Warum ist Bayern so stark betroffen?
Im Freistaat sind besonders viele Menschen mit dem Coronavirus infiziert – und die Zahlen steigen weiter. Wie die Lage ist, welche Erklärungen es geben könnte und wie der Ministerpräsident reagiert
Am dunkelsten ist es in Bayern – zumindest auf der Karte des Robert-Koch-Instituts. Und dieses satte Dunkelblau, in das der Freistaat da getüncht ist und das sich bedrohlich gegen die helleren Gebiete abhebt, bedeutet: In Bayern gibt es die meisten Covid-19-Fälle pro 100 000 Einwohner – nämlich: 499,6. Auch alle anderen Zahlen, die auf der Seite des Instituts zu lesen sind, verfinstern zunehmend die Stimmung der Menschen im Land: 65331 Bürger haben sich – Stand Dienstag – bisher mit dem Virus infiziert. Das sind 412 mehr als am Vortag. Gestorben sind in Bayern bislang 2651 Menschen.
In Nordrhein-Westfalen – ebenfalls ein Hotspot-Bundesland – gibt es seit Ausbruch der Pandemie 65753 Corona-Fälle. Absolut betrachtet sind das mehr als in Bayern – auf 100 000 Einwohner gerechnet sind es mit 366,7 aber deutlich weniger.
Um die aktuellen Zahlen einordnen zu können, lohnt sich auch ein Blick auf die 7-Tage-Inzidenz – damit werden die Fälle der letzten sieben Tage pro 100000 Einwohner abgebildet. Und auch hier zeigt sich: Bayern ist mit 20,2 derzeit ganz weit vorne. Nur Berlin liegt mit 22,8 Fällen pro 100 000 Einwohnern in sieben Tagen darüber.
Angesichts derlei Daten kommen Fragen auf. Etwa: Warum sind die Infektionszahlen ausgerechnet im Freistaat – der in vielen anderen Bereichen ja eher zu den Musterschülern zählt – so hoch? Liegt die hohe Zahl an der bayerischen Teststrategie? Immerhin wurden im Freistaat mit bislang mehr als 3,6 Millionen Tests besonders viele Untersuchungen durchgeführt. Also kurzum: Gibt es mehr Infizierte, weil es so viele Tests gibt?
Zurück zum Anfang. In den Winter des Jahres 2020, als die Pandemie Deutschland erreicht hat und alles verändern sollte. Dass die Zahlen bereits damals in Bayern sehr früh besonders hoch waren, wurde damit begründet, dass der Freistaat früher als andere Bundesländer in Kontakt mit dem Virus gekommen sei. Heimkehrende Skiurlauber aus Ischgl, von denen eben viele aus Bayern kamen, wurden als einer der Hauptgründe genannt.
Am Ende der Sommerferien war die Argumentation dann eine ähnliche: Die hohen Fallzahlen seien auf Reiserückkehrer zurückzuführen, hieß es da. „Wir hatten die Sorge vor dem Urlaub – die war berechtigt“, sagte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder Anfang September. Er verwies zudem auf die Nähe Bayerns zum Balkan. Ein großer Teil der positiv Getesteten sei auf Heimatbesuch in Ländern wie Kroatien und Albanien gewesen.
Und jetzt? Professor Clemens Wendtner, Chefarzt der Klinik für Infektiologie an der München Klinik Schwabing, erklärt die derzeitige Situation, in der die Infektionszahlen immer weiter nach oben gehen, ganz ähnlich. „Urlaubsrückkehrer sowie die bayerische Testoffensive sind die Hauptgründe für die aktuell steigenden Zahlen der Covid-19-positiv getesteten Menschen“, sagt der Mediziner.
Derzeit gibt es in Würzburg besonders viele Fälle. Am vergangenen Wochenende lag die7-Tage-Inzidenz bei 79,8, am Montag bei 61,8 und damit weit über dem bayerischen Durchschnitt. Auch Würzburgs Landrat Thomas Eberth zieht zur Begründung dafür die hohe Anzahl an Tests heran: „Wir haben mehr getestet als jedes andere Gesundheitsamt in Bayern.“Er gehe deshalb davon aus, dass dabei auch viele Infizierte ermittelt wurden, die andernorts unerkannt blieben, weil sie keine Symptome hatten.
Eines zeige sich übrigens derzeit ganz deutlich: Unter den positiv Getesteten seien vermehrt junge Menschen mit milden Verläufen, sagt Professor Wendtner von der München Klinik Schwabing. „Diese wurden zuvor seltener identifiziert und isoliert. Damit werden beispielsweise ältere Familienmitglieder vor Ansteckungen und potenziell schwereren Verläufen geschützt. Darüber hinaus haben wir gelernt, dass wir auch vulnerable Gruppen zum Beispiel in Pflegeheimen oder Altenheimen besser schützen.“
Wendtner räumt gegenüber unserer Redaktion aber zugleich ein: Auch in Nachbarländern habe die Situation vor wenigen Wochen noch entspannter ausgesehen. „Deshalb ist Vorsicht geboten, denn die Infektionsketten innerhalb von Familien und anderen Gruppen haben eine Latenzzeit und schwere Fälle können dann erst später zu Buche schlagen.“
Diese Erkenntnis leitet auch die Staatsregierung. „Die Zahl derer, die über Leichtsinn sich infizieren,
Bei der 7-Tage-Inzidenz liegt der Freistaat hinter Berlin
Verschärftes Regelwerk für die Gesundheitsbehörden
wächst“, sagt Ministerpräsident Markus Söder (CSU). „In dem Moment, in dem die Krankenhäuser wieder voll sind, ist der Zeitpunkt der Eindämmung fast schon verpasst.“Das Kabinett hat deshalb beschlossen, den Gesundheitsbehörden vor Ort ein verschärftes Regelwerk an die Hand zu geben für den Fall, dass die 7-Tage-Inzidenz von 50 in ihrem Zuständigkeitsbereich überschritten werde. Danach soll angeordnet werden, dass sich nur noch maximal fünf Personen beziehungsweise zwei Hausstände privat oder im öffentlichen Raum treffen dürfen. Die Teilnehmerzahl von privaten Feiern soll in geschlossenen Räumen auf 25, im Freien auf 50 Personen begrenzt werden. Zudem soll es eine Maskenpflicht und ein Alkoholverbot auf stark frequentierten öffentlichen Plätzen geben. Und der Besuch von Krankenhäusern und Heimen soll wieder eingeschränkt werden – auf eine Person pro Tag und feste Besuchszeiten.
Außerdem habe der Ministerrat beschlossen, die Ertüchtigung von Schulen und Kitas mit technischen Lösungen zur Luftreinigung zu unterstützen. Dafür werden 50 Millionen Euro zur Verfügung gestellt.