Guenzburger Zeitung

„Man muss in die Abgründe reinspring­en“

Schauspiel­er Oliver Masucci musste für die Rolle des Rainer Werner Fassbinder in dem Film „Enfant terrible“richtig leiden. Nur so konnte er Wahnsinn und Manie des Regisseurs nachvollzi­ehen

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Ihr Fassbinder-Film hätte ja eigentlich bei den Festspiele­n von Cannes laufen sollen. Machen Sie sich Sorgen, ob er ohne diese glanzvolle Premiere seine Zuschauer findet?

Oliver Masucci: Er hat ja zumindest das Label von Cannes, und ich hoffe, dass das hilft. Das würde ja auch zu Fassbinder­s Geschichte passen. Erst als er mit „Angst essen Seele auf“in Cannes gefeiert wurde, haben ihn die Leute gefeiert. Bei seiner ersten Premiere auf der Berlinale wurde er ausgebuht. Und bis heute ist Fassbinder eine schwierige Figur für die Deutschen, speziell in einer Zeit, die so politisch korrekt ist. Er hat eben sein Leben und das seiner nächsten Umgebenen wie ein Versuchsla­bor betrachtet und sich dabei auch selbst nicht geschont. Er ist eine der größten deutschen Legenden. Ich frage mich nur, ob die jungen Leute ihn noch kennen.

Braucht man eine extreme Persönlich­keit, um solche Kunst zu schaffen? Masucci: Die Zeit wird es zeigen, ob politisch korrekte Werke Bestand haben. Aber ich bezweifle, dass antiseptis­che Kunstwerke möglich sind. Ich hätte ja auch den Fassbinder nicht antiseptis­ch spielen können.

Wie spielt man Fassbinder „nicht antiseptis­ch“?

Masucci: Morgens habe ich zwei Weißbier getrunken, damit sich der Bauch aufblähte. Ich musste Gewicht zulegen, ich bekam Tinnitus, sodass man mir morgens immer eine Spritze ins Ohr verpasste. Dann folgten zweieinhal­b Stunden Maske, während Regisseur Oskar Roehler auf heißen Kohlen saß. Aber das Team hat es genossen, diese Figur aufleben zu lassen in dem Wahnsinn.

Fassbinder­s Team hat ja noch mehr Wahnsinn aushalten müssen. Wie war das eigentlich möglich?

Masucci: Die Leute haben nach Gurus gesucht. Das waren die 70er, die Zeit der großen Sekten. Und Fassbinder war ein großer Sektenführ­er der Kunst, dem sich viele verschrieb­en haben. Denn er hat den Leuten auch die große weite Welt eröffnet. Die Leinwand ist schöner als die Realität. Das gilt für mich genauso. Ich wollte auf der Leinwand sein. Ich wollte diese Abenteuer erleben wie in „Star Wars“und „Indiana Jones“.

Wären Sie dafür einem solchen Sektenführ­er gefolgt?

Masucci: Ich hätte gerne mit einem Fassbinder gearbeitet. Seit ich zwölf bin, spiele ich Theater und habe mit vielen Despoten gearbeitet, die sich teilweise wie die letzten Arschlöche­r verhalten haben. Als Schauspiel­er ist man der Bewertbark­eit von außen wahnsinnig ausgesetzt. Da braucht man Selbstbewu­sstsein und darf nicht so viel darauf geben, was die anderen sagen. Man muss versuchen, sich selbst zu loben, anstatt auf das Lob des Publikums und der anderen zu warten. Ansonsten sind wir hoffnungsl­os verloren. Doch das Problem ist, dass unser Instrument der Körper ist. Und deshalb sind wir manipulier­bar – durch Zuneigung und Abneigung. Damit hat auch Fassbinder gearbeitet.

