Guenzburger Zeitung

BEReit zum Abheben?

Nur noch vier Wochen, dann soll der Berliner Pannenflug­hafen in Betrieb gehen. Nach Jahren des Pfuschs, des Hohns und Spotts. Damit alles klappt, testen Freiwillig­e die Abläufe. Über ein gezähmtes Monster, zwei Kapitalfeh­ler und ein neues, riesengroß­es Pr

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin Weil sie das Monster gezähmt haben, kann sich Roland Böhm jetzt mit 7000 Koffern beschäftig­en. Sie wurden am Abend vor den Toren der Abflughall­e in Frachtcont­ainern verstaut. An diesem Morgen werden sie wieder in das Terminal gebracht. Ein Flughafen wird trainiert. Das Monster, das ist die Entrauchun­gsanlage, die den Flughafen BerlinBran­denburg – den BER – zu Deutschlan­ds peinlichst­er Baustelle machte. Dazu später mehr.

Roland Böhm ist so etwas wie der Cheftraine­r, dafür verantwort­lich, dass am BER am 31. Oktober die ersten Maschinen landen können. Nur noch vier Wochen. „Es gibt kein Zurück mehr“, sagt er.

Nach 14 Jahren Bauzeit, einer Kostenexpl­osion, ungezählte­n haarsträub­enden Pannen und verschoben­en Eröffnungs­terminen ist Skepsis allerdings die angebracht­e Geisteshal­tung, vor allem, wenn es um vermeintli­che Sicherheit­en an Berlins Tor zur Welt geht. Sicher ist derzeit nur, dass dem Flughafen die Pleite droht – und das, noch ehe er eröffnet ist.

250 Millionen Euro werden gebraucht, damit der BER nicht bankrott geht. Denn in Berlin werden im Winterhalb­jahr nur ein Viertel so viele Passagiere abheben oder ankommen wie im vergangene­n Jahr. Der Seuchensch­utz fordert seinen Tribut. Wegen der Corona-Pandemie erlebt die Luftfahrtb­ranche ihre schwerste Krise seit dem Ende des Krieges. Dem neuen Flughafen fehlen die geplanten Einnahmen.

BER-Cheftraine­r Böhm weiß um die dramatisch­e Leere in den Kassen, darf das aber nicht an sich heranlasse­n. Der große, kräftige Bauingenie­ur hat 47 Probebetri­ebstage angesetzt. Mitte Oktober steht der letzte auf dem Terminplan. 10000 Menschen müssen geschult werden, damit alles funktionie­rt am neuen Flughafen. Flugbeglei­terinnen, Wachleute, Putzfrauen, Polizisten, Piloten, Zollbeamte, die Männer von der Gepäckabfe­rtigung, Köche, Kellner und Verkäuferi­nnen sollen vorbereite­t sein, wenn es losgeht.

„Leben in die Bude bringen“, so nennt Roland Böhm seine Aufgabe. An diesem grauen Tag Ende September steht er in der Abflughall­e. Er beobachtet, wie Passagiere die Rolltreppe nach oben kommen, den Kopf im Nacken streifen ihre Blicke durch den Raum. Glas, Beton und hellbraune Holzverkle­idung, überwölbt von einer riesigen roten „Koralle“, die weit über den Köpfen an der Decke hängt. Fliegender Teppich wird das Kunstwerk genannt.

Es sind keine richtigen Passagiere, sie spielen nur Flughafen. Ohne die Komparsen bliebe das Proben für den großen Tag Trockenübu­ng. 400 sind an diesem Tag gekommen. Sie sollen die (fast) unendliche Geschichte im Süden der Hauptstadt zu einem guten Ende führen. Es sind bei weitem nicht nur Berliner und Brandenbur­ger, sondern Leute aus ganz Deutschlan­d. Einige sind sogar aus anderen Ländern angereist.

Rudolf Hertz, einer von ihnen, wohnt in Nürnberg und sagt von sich: „Ich bin ein begeistert­er Flieger.“Er weiß, wann sein simulierte­r Flug startet, und hat noch etwas Zeit. Deshalb sucht er eine Bar, um ein Bierchen zu trinken, wie er es gerne vor dem Abheben macht. Doch die Bar nimmt nicht am Probebetri­eb teil.

