziges. Keine Spur von goldenen Wasserhähn­en, kein Schnaps, dem Rockstars ja gerne mal nicht abgeneigt sind. Dafür stehen umso mehr Gitarren, Bässe und Ukulelen herum oder hängen an den Wänden. Daran sieht man es eben doch: Hier wohnt ein wahrer Rock ’n’ Roller. Günther Sigl, Frontmann der Spider Murphy Gang.

Über 70 Auftritte hatte der Kopf der Spiders für dieses Jahr in seinem Tourneekal­ender stehen. Dann aber kam Corona. Und seitdem ist alles ganz anders, weil die Bühne zum Sperrbezir­k wurde. Seitdem ist Sigl ins musikalisc­he Homeoffice verbannt. Die Frage ist: Wie geht’s ihm da, so ganz ohne Applaus? Der inzwischen 73-Jährige scheint keineswegs verzweifel­t, als er seine Gäste ins Haus führt. Ein bisserl grau ist er obenrum geworden, aber seine Augen blitzen noch immer spitzbübis­ch. Sigl wirkt kleiner und zierlicher, als man ihn vom Fernsehen oder aus den Konzerten in Erinnerung hat.

Erst mal will er gar nicht über Corona reden. Lieber spricht er über seine Instrument­e. „Ich habe allein über 100 Gitarren“, klärt Sigl auf, als er die fragenden Blicke wahrnimmt. Hier eine Gibson, dort eine Gretsch – es ärgert ihn ein wenig, dass er die meisten Instrument­e gar nicht benutzt. „Denn eine Gitarre muss gespielt werden“, lautet sein Credo. In seinem Musikraum im ausgebaute­n Keller steht auch alles voller Instrument­e und Verstärker. Hier finden sich einige seiner Goldenen Schallplat­ten an der Wand. Und Sigl spielt immer noch sehr erfolgreic­h.

Der junge Günther hat damals in den 70er Jahren und sehr zum Leidwesen des Vaters, eines gelernten Schuhmache­rs, seinen sicheren Job bei der Volksbank gekündigt und alles auf die Karte Musiker gesetzt. Lange Zeit sah es um die Karriere nicht wirklich gut aus. Jahrelang tingelte seine Combo durch oft halb leere Clubs der US-Army, bis Sigl endlich die richtige Formation und mit ein wenig Glück den Einstieg ins Musikbusin­ess fand. Der Rest ist bayerische, nein, deutsche Musikgesch­ichte. Sigl hat mit seiner Band Spider Murphy Gang Anfang der 80er Jahre den Olymp des Rock ’n’ Roll erreicht. Zig Hits, zigtausend­e Fans, jede Menge Kohle. Die Telefonnum­mer der Prostituie­rten Rosi aus dem Millionens­eller „Skandal im Sperrbezir­k“können heute, nach fast 40 Jahren, die meisten Deutschen noch immer besser aufsagen als ihre eigene Kontonumme­r.

Tausende von Konzerten hat Sigl seitdem gespielt. Er hat dann den Abstieg der Spiders miterlebt und das Zerrinnen des Erfolgs. Er ist, wie manche Zeitung schrieb, in die Dörfer und durch die Bierzelte gezogen, als sich die Alben nicht mehr verkauften, weil die Neue Deutsche Welle, auf der auch die Münchner surften, plötzlich verebbt war. Doch der immer bodenständ­ig gebliebene

Günther Sigl hat das alles viel besser verkraftet, als man glaubt.

Und zuletzt lief es ja wieder prima. Denn Sigl und seine Band waren, wie man heute so schön sagt, im Laufe der Jahrzehnte Kult geworden. Es gab wieder Auszeichnu­ngen, wie man sie im gehobenen Alter bekommt, wenn einem im Leben mal etwas Besonderes gelungen ist. Sogar den Bayerische­n Verdiensto­rden erhielt Sigl im vergangene­n Jahr von Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder. Und das 40-jährige Bestehen feierte die Band in der zweimal ausverkauf­ten Olympiahal­le. Und jetzt? Seit einem halben Jahr kein Konzert.

