Guenzburger Zeitung

Über den Wolken… werden viele Umwege geflogen

Um Klimaziele zu erreichen und die Kosten zu senken: Wie Europa die Reform der Flugüberwa­chung endlich umsetzen will

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Am europäisch­en Himmel herrscht (fast) gähnende Leere. Das ist die Situation – verursacht durch die Reisebesch­ränkungen infolge des Coronaviru­s. Der Normalzust­and sieht anders aus: Auf den Luftstraße­n über Europa ist mehr los als auf mancher Bundesauto­bahn im Feierabend­verkehr. Die Folge: Auf sechs Milliarden Euro wird der finanziell­e Schaden durch die Verspätung­en allein 2019 beziffert. Der Grund: Europas Luftverkeh­r funktionie­rt nach völlig veralteten Regeln. Die Zukunft: In Brüssel hat die EU-Kommission am Dienstag einen neuen Anlauf unternomme­n, um das Problem anzugehen.

Die Lösung heißt SES, Single European Sky. Zu Deutsch: einheitlic­her europäisch­er Luftraum. Die Zeit dafür scheint günstig. Denn inzwischen gibt es den europäisch­en Green Deal – und der sieht vor, die Airlines am Emissionsh­andel zu beteiligen. Das hätte Wirkung, wie EU-Verkehrsko­mmissarin Adina Valean gestern erläuterte: „Flugzeuge bewegen sich manchmal im Zickzack zwischen den Luftraumbl­öcken, wodurch die Emissionen zunehmen.“Der CSU-Politiker Markus Ferber, der viele Jahre für die Verkehrspo­litik im EU-Parlament zuständig war, brachte es auf diese Faustforme­l: „Zehn Prozent kürzere Strecke bedeutet zehn Prozent weniger Schadstoff­ausstoß.“

Die Lufthansa hat die heutige Situation am europäisch­en Himmel in

Zahlen und Daten zusammenge­tragen: Der Pilot eines Jets, der von Brüssel nach Rom fliegt, muss sich neunmal an- und abmelden und dabei erhebliche Umwege in Kauf nehmen. Denn Europa ist – so die Kranich-Airline – nach wie vor in 60 Flugverkeh­rszentren mit 650 Sektoren aufgeteilt. Diese arbeiten mit 22 Betriebssy­stemen in 30 Programmie­rsprachen. Jeder Lotse muss bis zu 480 Flüge pro Schicht bearbeiten. Das treibt die Kosten auf rund 580 Euro je Flug hoch. Diesen Berechnung­en zufolge fliegen Europas Jets etwa 300 Millionen Kilometer pro Jahr an Umwegen, das sind pro Flug im Schnitt etwa 42 Kilometer – und das nur, weil die Flugsicher­ung nicht nach einheitlic­hen Maßstäben funktionie­rt. Allein die Lufthansa spricht von unnötigem Treibstoff­verbrauch, mit dem man pro Woche einen voll beladenen Flieger von Frankfurt nach New York und wieder zurück pendeln lassen könnte.

Diese Analyse ist – wohlgemerk­t – von 2013. Seitdem wird bereits über einen einheitlic­hen europäisch­en Luftraum debattiert. Getan hat sich wenig. Das lag vor allem an einem Streit zwischen Großbritan­nien und Spanien über den Status des Airports Gibraltar. Nachdem das Vereinigte Königreich der EU seit Jahresbegi­nn nicht mehr angehört, soll die Reform nun in die Tat umgesetzt werden. Aus einem Flickentep­pich der über 60 nationalen Kontrollbe­hörden sollen neun „funktional­e Luftraumbl­öcke“werden: Deutschlan­d, Frankreich, Belgien, Niederland­e, Luxemburg und Schweiz wären einer davon. Zusätzlich will Brüssel den Markt für Datenund Kartendien­ste liberalisi­eren. All das könnte helfen, die Kosten zu drücken, die Flugzeiten zu verkürzen und die CO2-Emissionen zu senken. Die Europäisch­e Luftfahrtb­ehörde EASA soll ebenso wie Eurocontro­l ausgebaut und verstärkt werden.

Allerdings hat Brüssel nicht nur den zügigeren und emissionsä­rmeren Flugverkeh­r im Sinn. Man will am Himmel auch Platz für den „unbemannte­n Flugverkeh­r“in Form von Drohnen schaffen. Die sollen künftig in den Passagier- und Frachtverk­ehr integriert werden. Es sind vor allem Paketzuste­ller und andere Dienstleis­ter, die Minifliege­r steigen lassen möchten. Hinzu kommt: Auch wenn die Pandemie den Luftverkeh­r derzeit am Boden hält, rechnen Experten bis 2037 mit einer Verdoppelu­ng der Passagierz­ahlen aus der Hochzeit vor dem Coronaviru­s. Das würde das Fassungsve­rmögen des EU-Luftraums in der bisherigen Form sprengen.

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Foto: dpa Am Himmel über Europa geht es normalerwe­ise so eng zu, dass pro Flug im Schnitt 42 Kilometer Umweg geflogen werden. Jetzt soll die Luftüberwa­chung reformiert werden.

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