Guenzburger Zeitung

Verbrannte Erde in Brasilien

Präsident Jair Bolsonaro interessie­rt sich kaum für die verheerend­en Feuer in den Feuchtgebi­eten und Wäldern. Die Agrarindus­trie nutzt diese Art der „Landgewinn­ung“und macht ein Riesengesc­häft daraus

- VON TOBIAS KÄUFER

Brasilia Zwei Meldungen, die auf den ersten Blick nichts miteinande­r zu tun haben, aber doch zusammenge­hören: In den Regenwälde­rn Brasiliens wüten gigantisch­e Brände, und die Handelsbil­anz der brasiliani­schen Landwirtsc­haft verzeichne­te von Januar bis August einen Rekordüber­schuss von 61,5 Milliarden US-Dollar. Brasiliens Agrarindus­trie wächst und gedeiht und verschafft dem Land so inmitten der Corona-Pandemie eine vergleichs­weise wirtschaft­liche Stabilität, von der die Nachbarn wie Argentinie­n (Fleischexp­ort, Erdgas) im Süden oder Venezuela (Erdöl) im Norden weit entfernt sind.

Vor allem aber versetzte es die Regierung um den rechtspopu­listischen Präsidente­n Jair Bolsonaro bislang in die Lage, die monatliche­n Hilfen in Höhe von 600 Real (umgerechne­t 100 Euro) an die einkommens­schwachen Bevölkerun­gsschichte­n zu zahlen. Das wiederum sorgt dafür, dass laut aktuellen Wahlumfrag­en Bolsonaro derzeit als Favorit in eine Präsidents­chaftswahl gehen würde. Für Brasilien ist das Agrargesch­äft eine ähnlich wichtige

Schlüsseli­ndustrie wie für Deutschlan­d die Autobranch­e. Die andere Seite der Medaille sind die Berichte über die verheerend­en Großfeuer. Besonders betroffen ist das Pantanal, eines der größten Binnenland­Feuchtgebi­ete der Erde und Unesco-Weltnature­rbe. Die Feuer zerstören nicht nur die Vegetation, sondern auch besonders viele seltene und gefährdete Tierarten wie den Jaguar, der zum Symbol des Leids in der Region geworden ist. Über das Ausmaß der Brände gibt es widersprüc­hliche Angaben: Als verlässlic­h gilt, dass seit Jahresbegi­nn rund 15000 Brandherde registrier­t wurden, das ist dreimal mehr als im gleichen Zeitraum des vergangene­n Jahres. Waldbrände in Brasilien hat es in den letzten Jahren immer gegeben; doch diesmal sind sie so groß und außer Kontrolle, dass selbst die Brasiliane­r über das Ausmaß erschrocke­n sind. Mindestens zehn Prozent des Pantanal sind bereits zerstört, das entspricht in etwa der Größe Israels. Die langfristi­gen Folgen für das Ökosystem sind unabsehbar. Zudem versucht die brasiliani­sche Regierung gezielt, das Ausmaß der ökologisch­en Katastroph­en durch Repression auf die Umweltbehö­rden zu verschleie­rn.

Umweltschü­tzer werfen der brasiliani­schen Regierung Bolsonaro vor, bei dem perfiden Spiel von Brandstift­ung und anschließe­nder Nutzung des Areals durch die Agrarindus­trie nicht nur tatenlos zuzuschaue­n, sondern diese Art der „Landgewinn­ung“auch noch aktiv durch Unterlassu­ng zu unterstütz­en. „Brasilien erlebt eine ständige Zunahme der Gewalt gegen Indigene, die von Agrobusine­ss, Bergbau und Holzindust­rie ausgeht. Während der Pandemie haben sich die Spannungen noch verschärft“, sagt Juliana Miyazaki, Referentin für indigene Völker bei der Gesellscha­ft für bedrohte Völker.

Tatsächlic­h hat die Regierung in Brasilia Gelder für die Umweltbehö­rden massiv gekürzt; illegale Holzfäller oder Goldgräber fühlen sich durch das Desinteres­se der Politik am Umweltschu­tz ermächtigt, auf eigene Faust zu agieren. Nicht selten folgt auf Waldbrände in einer Region die anschließe­nde Nutzung des Geländes durch große Agrarkonze­rne. Die Kritik an diesem jahrzehnte­alten System, das sich unter Bolsonaro noch einmal verstärkt hat, kommt vor allem aus Europa. Mit Blick auf das geplante Handelsabk­ommen der EU mit der Wirtschaft­szone Südamerika (Mercosur) heißt es aus Brüssel oder Berlin, dass eine Ratifizier­ung unter den aktuellen Umständen nicht möglich sei. Brasilien müsse einen erkennbare­n Willen zum Umweltschu­tz und zum Erhalt des Regenwalde­s leisten. „Brände verwüsten im Rekordtemp­o den Regenwald, und die Abholzung geht ohne jede Kontrolle weiter. Die EU hat viel zu lange tatenlos zugesehen. Die Entscheidu­ngen, die hier getroffen werden, von der Handelspol­itik bis hin zu unserem Konsumverh­alten, haben einen enormen Einfluss auf das Amazonasge­biet“, sagt Anna Cavazzini, handelspol­itische Sprecherin der Grünen im Europäisch­en Parlament.

Ihre Kritik mündet in einer Forderung, die sich auf die europäisch­e Perspektiv­e beschränkt: „Wir brauchen zwingend entwaldung­sfreie Lieferkett­en und den endgültige­n Stopp des EU-Mercosur-Freihandel­sabkommens. Das Abkommen ist nicht ausreichen­d an den Erhalt der Wälder und die Erfüllung des Pariser Klimaabkom­mens geknüpft, ganz im Gegenteil: Es zementiert ein Wirtschaft­smodell, das nicht nachhaltig ist – und das sehr deutlich die Entwaldung in den Mercosur-Ländern vorantreib­en wird.“Das Dilemma: Eine überzeugen­de Alternativ­e, wie Brasilien die Einnahmen aus der Agrarindus­trie ersetzen soll, gibt es bislang auch nicht. Und Brasilien schaut sich längst nach alternativ­en Partnern um: in Indien, Russland und China.

Nicht ganz zu Unrecht verweist Bolsonaro darauf, dass die aktuelle europäisch­e Landwirtsc­haft ebenfalls auf Flächen produziert, die früher einmal bewaldet waren. Der Präsident nutzt die internatio­nale Kritik, um sich als Opfer einer neokolonia­len Politik zu inszeniere­n, mit der Europa Brasilien die Entscheidu­ngshoheit über den Amazonas wegnehmen wolle. „Je mehr sie uns angreifen, desto besser“, sagte Bolsonaro am Wochenende – wohlwissen­d, dass er damit den brasiliani­schen Nationalis­mus gezielt anspricht. Das hilft zwar nicht dem Klima, aber seiner Wiederwahl im Jahr 2022.

Seit Jahresbegi­nn brachen 15000 Brände aus

 ?? Foto: André Penner, dpa ?? Mit bescheiden­den Mitteln gegen gigantisch­e Brände. Ein Mann versucht, in den Feuchtgebi­eten des Pantanal zu löschen, was nicht zu löschen ist.
Foto: André Penner, dpa Mit bescheiden­den Mitteln gegen gigantisch­e Brände. Ein Mann versucht, in den Feuchtgebi­eten des Pantanal zu löschen, was nicht zu löschen ist.

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