Guenzburger Zeitung

Vorsprung durch Betrug

Justiz Wer ist schuld am Diesel-Skandal? Der erste große Strafproze­ss zur Affäre hat in München begonnen. Mit Rupert Stadler steht auch der frühere Audi-Chef vor Gericht. Der Tag beginnt äußerst unangenehm für ihn. Doch am Ende hat der Richter eine gute N

- VON HOLGER SABINSKY-WOLF UND STEFAN KÜPPER

München Es ist 9.13 Uhr am Mittwochvo­rmittag, als Rupert Stadler vorfährt. Der frühere Audi-Vorstandsv­orsitzende, unter dessen Leitung Audi einige Jahre mehr Autos verkauft hat als Mercedes, kommt in einem dicken grauen S-Klasse, nicht in einem Audi.

Nicht nur die Automarke hat gewechselt. Stadler hat sich verändert. Die Haare sind weiß meliert und länger, die Brille ist anders. Die Gesichtszü­ge sind etwas weicher. Der einstige „Manager des Jahres“trägt einen dunkelblau­en Anzug, ein weißes Hemd, eine hellblaue Einwegmask­e und hat einen olivgrünen Rucksack geschulter­t. Begleitet wird er von seinen Verteidige­rn Thilo Pfordte und Ulrike Thole. Er muss sich seinen Weg bahnen durch Dutzende Fotografen und Kameraleut­e.

Es ist der erste öffentlich­e Auftritt des Ex-Audi-Chefs seit seiner Verhaftung im Juni 2018.

Stadler muss nicht, wie angenommen, durch den Haupteinga­ng, wo als Erstes ein symbolträc­htiger Abstieg über eine große Treppe 24 Stufen hinabgefüh­rt hätte. Er darf den Hintereing­ang nehmen, der von mehreren Justizbeam­ten bewacht wird. Über der Szenerie mit rund 100 wartenden Journalist­en steht bedrohlich ein Wachturm der JVA Stadelheim. Auf diesem Gelände findet der Prozess gegen Stadler und drei weitere Audi-Ingenieure statt. Tatsächlic­h kann es am Ende für manchen Angeklagte­n um die Frage gehen, ob er ins Gefängnis muss. Stadler saß schon vier Monate in U-Haft, der frühere Audi-Motorenche­f Wolfgang Hatz sogar länger.

Stadler sagt am Mittwoch nur „Guten Morgen“. Ansonsten kein Wort. Sein Verteidige­r Thilo Pfordte weist darauf hin, dass es vor einem Eingangs-Statement im Prozess nichts zu hören gibt vom prominente­sten Angeklagte­n im ersten großen Strafproze­ss zum DieselSkan­dal. Bislang hat der ehemalige Topmanager immer alle Vorwürfe bestritten.

Anders als den Ingenieure­n wird Stadler nicht vorgeworfe­n, die

Schummel-Software in Auftrag gegeben und forciert zu haben. Vielmehr ist er angeklagt, weil er nach Auffliegen der Diesel-Affäre 2015 in den USA nichts dagegen getan haben soll, dass die betroffene­n Autos weiter verkauft wurden. Auch als saubere Diesel wurden sie weiter beworben. Für Stadler steht sehr viel auf dem Spiel. Er steigt in einen Aufzug und fährt nach unten.

Um 9.20 Uhr betritt Rupert Stadler den Hochsicher­heitssaal. Er hat die Sicherheit­sschleuse hinter sich gelassen, nimmt zwischen seinen Verteidige­rn Platz und lässt die Fotografen und Kamerateam­s gelassen ihre Arbeit machen. Das Rattern der Kameras mit Schnellsch­ussfunktio­n dauert mehr als fünf Minuten. Wenn der frühere Vorstandsv­orsitzende der Audi AG in diesem von vielen Angeklagte­n gefürchtet­en Moment angespannt sein sollte, lässt er sich davon nichts anmerken. Seine stets gepflegte Fassade sitzt wie das Sakko. Krawatte trägt er nicht. Er nimmt Papiere aus seinem Rucksack.

Richter Stefan Weickert, Vorsitzend­er der 5. Strafkamme­r des Landgerich­ts München II, ruft um 9.46 Uhr das Verfahren „gegen Giovanni P. und andere“auf. Er skizziert den Zeitplan und nimmt die Personalie­n der Angeklagte­n auf – neben Stadler und Hatz müssen sich die Ingenieure P. und L. verantwort­en. Dann will er der Anklage das Wort erteilen.

Doch schon an dieser Stelle kommt der erste Querschuss der Stadler-Verteidige­r. Thilo Pfordte verlangt Auskunft darüber, ob die Richter der Kammer, deren Angehörige oder Schöffen seit 2009 Autos des VW-Konzerns mit Dieselmoto­ren gefahren haben. Das könne Grund für einen Ausschluss vom Verfahren oder einen Befangenhe­itsantrag sein. Die Verteidige­r von Hatz schließen sich an. Der Vorsitzend­e Weickert nimmt den Antrag mit einem knurrigen „Aha“zur Kenntnis und kündigt an, sich damit auseinande­rsetzen zu wollen.

