Plastik kommt wieder in die Tüte
In Supermärkten waren Kunststoffverpackungen ein Auslaufmodell. Dann kam Corona und viele Kunden griffen doch lieber zu Obst und Gemüse in der Folie. Am Imageproblem der Branche ändert das allerdings wenig
Berlin Noch vor ein paar Monaten reagierten viele Verbraucher auf in Plastikfolie eingeschweißte Gurken oder abgepackte Äpfel und Tomaten im Supermarkt mit Unverständnis. Wozu der Verpackungsaufwand? Landet der ganze Plastikmüll nicht irgendwann im Meer? Handel und Hersteller bewegten sich und versuchen, dem wachsenden Umweltbewusstsein gerecht zu werden. Plastiktüten an der Supermarktkasse kosten inzwischen Geld. Viele Ketten bieten mehrfach verwendbare Tragenetze für Obst und Gemüse an. Und tatsächlich: Der Verbrauch von Plastiktüten ging allein im Jahr 2018 – neuere Zahlen liegen nicht vor – um 18 Prozent zurück. „Insgesamt wurden 0,6 Milliarden Kunststofftragetaschen weniger in Umlauf gebracht als noch 2017“, heißt es im Jahresbericht 2019 der Industrievereinigung Kunststoff. Dann kam Corona.
Während der strengsten Einschränkungen im Kampf gegen die Verbreitung des Virus waren Lebensmittelhändler und Supermärkte die einzigen offenen Geschäfte. Die Nachfrage nach Klopapier, Hygieneprodukten, Nudeln und Konserven stieg schlagartig – und damit auch die Nachfrage bei den Verpackungsherstellern in der Konsumgüterindustrie. Zweistellige Umsatzsteigerungen konnten diese zwischen Mitte März und Mitte April verzeichnen, teilte die Industrievereinigung seinerzeit mit. Besonders bei Verpackungsprodukten für Lebensmittel, Medikamente, Hygieneartikel, aber auch für Schutzbekleidung gab es demnach eine zum Teil deutlich höhere Nachfrage. Viele Verbraucher griffen nun – Umweltschutz hin oder her – allein schon aus hygienischen Gründen lieber zur eingepackten Tomate. „Beim Kunden kam auf einmal das an, was wir immer schon betonen: Dass Verpackungen vor allem auch eine Schutzfunktion haben“, sagt
Cheng, Geschäftsführerin des Deutschen Verpackungsinstituts, eines Branchennetzwerks. Auch Vorräte anlegen funktioniere nicht ohne Konserven.
Doch auch wenn die Pandemie für ein unerwartetes Hoch sorgt, bleiben die Verpackungshersteller unter Druck. Was gut für die Umwelt ist, ist schlecht für ihr Geschäft. Die Branche hat ein Imageproblem. „Verpackungen werden oft ‚aus der Mülltonne‘ heraus betrachtet und vorwiegend als Belastung wahrgenommen“, sagt Cheng. Im vergangenen Jahr sank der Umsatz um 7,3 Prozent auf 25,3 Milliarden Euro. Die Produzenten verpacken zudem nicht nur Lebensmittel. Zwar stehen Konsumgüterverpackungen für rund 60 Prozent des Umsatzes. Der übrige Teil aber geht zurück auf Abnehmer in der Industrie, etwa die Autobranche, die Gastronomie oder Möbelhersteller. Weil Lieferketten unterbrochen waren und vielerorts die Produktion ruhte, brach die Nachfrage hier während der Corona-Krise massiv ein. „Ein Viertel aller Unternehmen berichtet sogar über Rückgänge von mehr als 20 Prozent“, rechnet die Industrievereinigung Kunststoff vor.
Inzwischen hat sich die Entwicklung in beiden Bereichen wieder angeglichen. Während etwa die AutoKim industrie hochfährt, kaufen die Kunden im Supermarkt weniger Klopapier. „Die Konsumenten haben Vorräte angelegt, die nun erst mal aufgebraucht werden müssen“, sagt Cheng.
Der Umweltgedanke ist im Lebensmittelhandel trotz Corona nicht verloren gegangen. Ende August kündigte etwa der Discounter Penny an, bei Bio- und Gemüseartikeln „wo es möglich ist“dauerhaft auf plastikfreie Verpackungen setzen zu wollen. „Alle großen Handelsunternehmen haben bereits in den vergangenen Jahren detaillierte Pläne für eine Zukunft mit weniger und besseren Verpackungen ausgearbeitet“, teilte die Geschäftsführerin für Nachhaltigkeit beim Handelsverband Deutschland, Antje Gerstein, mit. „Diese werden auch weiterverfolgt werden und keinesfalls durch die Krise obsolet.“
In dieser Woche richtet das Verpackungsinstitut eine „Dialogwoche“für die Branche aus. Dabei geht es auch um Recycling-Quoten und eine mögliche Plastiksteuer. Im Idealfall, sagt Cheng, wisse der Kunde, wenn er zur Kunststoffverpackung greift, dass er sich damit nicht nur selbst schütze, sondern dass die Verpackung anschließend auch recycelt werde.