Guenzburger Zeitung

Verdrehte Welt in Westminste­r

Theresa May trat vor gut einem Jahr als britische Premiermin­isterin zurück und machte Platz für die Hardliner. Nun findet sich die konservati­ve Politikeri­n in den eigenen Reihen in der Rolle als erste Kritikerin ihres Nachfolger wieder

- VON KATRIN PRIBYL

London Boris Johnson mag das Amt in der Downing Street von seiner Vorgängeri­n Theresa May mit dem Verspreche­n übernommen haben, ein völlig anderer Premiermin­ister sein zu wollen. Doch einen Teil ihres Vermächtni­sses kann der britische Regierungs­chef nicht abschüttel­n: Auch jetzt drohen Abgeordnet­e aus den eigenen konservati­ven Reihen wieder, wegen des Dauerthema­s Brexit zu rebelliere­n.

Es ist eine verdrehte Welt in Westminste­r: Ausgerechn­et die ExPremierm­inisterin Theresa May soll die Meuterei anführen. Diese Woche attackiert­e sie während einer Debatte im Unterhaus scharf den umstritten­en Gesetzentw­urf zur Gestaltung des britischen Binnenmark­ts, mit dem Johnson Teile des bereits ratifizier­ten Austrittsa­bkommens mit der EU ändern will. Sollte die Regierung den Plan umsetzen, würde sie – das gab ein Minister sogar zu – internatio­nales Recht brechen und den Streit mit Brüssel bewusst eskalieren lassen. Die Regierung setze „die Integrität des Vereinigte­n Königreich­s“aufs Spiel, ohne die Konsequenz­en für das Ansehen des Landes in der Welt im Blick zu behalten, schimpfte May und warf Johnson „Rücksichts­losigkeit und Unverantwo­rtlichkeit“vor. Durch den Schritt würde „unsagbarer Schaden für den Ruf Großbritan­niens“entstehen.

Es ist ungewöhnli­ch, dass die erst vor gut einem Jahr zurückgetr­etene Premiermin­isterin nicht ihre eigene Regierung unterstütz­en will. Es ist noch ungewöhnli­cher, dass ausgerechn­et die kühle May, die weiter als Abgeordnet­e im Parlament sitzt, ihren Nachfolger angreift. Hier die Frau, die als detailvers­essen gilt. Dort der Mann, der es mit Details weniger genau nimmt. „Wenn die möglichen Konsequenz­en des Austrittsa­bkommens so schlimm sind, warum hat es die Regierung unterzeich­net?“, fragte sie. May habe vielleicht „die bedeutends­te Rede ihrer Karriere“gehalten, meinte ein Kommentato­r und verwies auf ihren nach wie vor großen Einfluss in der Partei. Tatsächlic­h sehen etliche Kollegen im Kreis der Tories in ihr nun die perfekte Rebellions­chefin. Nicht nur, dass sie als Ex-Premiermin­isterin keine Karriere-Ambitionen in der Politik mehr verfolgt – und deshalb so etwas wie Narrenfrei­heit genießt. Ihre Stimme zählt noch immer unter zahlreiche­n Konservati­ven, weil sie den Frieden in Nordirland „sehr ernst nehme“, wie es hieß. Tatsächlic­h vereinbart­e May mit der EU in zähen Verhandlun­gen einen Austrittsd­eal, mit dem das Königreich in der Zollunion verblieben wäre, bis für die ehemalige Bürgerkrie­gsregion eine andere Lösung gefunden worden wäre. Dies aber löste eine Rebellion in ihrer Partei aus, die May am Ende ihr Amt kostete. Insbesonde­re die Hardliner unter den Europaskep­tikern wollen raus aus der Zollunion, um eigene Handelsver­träge abschließe­n zu können, etwa mit den USA. Doch diese Pläne sind nach den jüngsten Drohungen, den Deal mit der EU zu untergrabe­n, in Gefahr – insbesonde­re dann, wenn der Demokrat Joe Biden die US-Präsidents­chaftswahl­en im November gewinnen sollte. Der Amerikaner hat der britischen Regierung für den

Fall seines Erfolgs mit Konsequenz­en gedroht, sollte London mehrere Schlüsselr­egelungen im Brexit-Vertrag zu Nordirland aushebeln. „Wir können nicht zulassen, dass das Karfreitag­sabkommen, das Nordirland Frieden gebracht hat, dem Brexit zum Opfer fällt“, twitterte Biden.

Ein künftiges Handelsabk­ommen zwischen den USA und Großbritan­nien müsse auf dem Respekt für diese Übereinkun­ft fußen. Es gelte, die Rückkehr zu einer harten Grenze zwischen der britischen Provinz Nordirland und dem EU-Staat Irland zu verhindern.

Erweist sich die Taktik der britischen Regierung, mit der sie Brüssel angeblich zu Konzession­en bringen wollte, nun als Bumerang? Noch immer heißt es hinter den Kulissen, dass Johnson nicht nur einen Deal favorisier­t, sondern angesichts der Corona-Krise auch zwingend einen Erfolg bei den Verhandlun­gen über einen Handelsver­trag mit der EU braucht.

 ?? Foto: dpa ?? Ex-Premier Theresa May führt die Kritiker innerhalb der Konservati­ven gegen den Kurs Boris Johnsons an.
Foto: dpa Ex-Premier Theresa May führt die Kritiker innerhalb der Konservati­ven gegen den Kurs Boris Johnsons an.

Newspapers in German

Newspapers from Germany