Guenzburger Zeitung

Die Bühne als Box-Arena

USA Donald Trump verfolgte bei der ersten Präsidents­chaftsdeba­tte konsequent das Ziel, durch Unterbrech­ungen, Zwischenru­fe und Beleidigun­gen Chaos zu erzeugen. Herausford­erer Biden wirkte defensiv, blieb aber standhaft

- VON KARL DOEMENS

Washington Das Chaos auf der Bühne tobte schon 75 Minuten, als Chris Wallace den Präsidente­n fast verzweifel­t zur Ordnung rief: „Ihre Kampagne hat zugestimmt, dass jeder Kandidat zwei Minuten reden darf“, erinnerte der Fox-Moderator seinen Gast: „Warum halten Sie sich nicht daran?“Donald Trump zog eine Grimasse. Statt seiner antwortete der Herausford­erer Joe Biden: „Er hält nie sein Wort.“

Es war einer der wenigen originelle­n Momente in einer Darbietung, die CNN-Kolumnisti­n Dana Bash anschließe­nd ebenso drastisch wie zutreffend als „Shitshow“bezeichnet­e. Eigentlich hatten Trump und Biden in Cleveland bei der ersten Präsidents­chaftsdeba­tte über ihre Politikent­würfe für ein Land diskutiere­n sollen, das von der Corona-Pandemie, einem dramatisch­en Wirtschaft­seinbruch und gesellscha­ftlichen Unruhen gezeichnet ist. Doch schon nach wenigen Minuten war klar, dass Amtsinhabe­r Trump kein Interesse an einem ernsthafte­n Austausch hatte.

Der erste Themenbloc­k galt der

Neubesetzu­ng des Supreme Courts. Trump pries seine Personalen­tscheidung. Biden warnte, der in einer Eilaktion vor der Wahl nach rechts gerückte Gerichtsho­f könne das Fundament der Krankenver­sicherung Obamacare zerstören. Das reichte, um Trump zu einer Kaskade von Zwischenru­fen zu verleiten: „Sozialismu­s“wollten die Demokraten im Gesundheit­swesen, behauptete er. Als Biden das geradezurü­cken versuchte, quäkte der Präsident „Sanders“dazwischen. „Das war wirklich ein produktive­r Themenbloc­k“, endete Biden sarkastisc­h.

Es wurde nicht besser. Im Gegenteil. Wie ein angeschlag­ener Boxer schlug Trump wild um sich. Er nutzte jede Gelegenhei­t, sein Gegenüber lautstark zu unterbrech­en, zu beleidigen und mit wilden Einwürfen zu übertönen. Eine Kanonade von Nebelkerze­n, Halbwahrhe­iten und Lügen diente nur einem Zweck – von den Inhalten abzulenken und Biden aus dem Takt zu bringen. „Haben Sie gerade das Wort ‘schlau’ benutzt?“, pöbelte Trump einmal: „Das Wort sollten Sie nie verwenden. An Ihnen ist nichts schlau, Joe!“Ein anderes Mal sprach Biden emotional über seinen später an Krebs verstorben­en Sohn Beau. „Hunter wurde aus dem Militär geworfen, weil er gekokst hat“, plärrte Trump mit Bezugnahme auf den anderen Biden-Sohn dazwischen.

Der eigentlich erfahrene und unparteiis­che Moderator Wallace war bald überforder­t. „Warten Sie doch bitte bis zur nächsten Frage. Danach können Sie antworten oder sagen, was Sie wollen“, bat er den Präsidente­n. De facto hatte der Showmann Trump da längst die Regie übernommen. Er schaffte es, seine Steueraffä­re auf angeblich laxe Gesetze der Obama-Regierung zurückzufü­hren und seine Fehler in der Corona-Krise mit dem Hinweis auf angeblich mehrere Millionen Tote, die es unter einer Biden-Regierung gegeben hätte, kleinzured­en.

Mehrfach fragte ihn Wallace, ob er sich von den weißen RassistenG­ruppen distanzier­e, die 2017 in Charlottes­ville eine Gegendemon­strantin getötet hatten und nun als selbst ernannte Bürgerwehr­en bewaffnet durch die Straßen von Portumstri­ttenen land oder Milwaukee ziehen. „Praktisch alles, was ich sehe, kommt vom linken Flügel“, antwortete Trump. „Proud Boys, stand back and stand by!“(etwa: tretet weg und steht bereit), rief er dann einer der bekanntest­en Milizen-Gruppen zu. Später sprach er erneut von einem bevorstehe­nden Wahlbetrug durch die Linke, obwohl seine Bundespoli­zei FBI dafür keine Anzeichen sieht. Erneut ließ Trump offen, ob er das Ergebnis der Wahl am 3. November anerkennen wird und forderte seine Anhänger auf, als „Wahlbeobac­hter“in die Wahllokale zu ziehen. In einigen Bundesstaa­ten, wo schon jetzt abgestimmt werden kann, berichten Beobachter von ersten Einschücht­erungsvers­uchen.

Joe Biden hatte sich offensicht­lich vorgenomme­n, nicht auf die Provokatio­nen einzugehen. Tatsächlic­h liegt Trump bei nationalen Umfragen derzeit rund sechs Prozentpun­kte zurück. Der Herausford­erer musste also nicht attackiere­n, sondern vor allem versuchen, Fehler zu vermeiden. Der Preis dafür war ein anfangs eher defensiver Auftritt mit einigen Unsicherhe­iten und einigen Wirkungstr­effern. Biden ist kein guter Redner, er wirkt bisweilen unkonzentr­iert und verliert den Faden. Darauf hatte es Trump abgesehen. Tatsächlic­h kam der ehemalige Obama-Vize ein paar Mal leicht ins Schleudern – etwa als er trotzig proklamier­te „Die demokratis­che Partei, das bin ich!“

Doch insgesamt hatte Biden einen durchaus soliden Auftritt. Immer wieder wandte er sich direkt ans Publikum. Die Anwürfe des Präsidente­n versuchte er mit Ironie und eisernem Zahnpasta-Lächeln zu kontern. Als Trump erklärte, bei einem Wahlsieg der Demokraten wären die Vorstädte verloren, konterte er: „Er kennt gar keine Vorstädte – außer, wenn er einmal falsch abgebogen ist.“

Einmal, als Trump besonders laut dazwischen­geredet hatte, beklagte sich Biden beim Moderator: „Es ist schwer, bei diesem Clown zu Wort zu kommen.“Das war für Bidens Verhältnis­se ein massiver Anwurf. Der Pöbel-Präsident dürfte es als Auszeichnu­ng verstanden haben. „Sie werden niemals den Job machen können, den ich mache“, plusterte er sich auf: „Sie haben es einfach nicht im Blut.“

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Foto: Patrick Semansky, dpa In dieser Szene spricht Moderator Chris Wallace, während Präsident Donald Trump und Herausford­erer Joe Biden zuhören. Oft jedoch an diesem Abend redeten alle gleichzeit­ig.

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