„Einwanderung nutzt fast nur Einwanderern“
Der frühere SPD-Politiker Thilo Sarrazin plaudert mit Oskar Lafontaine und Peter Gauweiler über seine aktuelle Generalabrechnung mit der deutschen Migrationspolitik. Das führt zu unerwarteten Erkenntnissen
München Wenn es des Beweises bedurfte, dass ein gediegenes Ambiente beruhigend wirkt, dann wurde er an diesem Abend erneut erbracht. In einer Bar des Münchner Hotels Bayerischer Hof traf sich eine bemerkenswerte Runde, der man durchaus mehr, auch polemische Aufwallungen zugetraut hätte: Oskar Lafontaine und Peter Gauweiler hatten den chronisch umstrittenen Buchautoren und gerade von der SPD zwangsgeschiedenen Thilo Sarrazin in ihre Mitte genommen. Was den CSU-Politiker und Anwalt Gauweiler zu der Bemerkung veranlasste, er sei „alleine unter zwei weltberühmten ehemaligen Sozialdemokraten“. Eingeschüchtert schien er dennoch keineswegs. Zudem wirkte auf die Stimmung entspannend, dass nicht nur das handverlesene Publikum, sondern auch die beiden Gäste auf dem Podium Sarrazin und seinen Argumenten nicht unkritisch, aber doch wohlwollend gegenüberstanden.
Den Anlass für den Abend bot Sarrazins aktuelles Werk „Der Staat seinen Grenzen. Über Wirkung von Einwanderung in Geschichte und Gegenwart“– erschienen im Langen Müller Verlag München.
Auf 480 Seiten arbeitet sich der frühere Finanzsenator von Berlin dort erneut am Thema Asylpolitik und Migration ab – sehr erfolgreich, wie die Bestsellerlisten zeigen. Seine These ist, dass Einwanderung in der Regel nur denjenigen nutzt, die einwandern, und denjenigen schadet, die schon da sind. Seine Rezepte: Aufgenommen werden in Zukunft nur noch politisch Verfolgte sowie Menschen, die innerhalb Europas vor Krieg fliehen. Die Grenzen müssen besser geschützt werden und Abschiebung konsequent durchgesetzt werden. Es würde, wie Sarrazin an diesem Abend wiederholte, Kultur und Gesellschaft der Staaten in Europa gefährden, wenn „Bevölkerungsüberschüssen“der „afrikanischen Länder oder denen des Nahen und Mittleres Ostens der Weg nach Europa geöffnet“werde.
In der Folge entwickelte sich ein freundschaftlicher, phasenweise im Plauderton gehaltener Gedankenaustausch unter drei Männern, de
vorgeworfen wird, ihre Überzeugungen oft populistisch-deftig zu servieren. Doch es gibt Unterschiede: Während Sarrazin auch am Montagabend wieder seine berüchtigten Zahlenkolonnen und Statistiken referierte, gelang es Gauweiler, mit originellen Gedankensprüngen und Volten auch mal für Verblüffung zu sorgen. So beispielsweise, als er der Flüchtlingsaktivistin und Kapitänin eines Rettungsbootes, Carola Rackete, attestierte, dass er von ihrer „sittlichen Verantwortung“in ihrem Handeln als Retterin auf dem Mittelmeer durchaus bean eindruckt sei. Damit war Gauweiler – zumindest für einen Moment – wieder in der Außenseiterposition, die er so gerne einnimmt.
Doch abseits von Wortspielereien und Anekdoten setzte jeder der drei Männer seine persönlichen Akzente. Gauweilers Credo: Deutschland selber ist für Fluchtgründe mitverantwortlich, wenn es sich nach seiner Ansicht fatalen militärischen Auslandseinsätzen beteilige. Von der Politik verlangte er mehr Pragmatismus: „Die Leute, die in den letzten Jahren gekommen sind, sind nun mal da.“Statt sie in Sammelunterkünften abzuschirmen, müsse man ihnen generell erlauben, zu arbeiten oder einen „Zivildienst“für sie einführen. Anders als Sarrazin hält Gauweiler eine groß angelegte Rückführung in die Herkunftsländer für wenig realistisch.
Der frühere SPD-Vorsitzende und Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine, der seine politische Heimat längst bei der Linken gefunden hat, warnt hingegen vor Dumpinglöhnen und Druck auf dem Wohnungsmarkt durch die Einwanderer. Es gebe Grenzen für das, was die Benen völkerung in Zukunft an weiteren Belastungen noch akzeptieren werde, ohne eine Revolte anzuzetteln. „Offene Grenzen und Zugang zu Sozialleistungen, das geht nicht. Also brauchen wir Grenzschutz.“Im Übrigen sei die Auswanderung von Ärzten und Ingenieuren gerade für afrikanische Länder ein großes Problem. Punkte, in denen er sich mit Sarrazin durchaus einig ist.
Als Moderator Wladislaw Jachtchenko schließlich nach der Sicht der Drei auf die AfD fragte, waren die Antworten klar. Für Gauweiler „hilft die AfD nicht weiter“, Lafontaine wirft ihnen Heuchelei vor: Sie forderten stets, man solle den Afrikanern vor Ort helfen, würden dann aber immer dagegen stimmen, wenn es im Bundestag um Geld für Projekte auf dem Kontinent gehe.
Und Thilo Sarrazin? Der sieht die Sache nüchtern-taktisch. Er habe sich entschieden, keine Einladungen von der AfD mehr anzunehmen. Und zwar weil die wichtigen Fragen wie Migration in der „bürgerlichen Mitte“entschieden werden würden und nicht am linken oder rechten Rand.