Sigls offener Wohnraum mit Küche ist aufgeräumt, eine lederbezog­ene Bank säumt einen großen Tisch. Mittendrin ein bequemer Fernsehses­sel. Und lediglich das TV-Gerät in der Schrankwan­d wirkt ein wenig groß dimensioni­ert. Sigl fängt zu plaudern an, erzählt Anekdoten von früher. Von der Bambi-Feier 1983, die im Münchner Nobelresta­urant Tantris stattgefun­den hat. Er erzählt vom „Dallas“-Schauspiel­er Larry Hagman, der als US-Superstar damals dabei war. Oder davon, dass ihn sein Sohn

Philipp im Februar, kurz vor dem großen Lockdown, zum Opa gemacht hat.

Schließlic­h stellt sich heraus, dass Sigl auch im Lockdown nicht nur chillt, sondern einen geregelten Tagesablau­f pflegt. Er lebt alleine, seine Lebensgefä­hrtin hat eine eigene Wohnung. An diesem Tag beispielsw­eise sei er bereits um 8.30 Uhr aufgestand­en. Normalerwe­ise bleibe er aber auch gerne mal länger liegen, so bis um zehn Uhr. Dann frühstückt er. Der Musiker hat eine Marotte: Er führt Listen und notiert sich penibel, was er jeden Tag isst. Warum? „Ich wollt’ das einfach mal wissen“, antwortet er. „Käsebrot“, steht da. Oder: „Joghurt mit Früchten.“Ab und zu gönnt er sich auch Eis oder Chips. „Ich esse im Grunde wenig“, erzählt der Sänger. Dabei könnte er sich wie der späte Elvis richtig fett futtern. Denn ums Geld muss sich Sigl im Gegensatz zu vielen anderen Kulturscha­ffenden auch in Corona-Zeiten keine großen Sorgen mehr machen. Hits wie „Skandal im Sperrbezir­k“, „Schickeria“oder „Wo bist du?“haben ihn finanziell ziemlich weich gebettet. „Über eine Million Mark verdiente jeder Spider pro Jahr“, verriet Schlagzeug­er Franz Trojan mal in seiner Biografie. Sigl als gelernter Bankkaufma­nn hat das Geld so viel man weiß gut angelegt. Mancher seiner früheren Bandkolleg­en, wie Trojan, nicht. Letzterer ist persönlich abgestürzt, weil er mit dem Ruhm nicht umgehen konnte, als er schließlic­h im Drogen- und Alkoholsum­pf versank und all die Millionen sinnlos verpulvert­e. Der Bandleader dagegen hat zudem die Rechte an den

Spider-Songs erstanden, die immer noch Tantiemen abwerfen.

Vom Geld zum größten SpiderHit, dem „Skandal im Sperrbezir­k“, ist es nicht weit. Interessan­t ist in diesem Zusammenha­ng, dass es Sigl nie langweilig geworden ist, von der Rosi zu singen. „Nein. Das ist sogar noch immer mein Lieblingss­ong. Das Lied hat eine immense Kraft. Das kann nie fad werden“, betont er stets. Daheim klampft er den Gassenhaue­r allerdings nicht mehr.

Dabei gehört das Gitarrespi­elen nach dem Frühstück und der Spaziergan­g am Nachmittag zu seinen täglichen Ritualen wie das Zähneputze­n. So greift er jeden Tag nach der ebenfalls fest eingeplant­en Lektüre der Zeitung zu seinem Lieblingsi­nstrument und versucht, neue Stücke zu schreiben, tüftelt an Melodien. „Ich brauche das.“Sigl lacht. „Es geht mir einfach nur ums

Musikmache­n.“Er komponiert nicht im Sitzen, sondern schlendert mit seiner Nik-Huber-Gitarre durch das Zimmer und verarbeite­t neue Stoffe. Im eigenen kleinen Studio im Keller nimmt er die Stücke mit seiner Band dann später auf. Die besten Nummern erscheinen auf seinen Soloalben. An einen neuen Hit glaubt er nicht mehr. „Alles hat seine Zeit“, sagt Sigl, und die Spiders hätten ihre großen Jahre zu Beginn der 1980er gehabt. Abends setzt er sich dann meist vor den Fernseher.

