Guenzburger Zeitung

„Wir sind jetzt offener, weiblicher, diverser“

Erstmals seit Gründung der Rotary Clubs ist ein Deutscher Weltpräsid­ent der Rotarier. Ein Gespräch mit Holger Knaack über die Tätigkeite­n der Organisati­on

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Herr Knaack, was macht ein RotaryWelt­präsident?

Holger Knaack: Unser Headquarte­r ist in der Nähe von Chicago. Ohne Corona wäre dort jetzt mein Arbeitspla­tz. Die meiste Zeit würde ich durch die Welt reisen, um unsere internatio­nalen Projekte, vor allem unser Impfprogra­mm gegen Polio, zu begleiten. Ein Rotary-Präsident ist in seinem Amtsjahr höchstens 20 Tage zu Hause. (lacht) Im Moment läuft aber alles – Konferenze­n mit den Clubs, die die Projekte vor Ort durchführe­n oder mit organisier­en, Treffen mit der WHO – bei mir zu Hause in Ratzeburg über Videokonfe­renz. Und, ehrlich, ich glaube, wir sind so noch effektiver geworden.

Welche Idee steckt hinter Rotary? Knaack: Unsere Clubs sind Orte, in denen sich Gleichgesi­nnte treffen, Freundscha­ften schließen. Sie tragen meist beruflich Verantwort­ung und verpflicht­en sich, sich sozial zu engagieren. Das Ziel ist, anderen Türen zu öffnen. Wenn wir zum Beispiel jemandem einen Rollstuhl besorgen, geben wir diesem einen Menschen neue Möglichkei­ten für sein Leben. Grob gesagt, ist das die Idee.

In Deutschlan­d gilt, anders als in den USA, die Vorschlags­regel: Wer keine Empfehlung hat, wird nicht in den Club aufgenomme­n. Ist Rotary ein elitärer, abgeschlos­sener Zirkel? Knaack: Als Herrenclub wie früher haben wir keine Zukunft. Noch vor 30 Jahren waren Frauen zum Beispiel unerwünsch­t. Aber inzwischen ist auch eine Krankensch­wester bei uns Mitglied oder ein Assistenza­rzt. In Augsburg werden drei der vier Clubs von Frauen geführt. Wir sind in den letzten Jahren offener, weiblicher, diverser geworden. Die BlackLives-Matter-Bewegung in den USA hat eine intensive Rassismusd­ebatte in Gesellscha­ften weltweit ausgelöst, die ich als Weltpräsid­ent auch bei Rotary führen werde.

Nach welchen Kriterien wird jemand zur Aufnahme vorgeschla­gen? Knaack: Das kommt darauf an. Wer eben passt.

Ein Schweißer?

Knaack: Gute Frage. Wichtig ist: Es müssen Menschen sein, die bereit sind, Verantwort­ung zu übernehmen. Meistens sind es Führungskr­äfte, die die gesellscha­ftliche Struktur vor Ort abbilden. Ein Club entscheide­t zum Beispiel, noch Ingenieurs­berufe aufzunehme­n oder eine Künstlerin. Krankensch­wesCharity-Events tern haben ja in letzter Zeit eine höhere Wertigkeit erfahren, die waren früher nicht bei uns vertreten.

Die Rotary Foundation gibt pro Jahr 400 Millionen Euro in Projekte, vor allem in den ärmeren Ländern der Welt. Wäre es nicht besser, das Geld direkt der WHO oder der Unesco zu überweisen, damit die Weltgemein­schaft demokratis­ch entscheide­n kann, was dringlich ist?

Knaack: Wir sind ja bei der UN als Nichtregie­rungsorgan­isation gelistet und arbeiten mit denen zusammen. Der Vorteil unseres Netzwerkes ist, dass wir – bis auf Saudi Arabien, Iran und eine Handvoll anderer Staaten – in jedem Staat Clubs haben, die den Bedarf vor Ort kennen,

veranstalt­en oder mit ihren Plänen direkt auf die Rotary Foundation zukommen. So können wir relativ unbürokrat­isch libanesisc­he Wasserproj­ekte, indische Schulproje­kte oder Solarlampe­n für ein Navajo-Gebiet in Colorado realisiere­n.

Hat Corona für neue Projekte gesorgt? Knaack: Ja. Die Rotary Foundation hat einen eigenen Topf für CoronaHilf­en aufgelegt. So konnten wir in afrikanisc­he Länder und nach Indien medizinisc­he Schutzausr­üstung und Beatmungsg­eräte liefern. Pandemiebe­kämpfung ist ja eines unserer Kerngeschä­fte. Seit 40 Jahren organisier­en wir mit der WHO weltweit Kampagnen gegen Polio. Einen

Meilenstei­n haben wir gerade erreicht: Mit Nigeria haben wir jetzt auch in dem letzten afrikanisc­hen Land die Kinderlähm­ung ausgerotte­t. Auch auf die Brandkatas­trophe in Beirut konnten wir effektiv reagieren. Unsere libanesisc­hen Clubmitgli­eder haben sofort Material und Hilfe angefragt, und andere Clubs konnten liefern.

Was treibt Sie persönlich an, Rotary zu dienen, wie es intern heißt? Knaack: Rotary eröffnet Horizonte. Für mich ist die Jugend wichtig. Mit unseren Schüleraus­tauschprog­rammen können Jugendlich­e aus unseren Clubs in aller Welt fremde Länder erkunden, einen internatio­nalen Freundeskr­eis aufbauen. Meine Frau und ich haben über die Jahre 43 Schülerinn­en und Schüler für mehrere Wochen oder auch Monate bei uns aufgenomme­n. Das war eine unglaublic­h bereichern­de Zeit.

Sie verfügen über neun Gästezimme­r. Knaack: Die sind auf unser und das Nachbarhau­s meiner Schwägerin und Schwester verteilt. Ja, wir haben gerne Gäste und unsere große Familie um uns herum. Aber die Austauschp­rogramme hat Corona jetzt erst einmal lahmgelegt. Wir sind froh, dass wir für fast alle Rotary-Jugendlich­en im Frühjahr die Heimreisen organisier­en konnten.

Für die Finanzieru­ng der staatliche­n Corona-Hilfsprogr­amme hat das Deutsche Institut für Wirtschaft­sforschung eine einmalige Abgabe für Bürger mit einem Vermögen ab 2,3 Millionen Euro vorgeschla­gen. Würden Sie dem zustimmen?

Knaack: Durch die Nullzinspo­litik werden die großen Vermögen ja bereits angegriffe­n. Ein besserer Ansatz zur Bewältigun­g dieser Krise ist unser soziales Miteinande­r. Wir sollten aufeinande­r achten, die Funktionsf­ähigkeit des Sozialstaa­ts erhalten und die soziale Marktwirts­chaft als Grundlage ausbauen.

Interview: Stefanie Schoene

 ?? Foto: Michael Hochgemuth ?? Präsident eines weltweiten Verbunds von Menschen, „die bereit sind, Verantwort­ung zu übernehmen“: Holger Knaack beim Besuch in Augsburg.
Foto: Michael Hochgemuth Präsident eines weltweiten Verbunds von Menschen, „die bereit sind, Verantwort­ung zu übernehmen“: Holger Knaack beim Besuch in Augsburg.

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