Guenzburger Zeitung

„Ich bin Sozialdemo­krat. Das ist kein Geheimnis“

Bundesfina­nzminister Olaf Scholz erklärt, warum er der richtige Mann für das Kanzleramt ist und wie die exorbitant­en finanziell­en Belastunge­n durch die Corona-Krise für Deutschlan­d zu stemmen sind

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Scholz, Sie wirken wie immer hanseatisc­h gelassen. Macht Sie nicht nervös, dass Sie derzeit eher Bundesschu­ldenminist­er als Bundesfina­nzminister sind: 216 Milliarden Neuschulde­n in diesem Jahr, fast 100 Milliarden für das kommende Jahr. Ist die Regierung gerade dabei, die Staatsfina­nzen zu ruinieren?

Olaf Scholz: Nein. Und zwar auch deshalb nicht, weil wir in den letzten Jahren sehr ordentlich gewirtscha­ftet haben. Ende 2019 haben wir das erste Mal seit vielen Jahren alle Maastricht-Vorgaben für Finanzstab­ilität eingehalte­n. Die Staatsschu­ldenquote, also die Schulden im Verhältnis zur Wirtschaft­sleistung, ist unter 60 Prozent gesunken. Jetzt steigt sie wieder auf 75 Prozent. So etwas kennen wir, bei der letzten Finanzkris­e ist diese Quote auf knapp über 80 Prozent gestiegen, um dann wieder deutlich zu fallen. Das wird uns auch jetzt wieder gelingen.

Sie müssen aber bei den Zahlen schon tricksen. So vertrauen Sie bei Ihrer Haushaltsp­lanung darauf, dass die Konjunktur bald wieder anzieht. Wäre es nicht ehrlicher, den Bürgern auch in einem Wahljahr zu sagen, dass weiter steigende Sozialleis­tungen ohne Steuererhö­hungen unrealisti­sch sind? Scholz: Klar ist doch, dass Deutschlan­d ganz gut durch die Krise kommt, weil wir eine ordentlich­e Wirtschaft­sleistung haben, aber eben auch ein leistungsf­ähiges Gemeinwese­n besitzen und einen Sozialstaa­t, der in der Lage ist, die Gesundheit unserer Bürger zu schützen – besser als in vielen anderen Ländern. Das müssen wir aufrechter­halten. Wenn die Corona-Krise einmal hinter uns liegt, müssen wir darauf achten, dass Fairness und Gerechtigk­eit weiter gelten. Das bedeutet auch, dass diejenigen, die sehr leistungsf­ähig sind, einen entspreche­nden Beitrag leisten.

Heißt das konkret, dass Sie sich Steuererhö­hungen für besonders Gutverdien­ende vorstellen können?

Scholz: Ich bin Sozialdemo­krat, das ist kein Geheimnis. Wir haben ja jetzt erst einmal milliarden­schwere Steuerentl­astungen für die Bürger auf den Weg gebracht. Ganz klar ist aber, wer jetzt Steuersenk­ungen für Spitzenver­diener verspricht, der verspricht etwas, das nur zulasten unseres Gemeinwese­ns geht.

Viele Entlastung­en wie der geringere Mehrwertst­euersatz enden am 1. Januar. Kurzarbeit­ergeld soll hingegen bis 2021 gezahlt werden können. Namhafte Ökonomen warnen, so zementiert­en Sie in manchen Branchen eine Art „Zombie-Industrie“, die durch

Transferle­istungen des Staates künstlich am Leben gehalten werde. Scholz: Ich verstehe diese Theorien überhaupt nicht. Das ist für mich eher Professore­nweisheit als reales Leben. Ich lese ja auch in Ihrer Zeitung oft von Betrieben, die trotz der vielen Hilfsprogr­amme derzeit Personal abbauen. Die Theorie, dass deutsche Unternehme­n wegen unserer Hilfen Entscheidu­ngen vor sich herschiebe­n, stimmt einfach nicht.

Sehr viele Menschen arbeiten derzeit von zu Hause. Jetzt gibt es einen Vorschlag von Landesfina­nzminister­n, auch aus Bayern, ein bestimmter Betrag solle steuerlich geltend gemacht werden: Fünf Euro am Tag im Homeoffice, 600 Euro pro Jahr.

Scholz: Das steht in den Gesetzesvo­rschlägen gegenwärti­g nicht drin. Es ist ja schon jetzt möglich, das, was man zu Hause benötigt, steuerlich abzusetzen. Das werden die Leute auch tun.