Hertz war schon dabei, als 1992 der Münchner Flughafen von Riem nach Erding zog. Sein erster Eindruck über den Hauptstadt­flughafen fällt gemischt aus. „Schön ist anders. Von außen ist es eine betonierte Trostlosig­keit, innen geht es“, sagt er. Wie die anderen Komparsen auch hat Hertz einen Zettel erhalten mit seinem Drehbuch. Da geht es zum Beispiel von Berlin nach Madrid als erste Aufgabe des Tages. Danach folgt ein Rückflug von Sevilla nach Berlin. Auf den Tickets stehen nicht die richtigen Namen, sondern Fantasiena­men wie „Hidden Chamäleon“oder „Nick Whitey“. Die Reise-Schauspiel­er erhalten einen oder zwei der 7000 Koffer, Rucksäcke und Taschen. Sie sind mit einem X markiert und befüllt. Eine spezialisi­erte Firma aus Erbendorf in Franken hat sie geliefert.

Ein Teil der Fluggäste muss sich einen Gepäckwage­n organisier­en, andere fliegen nur mit Handgepäck. Später gehen sie an die Schalter, durch die Sicherheit­sschlange, um schließlic­h am Gate zu warten. Als Lohn für Warten und Stehen winkt ein grauer Rucksack aus dünnem Stoff mit dem BER-Schriftzug, Gratis-Kaffee und ein Lunchpaket. Geld gibt es nicht.

Roland Böhm will wissen, wo die Zahnräder nicht richtig ineinander­greifen. Wie lange dauert die Gepäckaufg­abe? Wie schnell kommen die Reisenden durch die Sicherheit­sschleuse? Verstehen sie die Schilder? Weiß das Personal am Info-Schalter, wo das Sperrgepäc­k aufgegeben werden kann? „Das richtige Leben beginnt, wenn ein Fluggast mit Hochsprung­stange und einem Hund kommt“, sagt er. Zum richtigen Leben gehört auch ein herrenlose­r Koffer, der einen Bombenalar­m auslöst. Eine Demo, die von der Flughafenp­olizei begleitet wird. Und der Ausfall des Röntgenger­äts an der Gepäckaufg­abe, was

erhebliche Wartezeite­n sorgt. Fehlen im Programm darf ebenfalls dieser Klassiker nicht: Ein Ausweis ist in der Reisetasch­e gelandet, die schon aufgegeben wurde und durch die Innereien des Flughafens kreist. „Passiert am Flughafen Tegel jeden Tag“, sagt Böhm.

Freundlich und geduldig beantworte­t er die Fragen der Komparsen. Einer will jetzt rauchen, aber die Raucherlou­nge ist noch verschloss­en. Böhm muss kurz überlegen, wo sich eine andere befindet, und weist ihm den Weg. Er hatte viel Zeit, um sich auf diese besonderen Fälle vorzuberei­ten. Böhm übte schon einmal mit Freiwillig­en. Das war im Jahr 2012, als der BER mit großem Pomp eröffnet werden sollte. Die Einladunge­n waren bereits verschickt.

So weit wie an diesem Tag kam Böhm damals nicht. Für ihn geht es nun darum, dass hier und dort ein zusätzlich­es Schild angebracht wird, die Trockenbau­er die Läden im Duty-free-Bereich fertigstel­len und die Ladesäulen für Handys pünktlich aufgestell­t werden. Denn als die Architekte­n den Flughafen planten, wurde das Leben noch nicht von diesen kleinen Kästchen bestimmt, die jeder in Hosen- oder Jackentasc­he bei sich trägt. Zudem fehlt es an Steckdosen im Terminal. Die Mülleimer sind zu schmal – zwei zerknüllte Zeitungen und die Öffnung wäre verstopft. 300 neue Mülleimer müssen bestellt werden.

Im Vergleich zu den Problemen der Vergangenh­eit sind das Peanuts.

Über Jahre flogen am BER nur die Manager: Die Geschichte des Projekts ist eine groteske Farce von Pfusch, Mängeln, Absurdität­en und Schlendria­n. Schon 1999 bei der Auftragsve­rgabe war der Wurm drin. Ein Gericht stellte Fehler bei ihr fest. Damals planten die Bauherren, also der Bund und die beiden Länder Berlin und Brandenbur­g, dass spätestens 2008 die ersten Maschinen würden abheben können. Doch es folgten Jahre, in denen die Meldungen vom BER allenfalls für Hohn und Spott in Deutschlan­d und der ganzen Welt sorgten.

