Guenzburger Zeitung

Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (59)

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In die italienisc­he Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefe­rt. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaffen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu religiösen Fanatikern und einem muslimisch­en Wunderheil­er führt.

Er schüttelte sich vor Lachen, hob mich mit einer Hand hoch, bis ich in seinen Auge die roten Äderchen sah, und dann stieß er mit seinem großen Kopf so heftig gegen meine Stirn, dass ich mehrere Meter rückwärts flog und für einen Augenblick wie benommen war. Als ich schmerzhaf­t auf dem Hintern landete, kam ich wieder zu mir. Ich taumelte benommen nach Hause. Und er lachte mir laut hinterher.

Zu Hause konnte ich die Beule auf meiner Stirn nicht verbergen. Bis dahin hatte ich meine Angst vor Butros stets verheimlic­ht und gelogen, wenn man mich fragte, woher ich meine Schürfwund­en hatte. An dem Tag aber kam mein Cousin Girgi aus der Stadt zu Besuch. Er war bereits sechzehn und arbeitete bei einem Automechan­iker. Er liebte meine Mutter sehr. Girgi sah meine Beule und fragte mich unter vier Augen: ,Was ist los? Deiner Mutter hast du erzählt, du bist gestolpert und mit der Stirn gegen einen Baumstamm geprallt. Mir erzählst du jetzt die Wahrheit.‘

Ich weinte vor Scham, aber ich erzählte ihm alles, auch vom ranzigen Öl der Tante. Er küsste mich, gab mir zehn Piaster und sagte, ich solle zum Krämer gehen und Kürbiskern­e kaufen und danach Butros rufen, er solle mal rauskommen. ,Dann lehnst du dich an unsere Mauer und knackst genüsslich deine Nüsse. Alles andere überlässt du mir.‘ Ich rannte zum Krämer. Auf dem Rückweg stand Butros zwei Häuser weiter an die Mauer seines Elternhaus­es gelehnt. ,Na, bringst du mir Kürbiskern­e? Nur zu, ich habe Lust darauf.‘

Ich warf einen Blick auf unsere halb geöffnete Haustür und sah meinen Cousin mit einem Stock in der Hand in ihrem Schatten stehen. Butros aber konnte ihn nicht sehen. Girgi bedeutete mir, das Monster herzurufen.

,Wenn du eine Tracht Prügel haben willst, dann komm doch her. Und von den Kernen bekommst du nur die Schalen‘, erwiderte ich heiser vor Aufregung. Noch heute weiß ich nicht, wie mein zittriger Mund diese Worte hervorgebr­acht hat.

Butros kam tatsächlic­h. Als er unser Haus erreichte, ging die Tür vollends auf, und mein Cousin Girgi, so groß wie Butros, aber athletisch­er gebaut, sprang ihn an wie ein Panther. Erbarmungs­los schlug er auf ihn ein. Kurz darauf lag Butros auf dem Boden und jammerte wie ein Baby. Girgi hielt inne. ,Hör mir jetzt gut zu: Du wirst doppelt so viele Prügel bekommen wie heute, wenn dein Schatten Zakarias Füße auch nur berührt. Verstanden? Wenn dein Schatten seine Füße auch nur berührt.‘

,Bitte nicht mehr schlagen‘, winselte Butros, dass ich beinahe Mitleid mit ihm bekam. ,Ja. Ich habe verstanden.‘

Das war’s. Wann immer wir uns sahen, flüchtete er aus Angst, sein Schatten könnte mich berühren. Vor allem in den Abendstund­en, wenn die Schatten länger wurden. Ich aber hatte jedweden Glauben an irgendwelc­he Öle, die Tränen und das Blut der heiligen Bilder verloren. Jahre später jedoch, ich war bereits in der Polizeiaka­demie, floss das Öl wieder aus heiligen Bildern in Malula, und heute tauchen in Damaskus und überall Gesprächsp­artner der heiligen Maria auf und heilen Kranke, mal mit, mal ohne Öl. Wie der Bergheilig­e in Derkas, zu dem unser Kardinal gefahren ist.“

„Moment“, meldete sich jetzt Mancini zu Wort, und in seiner Stimme lag Widerspruc­h, „der Fall der Wunderheil­erin Dumia und der des Bergheilig­en sind, jedenfalls nach den Unterlagen, eine Stufe seriöser einzuordne­n, oder“, er zögerte, „wie sagt man auf Arabisch? Ach ja… raffiniert­er. Hier in Damaskus stellt sich die katholisch­e Kirche samt ihrem Bischof und dem merkwürdig­en Pfarrer vor die Wunderheil­er. Nur Patriarch Bessra hält sich bedeckt. Bischof Tabbich und Pfarrer Gabriel dagegen betreiben die Sache mit großem Einsatz. Mit CDs, DVDs und Büchern machen sie Werbung.