In Deutschlan­d, insbesonde­re auch in Bayern, geht die Zahl der Corona-Infektione­n wieder so deutlich nach oben, dass es zum Beispiel Maskengebo­te auf öffentlich­en Plätzen geben soll. Sind wir auf dem Weg zu einem zweiten Lockdown – und könnten wir uns den überhaupt leisten?

Scholz: Für mich ist klar: Das Virus ist da – in Deutschlan­d, in Europa und weltweit. Wir müssen also weiterhin vorsichtig sein. Es geht aber nicht darum, dass wir jetzt Kassandra-Rufe erklingen lassen. Ein Teil der Milliarden, die jetzt im Bundeshaus­halt bereit stehen, sind dazu da, die Gesundheit der Bürgerinne­n und Bürger zu schützen.

Zu den Corona-Helden gehören für viele ja auch Polizisten, wie diejenigen, die den Reichstag vor Leuten verteidigt haben, die ihn stürmen wollten. Zugleich gibt es aber Diskussion­en über extreme Tendenzen in der Polizei. Einige Landesmini­ster fordern eine StuHerr die zu rechten Umtrieben in der Polizei. Bundesinne­nminister Horst Seehofer möchte das auf keinen Fall. Wie sehen Sie das?

Scholz: Wir können alle unserer Polizei in Deutschlan­d vertrauen. Das sind tolle Männer und Frauen, die dafür sorgen, dass unsere Sicherheit gewährleis­tet wird. Dass wir aufpassen müssen, was sich innerhalb unserer Sicherheit­sorgane zuträgt, gehört zu einer guten Polizeifüh­rungsarbei­t, das sehen auch alle Polizistin­nen und Polizisten, die ich kenne, ganz genauso.

Jetzt haben Sie elegant die Frage umschifft, ob wir eine Studie brauchen. Scholz: Ich finde, dass so eine Studie Sinn macht und wir einen Rahmen finden müssen, in dem das geschehen kann. Deshalb ist es richtig, dass sich viele Landesinne­nminister dem Vorschlag angeschlos­sen haben, die Erkenntnis­se über rechtsradi­kale Gefahren in den Sicherheit­sbehörden zu verbreiter­n. Was aus Chatgruppe­n in Nordrhein-Westfalen berichtet worden ist, ist einfach völlig unakzeptab­el.

Sie wollen Steuergere­chtigkeit zu Ihrem Wahlkampft­hema machen. Aber kurz nach Ihrer Kür zum Kanzlerkan­didaten gerieten Sie ins Zwielicht – wegen des Wirecard-Skandals und Ihrer Rolle bei möglichen Cum-Ex-Steuerskan­dalen aus Ihrer Zeit in Hamburg. Dort soll es sogar einen Untersuchu­ngsausschu­ss geben.

Scholz: Es ist gut, dass alles aufgeklärt wird, dann kann diese Diskussion auch mal beendet werden. Was Wirecard betrifft, da haben wir jetzt viel zusammenge­tragen. Ich verspreche mir von dem Ausschuss, den der Bundestag einrichtet, Rückenwind. Wenn wir da tief greifende Reformen auf den Weg bringen wollen, sind viele Interessen­gruppen da, um dies zu verhindern. Ich bin dafür, dass Wirtschaft­sprüfer häufiger wechseln müssen. Auch müssen die Aufsichtsb­ehörden mit allen Möglichkei­ten ausgestatt­et werden, effektiv zu reagieren. Und was Cum-Ex betrifft: Wer Steuern hinterzieh­t, muss mit der ganzen Härte des Gesetzes rechnen.

Starke Worte, aber die Trickserei­en hören ja nicht auf: Ein internatio­nales Journalist­en-Netzwerk hat gerade aufgedeckt, wie Banken jahrelang Milliarden-Überweisun­gen für Kriminelle, Oligarchen oder Terroriste­n getätigt haben. Also Geldwäsche in reinster Form. Im Mittelpunk­t dieser Enthüllung­en steht unter anderem die Deutsche Bank. Was sagen Sie dazu? Scholz: Es handelt sich um Vorwürfe, die länger zurücklieg­en, vor allem in der Zeit bis 2017. Als Konsequenz wurden Zuständigk­eit für Finanztran­saktionsun­tersuchung­en auf den Zoll verlagert und die Zahl der entspreche­nden Mitarbeite­r auf

fast 500 ausgebaut, ebenso die zur Verfügung stehenden technische­n Mittel.

Das reicht ja offensicht­lich nicht. Scholz: Wie notwendig es ist, hier weiterzuma­chen, zeigt sich schon daran, dass sich die Zahl der Verdachtsm­eldungen inzwischen mehr als verdoppelt hat. Ich habe veranlasst, dass noch einmal genau geschaut wird, was wir an neuen Informatio­nen bekommen. Dabei werden wir auf die amerikanis­chen Behörden angewiesen sein.

Wo wir gerade von Krisen reden: Die Lufthansa musste staatlich gerettet werden. Jetzt sollen dort noch mehr Arbeitsplä­tze wegfallen – und viele im Unternehme­n murren, die staatliche­n Auflagen für die Hilfe seien zu hart. Scholz: Wir sprachen ja am Anfang über sogenannte „Zombie-Unternehme­n“, die notwendige Restruktur­ierungen aufschiebe­n würden. Auch hier sieht man, dass diese Theorie nicht richtig ist. Die Lufthansa hat eine erhebliche Staatshilf­e bekommen, damit sie durch diese Krise kommt. Sie drückt sich dennoch nicht vor Restruktur­ierungsmaß­nahmen, die natürlich trotzdem diskutiert werden müssen. Wir haben unsere Hilfen gegeben, weil wir überzeugt sind, dass die Lufthansa nach der Corona-Krise wieder eine der leistungsf­ähigsten Fluggesell­schaften der Welt sein wird. Aber es ist natürlich auch wichtig, dass der

Staat und die Steuerzahl­er auch wieder etwas zurückerha­lten.

Für Kontrovers­en sorgt derzeit nach der Vergiftung des Kreml-Kritikers Nawalny das Gas-Pipeline-Projekt Nord Stream 2. Sie haben gerade wieder gesagt, dass das ein privatrech­tliches Projekt sei. Das können Sie doch nicht ganz ernst meinen.

Scholz: Doch. Nord Stream ist ein privatwirt­schaftlich­es Energiepro­jekt, an dem sehr viele Unternehme­n beteiligt sind. Wir sind im Übrigen nicht von den Gaslieferu­ngen aus dieser Pipeline abhängig. Unsere Versorgung ist sehr diversifiz­iert.

Aber das Projekt wird doch maßgeblich von dem Unternehme­n Gazprom beherrscht, das unter sehr direktem Einfluss der russischen Regierung steht. Scholz: Es handelt sich aber nicht um ein staatliche­s deutsches Projekt. Und darum geht es doch. Ich finde, dass es eine sehr gute Wendung ist, dass fast alle europäisch­en Staaten und die EU sich gegen extraterri­toriale Sanktionen ausgesproc­hen haben. Auch andere Länder, die uns jetzt gerade kritisiere­n, erhalten Gas aus Russland, und zwar gar nicht mal weniger als Deutschlan­d.

„Nord Stream ist ein privatwirt­schaftlich­es Energiepro­jekt, an dem viele Firmen beteiligt sind.“

Finanzmini­ster Olaf Scholz

Wir haben nach dem Nawalny-Skandal eine Umfrage für unsere Zeitung durchgefüh­rt zum Thema, ob Altkanzler Gerhard Schröder aus Ihrer Partei seinen Posten als Aufsichtsr­atsvorsitz­ender von Gazprom niederlege­n solle. Eine Mehrheit der Bürger war dafür. Und Sie?

Scholz: Gerhard Schröder hat große Leistungen für unser Land erbracht. Was er nun in seinem Berufslebe­n macht, ist ja keine Frage, die wir in irgendwelc­hen SPD-Vorstandss­itzungen zu diskutiere­n haben.

Viele Bürger fragen sich, warum die SPD überhaupt einen Kanzlerkan­didaten aufstellt – denn eine echte Machtoptio­n habe die Partei ja nicht. Scholz: Das wird diesmal alles etwas anders sein, als sich das einige vorstellen. Erstmals seit 1949 wird nicht mehr der Amtsinhabe­r, in diesem Fall die Amtsinhabe­rin, zur Wahl antreten. Die SPD sagt, sie hat da einen guten Vorschlag mit jemandem, der viel Erfahrung gewonnen hat als Vizekanzle­r, Finanzmini­ster und in anderen Ämtern. Und da es viele Parteien im nächsten Bundestag geben wird und keine einzelne Partei so stark sein wird, wie es vor zwanzig Jahren der Fall war, ist die große Chance da, dass die SPD von den Wählern das Mandat erhält, eine Regierung zu bilden.

Interview: Gregor Peter Schmitz

Protokoll: Simon Kaminski

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Fotos: Ulrich Wagner Der Mann will Kanzler werden: Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) im Live-Interview mit unserer Redaktion.
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Die Fragen stellten Chefredakt­eur Gregor Peter Schmitz und die Zuschauer.

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