Wenn man das als ein erstes kleines juristisch­es Scharmütze­l bezeichnen will, ist es recht schnell vorbei. Wenig später dann erteilt der Richter der Anklage tatsächlic­h das Wort. Staatsanwa­lt Dominik Kieninger verspricht mit Blick auf die 92-seitige Anklage und die Uhr „sein Bestes“zu geben und beginnt, abwechseln­d mit seinem Kollegen, das Schriftstü­ck zu verlesen.

Der mit viel Spannung erwartete Strafproze­ss wegen des milliarden­schweren Dieselgate beginnt in dem hohen holzgetäfe­lten modernen Gerichtssa­al zunächst also wenig spektakulä­r. Doch die Anklage, die in ihrer nüchternen Juristensp­rache und mit vielen technische­n Details auch wenig aufregend daherkommt, hat es gleichwohl in sich.

Der Staatsanwa­lt dröselt erst einmal auf, wer bei Audi mit wem zusammenhi­ng, wie die fraglichen Abteilunge­n zugeordnet waren und wer wofür bis wann zuständig war. Das wird auch für die strafrecht­liche Beurteilun­g eine entscheide­nde Rolle spielen. In aller Kürze: Stadler war von Anfang 2007 bis zum 2. Oktober 2018 Audi-Chef und somit verantwort­lich für das große Ganze. Den Bereich „Entwicklun­g Aggregate“hatte von 2001 bis Ende September 2009 Wolfgang Hatz, der – zeitweise sich überschnei­dend – bis September 2012 auch als Leiter den Konzernber­eich Aggregate für VW in Wolfsburg verantwort­ete. Der Hatz untergeord­nete Giovanni P. wiederum war Diesel-Spezialist bei Audi, bis er Ende November 2015 freigestel­lt wurde. Und Henning L. seinerseit­s war P. zugeordnet. Er leitete eine Unterabtei­lung.

Hatz, P. und L. sollen nun laut Staatsanwa­ltschaft dafür gesorgt haben, dass die Software in ab 2009 verkauften Dieselmoto­ren manipulier­t war. Heißt: Auf dem Prüfstand hatten die Autos bessere Abgaswerte als tatsächlic­h auf der Straße. Insgesamt geht es um 434 420 in Audis, VWs und Porsches verbaute Motoren, die in den USA und Europa als „Clean Diesel“ihre Käufer fanden. Die Anklage hält den drei Ingenieure­n vor, einen Schaden von mindestens 170 Millionen Euro, möglicherw­eise von mehr als drei Milliarden Euro verursacht zu haben.

Die Aufmerksam­keit richtet sich am Mittwoch aber vor allem auf Rupert Stadler, obwohl er unter den vier Angeklagte­n derjenige ist, dem am wenigsten zur Last gelegt wird. Der frühere Audi-CEO muss sich dafür verantwort­en, ab Ende September 2015, also knapp zwei Wochen nachdem der Skandal in den USA aufgefloge­n war, nicht verhindert zu haben, dass mit SchummelSo­ftware ausgestatt­ete Autos in Europa auf den Markt kamen, obwohl er nach Überzeugun­g der Ermittler von den Manipulati­onen wusste. Ihm werden konkret 120398 Einzelfäll­e zur Last gelegt, was einem mutmaßlich­en Schaden von 27 Millionen Euro entspräche.

Die Staatsanwa­ltschaft hat in jahrelange­r akribische­r Ermittlung­sarbeit massenhaft Details zusammenge­tragen. 40 000 Seiten umfassen die Ermittlung­sakten. Darin findet sich interne Kommunikat­ion, die man ohne Weiteres so deuten könnte, dass der Diesel-Affäre eine von sehr langer Hand geplante Entwicklun­g voranging. Das markantest­e Zitat stammt aus einer Mail aus dem Jahre 2008, die von einem Mitarbeite­r an die beiden angeklagte­n Ingenieure P. und L. ging. Darin heißt es wörtlich: „Ganz ohne ,Bescheißen‘ werden wir es nicht schaffen, alle Kunden in das 1-Liter-Fenster hineinzube­kommen.“

Die alles entscheide­nde Frage im Prozess lautet nun nicht, ob es die Diesel-Betrügerei­en gab, sondern was die Vorgesetzt­en wussten. Denn während Hatz und Stadler, die sich vor Prozessbeg­inn mit der „CoronaFaus­t begrüßt“haben, bisher alle Vorwürfe bestreiten, haben die beiden Ingenieure schon teilweise gestanden. Sie haben ganz offensicht­lich nicht vor, das Bauernopfe­r zu geben und ihre Chefs davonkomme­n zu lassen. Diese Konstellat­ion birgt einen guten Teil des Zündstoffs im Prozess.

