Guenzburger Zeitung

Der altmodisch­e Herr Merz

Der Mann, der die CDU in die Zukunft führen will, klingt bisweilen eher nach Vergangenh­eit. Er wirkt wie jemand, der die Zeit gerne zurückdreh­en würde – und liefert seinen Gegnern eine Vorlage nach der anderen

- VON CHRISTIAN GRIMM UND MICHAEL STIFTER

Berlin Friedrich Merz ist ein Mann, der viel Zeit damit verbracht hat, auf seine große Zeit zu warten. Wer konnte damals auch ahnen, dass diese Frau aus dem Osten seinen Platz im Kanzleramt derart lange blockieren würde? Nun, da die Ära Merkel ihrem Ende entgegenge­ht, wird es Zeit für einen wie ihn. Findet er selbst. Finden auch viele Parteifreu­nde in der CDU. An der Basis, das zeigen seine umjubelten Auftritte, gibt es durchaus eine Sehnsucht nach dem Gestern der westdeutsc­hen Männerpart­ei. Doch für viele Wähler klingt der 64-Jährige, der das Land in die Zukunft führen will, eher nach Vergangenh­eit. Sollte er dieses Image absichtlic­h als Marke pflegen, ist Merz in dieser Woche ein echter Coup gelungen.

Merz ist die ewig unerfüllte Hoffnung der Konservati­ven in der Union. Konservati­v zu sein, das heißt, die Zumutungen der Gegenwart so lange abzuschmir­geln, bis sie erträglich werden. Wenn der Wandel schon unausweich­lich ist, soll er wenigstens verlangsam­t werden. Die CDU ist eine konservati­ve Partei und hat die Mehrheit der Deutschen seit Bestehen der Bundesrepu­blik mit ihrem Ansatz einer wohldosier­ten Zukunft überzeugt. Merz steht wie keiner seiner Mitbewerbe­r um den Parteivors­itz für dieses Erfolgsmod­ell. Doch bei ihm entsteht in unregelmäß­igen Abständen der Eindruck, dass er dem Wandel gar nicht mehr die Härten nehmen kann, weil er sich in der Gesellscha­ft längst vollzogen hat. Merz kommt zu spät.

Ein Interview mit der Bild-Zeitung verstärkt den Eindruck, dass der Kandidat irgendwo in der Bonner Republik stehen geblieben ist. Die Frage, ob er ein Problem mit einem schwulen Kanzler hätte, verneint er, bringt aber noch im selben

Satz ohne Not Homosexual­ität mit Pädophilie zusammen. „Die Frage der sexuellen Orientieru­ng, das geht die Öffentlich­keit nichts an, solange sich das im Rahmen der Gesetze bewegt und solange es nicht Kinder betrifft“, sagt Merz. Sein Parteifreu­nd Jens Spahn, auf den sich die Kanzlerfra­ge bezogen hatte, kontert kurz und knapp. „Wenn die erste Assoziatio­n bei Homosexual­ität Gesetzesfr­agen oder Pädophilie ist, dann müssen Sie eher Fragen an Friedrich Merz richten, würde ich sagen“, sagt der Bundesgesu­ndheitsmin­ister.

In den sozialen Netzwerken lösen die Worte des potenziell­en CDUChefs Empörung aus. Da war es also wieder, das Klischee vom alten Chauvi, der einst über das Outing von Berlins Bürgermeis­ter Klaus Wowereit ziemlich breitbeini­g gesagt hatte: „Solange er sich mir nicht nähert, ist mir das egal.“

Es ist höchstwahr­scheinlich tatsächlic­h so, dass der Politiker nichts gegen Schwule und Lesben hat. Nur hat er eben wieder einmal die Vorbehalte seiner Kritiker bestätigt, dass in ihm noch immer die alte erzkonserv­ative Abscheu gegen Schwule stecke. Selbst für eine Partei, zu deren Markenkern es gehört, sich nicht dem Zeitgeist zu opfern, wirkt Merz in diesem Moment seltsam altmodisch.

Ein kommunikat­ives Missgeschi­ck? Vielleicht. Vielleicht kann der Sauerlände­r aber auch einfach nicht anders. Schließlic­h ist es nicht die einzige Aussage, mit der er irritiert. Angesproch­en auf die Arbeitsmor­al in Zeiten von Corona, warnt er mit ernster Miene. „Wir müssen ein bisschen aufpassen, dass wir uns nicht alle daran gewöhnen, dass wir ohne Arbeit leben können. Wir müssen zurück an die Arbeit.“Dahinter steckt die konservati­ve Überzeugun­g, dass die Bürger sich nicht auf Vater Staat verlassen, sondern ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen sollten. Warum der Politprofi aber ausgerechn­et mitten in einer schweren Wirtschaft­skrise diese Sätze fallen lässt, da Hunderttau­sende um ihren Job zittern und Millionen unfreiwill­ig in Kurzarbeit stecken, bleibt sein Geheimnis. Dass er dann auch noch den Lehrern einen Seitenhieb mitgibt („Es bleiben einfach zu viele Lehrer zu Hause“), macht die Sache nicht besser.

Es sind Fettnäpfch­en-Tauchgänge wie diese, die das öffentlich­e Bild eines abgehobene­n Millionärs und Mannes der Geldwirtsc­haft erzeugen, der sich für die normalen Leute nicht wirklich zu interessie­ren scheint. Sein möglicher Kontrahent im Rennen um die Kanzlersch­aft ließ sich die Chance jedenfalls nicht entgehen. „Ich weiß nicht, was Herr Merz so macht, aber ich arbeite sehr viel, und viele Bürgerinne­n und Bürger dieses Landes auch. Ich finde es auch nicht richtig, wenn jetzt immer mal, wenn man einen feschen Spruch machen will, auf die Lehrer geschimpft wird“, sagt SPD-Kanzlerkan­didat Olaf Scholz unserer Redaktion.

Hinter Merz’ Mahnung verbirgt sich das konservati­ve Verständni­s eines schlanken Staates. Der Glaube daran, dass der Markt schon alles regeln werde, hatte zwar schon vor über einem Jahrzehnt, als Merz sich von der politische­n Bühne in Richtung Privatwirt­schaft verabschie­dete, Schrammen bekommen. Die Finanzkris­e hatte da gerade gezeigt, was ein ungezügelt­er Markt anrichten kann. Doch Merz bleibt seiner Linie treu. Er sieht darin den Beweis, dass er einen klaren Kompass hat. Seine Gegner kritisiere­n, er habe in der langen Zeit, in der er auf seine zweite Chance in der Politik gewartet hat, nichts dazugelern­t.

Als dritte Schwäche wird Merz seine Wirkung auf Frauen angekreide­t, die bekanntlic­h die Hälfte der Wählerscha­ft bilden. Prominent stellte er sich gegen den Vorschlag von CDU-Chefin Annegret KrampKarre­nbauer, die sich für eine Frauenquot­e von 50 Prozent starkmacht. Merz argumentie­rt, es mache keinen Sinn, Vorstandsp­osten ab der Kreisebene verpflicht­end an Frauen zu vergeben, solange die CDU einen derartigen Männerüber­schuss habe. Dass er ankündigt, als Parteichef eine weibliche Generalsek­retärin ernennen zu wollen, empfinden seine Kritikerin­nen eher als gönnerhaft denn als glaubwürdi­g.

Immer wieder scheint bei Merz ein Denken durch, das es heute schwer hat. Weil es als überholt gilt oder nicht dem Zeitgeist entspricht. Aber Merz scheint es nicht zu genügen, sich gegen diesen Zeitgeist zu stemmen. Er wirkt wie einer, der die Zeit zurückdreh­en will. Angela Merkel hat den Wandel nicht verzögert, sondern aktiv befördert. Für die Union war das eine Zumutung, doch die Aussicht auf Wahlsiege und Macht erstickten jegliche Rebellion. Nun herrscht eine neue Sehnsucht nach alten Gewissheit­en. Merz hat mit seinem Profil gute Karten, CDU-Chef zu werden. Was die Parteimitg­lieder gut finden, muss aber nicht für die Wähler gelten.

Er bestätigt das Klischee vom breitbeini­gen Chauvi

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Foto: Imago Images, Photothek Ein Mann und sein Ziel: Noch muss sich Friedrich Merz das Kanzleramt (im Hintergrun­d) aus der Ferne anschauen.

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