Ist das Gesundheitsamt des Landkreises überfordert?
Die Behörde ist in der vergangenen Woche, in der über 180 Kinder und Erwachsene in Quarantäne geschickt werden mussten, an ihre Grenzen geraten. Warum es hakt und was sich verändern muss, erklärt Landrat Reichhart
Nachdem viele Schüler und Lehrer wegen eines Corona-Falls in Quarantäne müssen, wird Kritik am Landratsamt laut.
Günzburg Das Gesundheitsamt am Landratsamt Günzburg hat es in diesen Tagen nicht leicht: Erst mussten am vergangenen Mittwoch 150 Personen auf einen Schlag coronabedingt in Quarantäne geschickt werden. Hintergrund waren drei positive Corona-Fälle in einem Hort und zwei Schulen. Dann folgte am Wochenende der nächste Schlag und eine weitere Klasse mit 34 Schülern und drei Lehrern musste sich in Quarantäne begeben. Und jetzt wächst die Kritik an der Arbeit des Amts. Viele betroffene Eltern fühlten sich alleingelassen, bemängeln eine zu späte Kontaktaufnahme durch das Gesundheitsamt, schlecht geschultes Personal und widersprüchliche Aussagen am Telefon sowie chaotische Situationen bei den Teststationen. Viele fragen sich, warum das Amt die Lage nicht im Griff hat, wo doch monatelang Zeit war, um sich darauf vorzubereiten. Landrat Hans Reichhart (CSU) nimmt zu den Vorwürfen Stellung.
Wie Reichhart am Telefon betont, hatte sich das Landratsamt in den vergangenen Wochen und Monaten vorbereitet und auf die Corona-Situation eingestellt. „Auf was wir eingestellt sind, ist allerdings ein Mittelmaß, 50 bis 60 positive Corona-Fälle können wir händeln“, sagt Reichhart. Eine Situation wie in der vergangenen Woche sei „ein brutaler Extremfall“. Dass das Gesundheitsamt zugegebenermaßen überrollt wurde, hängt Reichhart zufolge von einer Reihe verschiedener unglücklicher Faktoren ab, die zusammengekommen seien.
Problem Nummer eins: Personal. Bis Ende August habe ein gut eingespieltes Team zusammengearbeitet. Es gebe einen engen Pool von zwölf bis 15 Mitarbeitern, hinzu kämen Mitarbeiter des Gesundheitsamts, Auszubildende und Kollegen aus vielen anderen Abteilungen und Ämtern, die abgezogen worden seien und sich speziell mit dem Thema Corona befassten. Dazu gehörten beispielsweise auch Sozialarbeiter und der Klimaschutzmanager. Zudem würden immer wieder Stellenanzeigen geschaltet, um neue Helfer zu gewinnen. Wer ins Corona-Team komme, werde online geschult und zwischen drei und fünf Tagen bei seiner Arbeit begleitet. Doch dann gab es Reichhart zufolge einen nicht geplanten „harten Schnitt“. Das Finanzamt habe zwei Wochen zu früh einen Schwung Mitarbeiter abgezogen, die im Landratsamt mitgeholfen hatten, sodass in der letzten Ferienwoche auf einen Schlag erfahrene Kollegen fehlten. Neue hätten für die Kontaktpersonenermittlung bei Coronafällen eingestellt werden müssen und konnten nicht mehr
bisherigen Personal unterstützt werden. „Wir mussten mit komplett unerfahrenen Leuten neu anfangen und quasi von vorne beginnen“, erklärt Reichhart. Ein weiteres Problem sei, dass manche Mitarbeiter vor vielen Wochen angelernt worden seien, sich seitdem aber die Corona-Vorgaben so verändert hätten, dass sie bei einem Notfall zwar sofort einspringen könnten, sich aber erst wieder einarbeiten müssten. Landrat Reichhart vergleicht es mit einer „Operation am lebenden Organismus“. „Wir müssen selbst ständig etwas verändern und dazulernen.“Es habe insofern funktioniert, als bis zuletzt die Zahlen der positiven Corona-Fälle im Landkreis rückläufig gewesen seien und die Mitarbeiter sich einarbeiten konnten. „Wir waren auf einem guten Weg.“Allerdings könnten nicht permanent alle Mitarbeiter für Corona-Telefonarbeit gebunden werden, „wir haben gleichzeitig noch andere Herausforderungen, für die wir Personal benötigen. Es muss ja auch sonst weiterlaufen“, so Reichhart. In der vergangenen Woche habe er sofort Notfallpersonal hinzugezogen, sodass sich zusätzlich zu dem zwölfköpfigen Pool 50 Sachbearbeiter nur um den neuen CoronaFall kümmern konnten. Dass nicht alle Mitarbeiter den gleichen Sachund Informationsstand hätten, sei ein Problem, aber in der Kürze der Zeit nicht lösbar.
Problem Nummer zwei: Bei dem positiven Corona-Fall in der vergangenen Woche handelte es sich, wie Reichhart es ausdrückt, nicht um einen Standardfall. Der positive Befund sei in einem Familienverbund aufgetreten, die Kontaktpervom sonenermittlung sei nicht einfach gewesen. Bei manchen Personen habe es sehr lange gedauert, bis Mitarbeiter sie überhaupt erreichen konnten. Außerdem sei man bei nicht deutsch-sprachigen Personen an sprachliche Grenzen geraten. „Leider kam in diesem Fall vieles zusammen“, bedauert Reichhart.
Bei einem Corona-Fall werde jedoch immer nach demselben Schema vorgegangen. Oberste Priorität hat laut Landrat, die Infektionskette sofort zu durchbrechen. Heißt, dass Personen, die Kontakt zu dem Infizierten hatten, umgehend in Quarantäne geschickt werden. Erst an zweiter Stelle stehe die Nachbearbeitung und persönliche Kontaktaufnahme. Bei 150 Personen gleichzeitig sei es schwierig, alle sofort zu informieren. „Für die Betroffenen ist es nicht leicht, sie hängen in der Luft“, gibt Reichhart zu. Jeder habe aber die Möglichkeit und sei auch dazu angehalten, sich selbst zu informieren auf Homepages von Ministerien oder bei dringenden Fragen die Corona-Hotline zu wählen.
Die Ergebnisse der Corona-Tests lagen Reichhart zufolge innerhalb von 24 bis 36 Stunden vor, schneller sei es nicht machbar. Das Medizinische Versorgungszentrum in Günzburg arbeite auf Hochtouren, zu den angemeldeten Testpersonen kämen aber auch noch viele unangemeldete hinzu. Wie Reichhart weiß, mussten allein am vergangenen Montag 200 Abstriche gemacht werden. „Wir müssen uns darauf einstellen, dass die Labore irgendwann keine Kapazitäten mehr haben“, glaubt Reichhart. Doch, wenn jetzt schon vieles nicht funktioniert, wie wird es erst werden, wenn eine zweite Welle anrollt? Für den Fall, dass der Landkreis überrollt werden sollte, hat Hans Reichhart eine Notlösung: Er will sich an den Regierungspräsidenten wenden und um Hilfe und Personal bitten. »Kommentar