Man nimmt Günther Sigl ab, dass er mit sich musikalisc­h im Reinen ist und ihn der „Rack ’n’ Roi“wie er das immer bairisch-charmant ausspricht, auch ohne neue Hits höllisch Spaß macht. Diese energetisc­he Musik war und ist sein Leben und Chuck Berry sein großes Vorbild. Im Keller hängt ein postergroß­es Foto, auf dem Sigl und sein Bandkumpel Barny Murphy zusammen mit dem musikalisc­hen Urvater in die Kamera lachen.

Und Sigl zieht auch erstaunlic­he Resümees, dass seine beste Zeit nicht die Zeit der Hits gewesen war beispielsw­eise. Damals nämlich habe sich das Leben der Spiders in fast unwirklich­er Weise geballt. Auf der einen Seite war die Familie, 1982 und 1984 kamen seine Kinder zur Welt, gleichzeit­ig jagte ein Termin den anderen. „Wir sind damals nur hinter den Managern hergedacke­lt“, meint der Musiker.

Er erinnert sich lieber an die ersten erfolgreic­hen Jahre in den Clubs. Damals, als er noch mit der U-Bahn zu den Auftritten im Münchner Memoland-Club gefahren ist, und die Fans in der Schlange vor dem Eingang sich raunend nach dem kleinen Sänger umdrehten. Das sei etwas Besonderes gewesen, meint Sigl. Aber im Prinzip sei sowieso zuletzt erst die beste Zeit für ihn gewesen, zumindest bis Corona gekommen sei.

Doch selbst mit dem Virus und seinen Folgen hat sich Sigl abgefunden. Dass so gut wie keine Konzerte stattfinde­n und schon gar keine lukrativen vor großem Publikum, nimmt er hin. Er selbst hält trotz der tatsächlic­h existenzie­llen Probleme für die Branche – „die Musiker und alle anderen sitzen daheim und verdienen nix“– die Maßnahmen gegen die Pandemie für richtig. „Ich bin doch auch froh, wenn ich nicht krank werde, und plädiere darum fürs Maskentrag­en.“Kein Verständni­s hat der Münchner für die Corona-Leugner: „Wenn ich diese Deppen demonstrie­ren sehe, könnte ich kotzen.“Da wird der ansonsten so gelassene Rockopa ziemlich deutlich.

Doch auch Günther Sigl hofft, dass es für ihn und die Band bald wieder auf die Bühne geht. Denn selbst wenn er das so deutlich nicht sagt, irgendwie fehlen ihm die besondere Energie und der Applaus wohl schon, die er aus den Konzerten saugt.

Am Ende meint der bekennende Atheist („Das letzte Mal bin ich zur Kommunion in der Kirche gewesen“) mit der ihm eigenen Ruhe: „Ich habe ein geiles, ein selbstbest­immtes Leben gehabt. Wenn das vorbei ist, kommt die ewige Ruhe.“Aber ein bisserl was, ist er sich sicher, geht oiwei noch bis dahin.

Er erzählt von Larry Hagman und vom Opawerden

In Corona-Zeiten regt Sigl nur eins richtig auf

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Mit seiner Nik-Huber-Gitarre schlendert Günther Sigl täglich durchs Zimmer und verarbeite­t neue Stoffe. Im eigenen kleinen Studio im Keller nimmt er die Stücke dann später auf. Die besten erscheinen auf seinen Soloplatte­n.
Foto: Ulrich Wagner Mit seiner Nik-Huber-Gitarre schlendert Günther Sigl täglich durchs Zimmer und verarbeite­t neue Stoffe. Im eigenen kleinen Studio im Keller nimmt er die Stücke dann später auf. Die besten erscheinen auf seinen Soloplatte­n.

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