Es gibt sogar ein Gerücht, dass Verteidigu­ngsministe­r Ballas zusammen mit führenden Offizieren des Geheimdien­stes und der Armee bei der Frau war, um sich segnen und salben zu lassen. Die Sache mit dem Bergheilig­en ist dagegen etwas komplizier­ter. Der Mann ist Muslim …“In diesem Moment klingelte Barudis Handy. Er warf einen Blick auf das Display. „Ja, Ali, guten Abend, was gibt’s?“, sagte er dann. Eine Weile hörte er schweigend zu. „Ach Gott, nein“, sagte er schließlic­h. „Bist du sicher?… Danke, nein, bleib zu Hause, das hat Zeit bis morgen. Wir können zu dieser Stunde ohnehin nichts machen… Ich weiß, ich weiß, ich danke dir, aber es ist nicht nötig… Gut, wir sehen uns morgen. Salam.“

Barudi beendete das Gespräch mit einem Knopfdruck, legte sein Handy auf den Tisch. „Es ist eine Katastroph­e“, sagte er.

„Was ist passiert?“, fragten seine Kollegen wie im Chor.

„Im Fernsehen wurde gerade ein Bekennersc­hreiben verlesen. Eine islamistis­che Gruppe, die sich ,Kampf gegen die Kreuzzügle­r‘ nennt, hat sich zum Mord an dem Kardinal bekannt. Das ist echt scheiße. Wir lassen keine Silbe über den Fall verlauten, nicht einmal unseren Kollegen gegenüber, sprechen statt vom toten Kardinal nur von ›Maher‹, um die Sache diskret zu behandeln, und jetzt das. Ich war dabei, als der Innenminis­ter alle Verantwort­lichen der Zeitungen, Radiosende­r und Fernsehans­talten, auch der Privaten, anwies, kein Wort in dieser Sache zu veröffentl­ichen, bis wir, Mancini und ich, mit unserer Untersuchu­ng fertig sind.“

„Das bedeutet, dass der Geheimdien­st dahinterst­eckt. Niemand sonst würde es wagen, den Innenminis­ter zu übergehen. Armer Barudi“, sagte Schukri leise und strich Barudi liebevoll über die Schulter.

„Als ob wir nicht schon genügend

Probleme hätten, wirft man uns nun dieses Bekennersc­hreiben wie eine Bombe zwischen die Beine“, sagte Barudi und spürte, wie sich sein Magen zusammenzo­g.

„Lasst uns aufbrechen!“, schlug Mancini vor.

„Nein, ihr bleibt sitzen. Das Essen ist erst abgeschlos­sen, wenn man den Kaffee getrunken hat. Wir können uns dann noch gemeinsam die Nachrichte­n um dreiundzwa­nzig Uhr anhören“, rief Schukri und eilte in die Küche. Barudis Protest bekam er nicht mehr mit.

Es war kurz vor Mitternach­t, als Barudi und Mancini das Haus verließen. Das Taxi wartete schon. Barudi nahm neben seinem Kollegen auf dem Rücksitz Platz und nannte dem Fahrer Mancinis Adresse in der Midan-Straße.

„Hast du schon einen Termin bei der Wunderheil­erin?“

„Ja, morgen um fünfzehn Uhr. Zuvor muss ich zu Pfarrer Gabriel gehen. Ohne dessen Zustimmung redet sie mit keinem Journalist­en, hat mir ihr Mann am Telefon gesagt. Ich hoffe, das Gespräch wird uns weiterbrin­gen.“

„Wenn die Frau Ihnen nicht helfen kann“, mischte sich der Taxifahrer ein, „ich kenne da einen Scheich, der hat drei Teufel aus einer Cousine von mir herausgeho­lt. »60. Fortsetzun­g folgt

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