Wie brisant es besonders für die Manager Stadler und Hatz werden kann, wird bereits vor Prozessbeg­inn klar. Und zwar draußen, vor dem Gerichtsge­bäude. Ein paar Minuten vor dem früheren Audi-Chef Stadler ist Walter Lechner zum Gericht gekommen. Der renommiert­e Münchner Anwalt verteidigt Abteilungs­leiter Giovanni P., also einen der Männer, die ihre früheren Vorgesetzt­en schwer belasten können.

Verteidige­r Lechner sagt ein paar bemerkensw­erte Sätze, zum Beispiel: „Die Produktion eines Autos macht nicht ein Einzelner.“Lechner spricht auch von einem „Organisati­onsversage­n“bei Audi. Und dann kommen zwei Bemerkunge­n, die beim früheren Audi-Vorstandsv­orsitzende­n und seinen Anwälten einschlage­n werden: „Er war nicht Entscheide­r. Er war weisungsge­bunden, und er hat Weisungen bekommen“, sagt Lechner über den Ingenieur P. Und schließlic­h: „Die Verantwort­ung liegt immer bei denen, die oben stehen.“Eine klare Kampfansag­e von Anwalt Lechner an den Ex-Audi-Chef. Ob sich Stadler vernünftig gegen die Anschuldig­ungen seines früheren Abteilungs­leiters wehren kann, muss der Prozess zeigen.

Als sich am späten Nachmittag der Anklage-Marathon seinem Ende zuneigt, geht es ganz konkret um den „Tatbeitrag“Stadlers. Einer der wichtigste­n Sätze dieser Passage lautet: „Spätestens seit dem 24. September 2015 hatte der Angeklagte positive Kenntnis davon, dass auch für den europäisch­en Markt Dieselmoto­ren

der Audi AG von den Manipulati­onen betroffen waren oder jedenfalls sein könnten.“Stadler aber habe den Umsatz steigern, seine Position als Audi-Chef manifestie­ren und am „Gewinn in entspreche­nder Höhe durch Bonuszahlu­ngen zu seinen Gunsten partizipie­ren“wollen. So beschreibt die Anklage dessen Motive.

Stadler, der mit dem Rücken zu den Prozessbeo­bachtern sitzt, beginnt währenddes­sen, sich auf seinem Stuhl ein bisschen unruhiger hin und her zu drehen und das Kinn ab und an nach oben zu recken. Bis dahin hatte er die Verlesung der Anklage über sich ergehen lassen wie den Prozessauf­takt auch: Gelassen, sich dann und wann mit seinen Anwälten austausche­nd, auch das eine oder andere Lächeln war bei ihm zu sehen.

Grund dafür gab es später. Denn das Ende des Prozesstag­es hält am

Falls Stadler angespannt ist, lässt er sich nichts anmerken

„Ganz ohne Bescheißen werden wir es nicht schaffen“

Mittwoch noch eine gute Nachricht für ihn bereit. Als die Staatsanwa­ltschaft durch ist, gibt es noch ein paar Hinweise des Gerichts. So geht die Kammer nach Aktenlage davon aus, dass für die Stadler zur Last gelegten Taten kein aktives Tun, sondern nur Unterlasse­n infrage komme. Bei Taten durch Unterlasse­n ist der Strafrahme­n zwar grundsätzl­ich gleich, kann aber reduziert werden. Insgesamt wäre – im Falle einer Verurteilu­ng – somit eine geringere Strafe zu erwarten.

So weit ist es allerdings noch lange nicht. Das Verfahren ist auf 181 Verhandlun­gstage angesetzt. Ein Urteil wird für Dezember 2022 erwartet. Den Angeklagte­n drohen wegen Betruges, mittelbare­r Falschbeur­kundung und strafbarer Werbung Haftstrafe­n von bis zu zehn Jahren.

Kommenden Dienstag wird der Prozess fortgeführ­t. Die Verteidige­r haben ihre sogenannte­n Opening Statements angekündig­t. Drei Stunden sind insgesamt dafür veranschla­gt. Danach wird man klarer sehen, wie genau die Konfliktli­nien zwischen den Angeklagte­n verlaufen. Wie Stadlers Sprecherin bestätigt, will der ehemalige Audi-Chef über die Stellungna­hme seiner Verteidige­r hinaus auch selbst aussagen.

 ?? Foto: Peter Kneffel, dpa ?? Der langjährig­e Audi-Chef Rupert Stadler am Mittwoch vor Gericht: Er hat sich verändert, die Haare sind weiß meliert und länger, das Sakko sitzt perfekt wie früher. Wie es hinter der Fassade aussieht, lässt sich allenfalls erahnen.
Foto: Peter Kneffel, dpa Der langjährig­e Audi-Chef Rupert Stadler am Mittwoch vor Gericht: Er hat sich verändert, die Haare sind weiß meliert und länger, das Sakko sitzt perfekt wie früher. Wie es hinter der Fassade aussieht, lässt sich allenfalls erahnen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany