Nicht nur ein schlechter Präsident – ein schlechter Mensch Leitartikel
US-Präsidentschaftswahlen waren trotz all ihrer Schwächen immer auch ein Fest der Demokratie. Die Personenwahl hatte sich bewährt – bis Donald Trump kam
Amerika wählt keine Parteien, Amerika wählt Personen. Gewiss, die politische Landschaft der Vereinigten Staaten ist aufgeteilt in blaue Staaten für die Demokraten und rote Staaten für die Republikaner. Doch geht es um das Weiße Haus, erleben wir eine Personen(aus)wahl in ihrer reinsten Form. Jeder Bewerber, jede Bewerberin müssen sich regelrecht durchleuchten lassen, müssen eine Antwort auf die berühmte Frage kennen, weshalb ausgerechnet sie Präsident werden wollen. Sie müssen monatelang in ländlichen Vorwahlstaaten wie Iowa oder New Hampshire an jede Haustür klopfen, müssen sich erklären. Versuche, etwa von Milliardären, diesen Prozess durch teure Werbespots zu überspringen, sind regelmäßig gescheitert. Amerikaner wollen auch: Demokratie zum Anfassen.
Das führt dazu, dass die amerikanische Demokratie greifbarer ist. Alle vier Jahre berichten deutsche Journalisten mit leuchtenden Augen aus US-Vorwahlstaaten, weil dort jeder Bürger jedem Kandidaten eine Frage stellen konnte und die Menschen selbst im tiefsten Schnee stundenlang über Bewerber debattierten. Wie lebendig wirkt dies im Vergleich zu den steifen Gremiensitzungen deutscher Parteien, die noch den hintersten Platz auf der Landesliste ausschachern?
Es führt auch dazu, dass zwar die Bindung an US-Parteien klein ist, aber die Leidenschaft für Politik und Politiker groß. You got your heart broken for the first time, das hat in Amerika nicht immer mit einer Teenager-Liebe zu tun – es kann auch heißen, dass ein junger Anhänger sich einem Kandidaten oder einer Kandidatin verschrieben hatte und deren Entzauberung erleben musste. Selbst die so schockierende Wahl von Donald Trump vor vier Jahren hatte diese Prinzipien nicht wirklich ausgehebelt. Auf einer rein persönlichen Ebene verlor Hillary Clinton auch gegen ihn, weil sie einfach keine gewinnende Kandidatin war, noch dazu eine skandalbelastete. Was vielen so absonderlich an Trump erschien, empfanden andere als erfrischend: dass da jemand auf alle Regeln pfeift und sich benimmt wie ein New Yorker Großmaul. Trump galt natürlich schon vor seiner Wahl als Skandalnudel, aber manchen eben auch als einer, mit dem man Spaß haben könnte. Außerdem: Hatten Amerikaner nicht bei anderen unkonventionellen Kandidaten wie dem mittelmäßigen Hollywood-Schauspieler Ronald Reagan erlebt, wie ein Mensch im Amt reifen kann, noch dazu mit starken Beratern an seiner Seite?
Dieser Spaß ist vorbei. Amerika muss erkennen, dass Trump ihr (Aus)Wahlsystem gekapert hat. Bei ihm kommen zwei Entwicklungen zusammen: Seine narzisstische Persönlichkeitsstruktur,
die durch die Machtinsignien befeuert wird. Das erklärt seinen Auftritt bei der ersten TV-Debatte, in der er alle Regeln des Anstands ignorierte, auch weil er Widerspruch gar nicht mehr toleriert. Dazu kommt die politische Polarisierung in den USA. Früher musste jeder Kandidat eine gewisse Zivilität wahren, selbst gegenüber dem politischen Gegner. Diese Fähigkeit ist schon im Kongress verloren gegangen, zumal parteiische Geldflüsse die Spaltung vertiefen. Trump treibt das auf die Spitze: Er will gar nicht Präsident aller Amerikaner sein – er will einfach Präsident sein. Wenn er seine Fans auffordert, vor Wahllokalen aufzumarschieren, scheint er Gewalt in Kauf zu nehmen, um im Amt zu bleiben. Wie ein US-Kommentator schrieb: Trump ist nicht einfach ein schlechter Präsident. Er ist ein schlechter Mensch.
Als die Amerikaner das Präsidentenamt schufen, schufen sie auch Kontrollmechanismen, weil sie keinen König wollten. Was sie nicht vorhersahen: einen King of Rage, einen König des Zorns.
Trump will gar nicht Präsident aller Amerikaner sein