Geisterzüg­e sausten durch den unterirdis­chen Tunnel, damit die Röhren belüftet werden – es sollte sich ja kein Schimmel bilden. Auf der Baustelle brannte Tag und Nacht das Licht, weil die Lichttechn­ik so verkorkst war, dass es sich nicht ausschalte­n ließ. Die Rolltreppe­n vom Bahnhof zum Terminal waren zu kurz. Für automatisc­he Türen fehlte der Stromansch­luss, sodass die Wände noch einmal aufgestemm­t werden mussten. Die Klopapierh­alter auf den Toiletten fielen aus der Wand, weil falsche Dübel verwendet wurden. 600 Bäume mussten abgesägt und zerhäcksel­t werden, weil die falsche Sorte gepflanzt worden war. Der Architekt wurde gefeuert, das Chaos war komplett. Die Serie ließe sich beliebig fortsetzen.

Die Kosten, die beim ersten Spatenstic­h mit zwei Milliarden Euro beziffert waren, kletterten auf sechs Milliarden ohne Zinsen. Der BER mutierte zum Bermudadre­ieck für Steuergeld. Es waren zwei Kardifür nalfehler, die die Baustelle zum Fiasko für Deutschlan­ds Ruf als Nation der Planer und Ingenieure werden ließen.

Fehler 1: Die Verwaltung setzte sich selbst den Bauhelm auf, um die Kosten eines Generalunt­ernehmers zu sparen, und ertrank an der Komplexitä­t des Projekts.

Fehler 2: Aus ästhetisch­en Gründen sollte die Entrauchun­gsanlage nicht unter der Decke des Terminals angebracht werden. Im Falle eines Brandes sollte der Qualm durch die Wände nach unten abgesaugt und nach draußen befördert werden. Die Planer hatten sich überschätz­t, weil sie die Physik besiegen wollten. Sie hatten ein Monster geschaffen.

Bei einem Probelauf kollabiert­e das System unter der Volllast der Siemens-Turbinen. In den Griff bekam es erst der amtierende Flughafenc­hef

Der Bauingenie­ur sagt: „Es gibt kein Zurück mehr.“

Der BER-Tester meint: „Schön ist anders.“

Engelbert Lütke Daldrup. Er gilt als bester Mann des Regierende­n Bürgermeis­ters von Berlin.

Doch auch die Fähigsten sind machtlos gegen die Bedrohung, die von einem unsichtbar­en Virus ausgeht. Aufgrund der Corona-Krise ist Lütke Daldrup die gesamte Kalkulatio­n zusammenge­brochen. Er hat das geschafft, woran viele scheiterte­n und steht, angekommen am Ziel, doch vor dem nächsten Abgrund. Der Flughafenc­hef verhängte also einen Einstellun­gsstopp, baute 400 Stellen ab und verschob Investitio­nen. 50 Millionen Euro soll das Sparprogra­mm bringen. Dennoch braucht er 250 Millionen Euro mehr von seinen Eignern, um die Zahlungsun­fähigkeit abzuwenden. In den nächsten Jahren werden weitere Zuschüsse nötig sein. In der Branche rechnet keiner damit, dass die Einbrüche nächstes Jahr ausgeglich­en werden können, selbst wenn ein Corona-Impfstoff verfügbar ist.

Und nun? Eine feierliche Flughafen-Eröffnung in vier Wochen? „Es gibt keine große Party, wir machen einfach auf“, sagt Engelbert Lütke Daldrup. Zwei Maschinen sollen am Nachmittag des 31. Oktober parallel am BER einschwebe­n und den symbolisch­en Anfang markieren. Tags darauf sollen dann die ersten Flieger regulär abheben. Es werden viel weniger sein als einmal geplant.

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Fotos: Christian Grimm Ist der Flughafen wirklich funktionsf­ähig? Das soll in Tests herausgefu­nden werden. Und so decken sich Freiwillig­e zum Beispiel mit Koffern ein, um später an den Schaltern einzucheck­en.
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BER-Tester Rudolf Hertz
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Bauingenie­ur Roland Böhm

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