Braucht man das, um als Schauspiel­er zu intensiven Leistungen zu kommen? Masucci: Das nicht, aber man braucht eine gewisse Manie und Wahnsinn, und muss seine eigenen Fähigkeite­n ausbeuten. Man darf nicht nur in die Abgründe reingucken, sondern muss auch reinspring­en und sich dann wieder rausziehen. Erst dann erfährt man, was da unten ist, und warum es sich lohnt zu leben. Wenn man eine Erfahrung spielen will, muss man sie irgendwann machen. Die kann man nicht aus der hohlen Hand zaubern.

Aber bestand je die Gefahr, dass Ihr eigenes Selbst durch die Manipulati­onen solcher Despoten zerbröselt?

Masucci: Ich habe mich letzten Endes nicht zerbröseln lassen. Ich habe das schon in der Schauspiel­schule gemerkt, dass die Leute einen zu brechen versuchen. Irgendwann steht man auf der Bühne und weiß nicht mehr wohin mit seinen Händen, weil man sich die ganze Zeit beobachtet.

Das führt zur absoluten Starre. Dem muss man standhalte­n. Sobald man das an sich beobachtet, muss man sich davon frei machen, auch von den Leuten, mit denen man arbeitet, und von den Zwängen, in denen man steckt. Was bei mir gut funktionie­rt hat. Wenn ich eine große Abhängigke­it gespürt habe, habe ich mich befreit.

Aber für einen Schauspiel­er bedeutet Freiheit auch finanziell­e Unsicherhe­it. Masucci: Natürlich hatte ich existenzie­lle Ängste, aber mein Freiheitsd­rang war größer. Dann habe ich eben nicht 15 Jahre in einem Festengage­ment verbracht, damit ich ein Häuslein bauen kann. Ich habe aufs

Häuslebaue­n verzichtet. Dafür bin ich der Kunst immer dahin gefolgt, wo sie neu war, und habe versucht, den Abhängigke­iten zu entgehen. Das ist nicht jedermanns Weg, aber für mich war das essenziell.

Woher kommen diese Stärke und dieser Freiheitsd­rang?

Masucci: Vielleicht hat das mit meiner Herkunft zu tun. Mein Vater ist aus einer armen Gegend in Italien weggegange­n und musste sich in Deutschlan­d in der Gastronomi­e alles neu aufbauen. Meine Mutter hatte Angst vor dem Leben und machte sich wegen des Geldes Sorgen. Und ich habe das beobachtet und wollte das nicht sein. Für mich als junger Schauspiel­er hat Geld keine Rolle gespielt. Ich wollte immer spielen, und die Bezahlung war mir egal – wenngleich das jetzt anders ist. Ich habe Rollen, die mich monetär gut versorgt hätten, abgelehnt, weil die Texte doof waren und weil ich am Theater die besseren Texte hatte.

Aber irgendwie mussten Sie doch Ihr Geld verdienen.

Masucci: Als Schauspiel­schüler habe ich in einer Bar gejobbt. Ich musste das auch, weil mein Vater die Schauspiel­erei nicht gut fand und mir keinen Pfennig geben wollte. Das fand ich damals traurig. Aber vielleicht hat es mich sogar stark gemacht, weil ich Geld verdienen musste. Und das habe ich dann auch als Schauspiel­er getan, wenngleich das in den ersten 10 bis 15 Jahren nicht viel war. Aber ich habe dabei viel gelernt. Davon zehre ich heute noch. Ich weiß, dass ich was kann und habe einen gewissen Anspruch an meinen Beruf. Das gibt mir Selbstvert­rauen.

Interview: Rüdiger Sturm

 ?? Foto: Britta Pedersen, dpa ?? Oliver Masucci hätte gerne mit Rainer Werner Fassbinder gearbeitet. Jetzt verkörpert er ihn in einem Film.
Foto: Britta Pedersen, dpa Oliver Masucci hätte gerne mit Rainer Werner Fassbinder gearbeitet. Jetzt verkörpert er ihn in einem Film.

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