Guenzburger Zeitung

„Das Stigma von Lügen ist kleiner geworden“

Angie Drobnic Holan und ihr Team überprüfen die Aussagen von US-Politikern auf deren Wahrheitsg­ehalt. Die meiste Arbeit macht ihnen der Präsident. Aber interessie­rt es dessen Anhänger überhaupt, ob das stimmt, was er sagt?

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Wie hat sich Ihre Arbeit verändert, seit Donald Trump Präsident ist? Angie Drobnic Holan: Die Angriffe gegen die Medien haben in den vergangene­n vier Jahren deutlich zugenommen. Barack Obama mochte die Medien auch nicht, aber er hat sie nicht permanent attackiert. Donald Trump ermutigt seine Unterstütz­er, die Medien zu verachten. Eine weitere Veränderun­g ist, dass wir einen beträchtli­chen Teil unserer Zeit darauf verwenden, die Aussagen des Präsidente­n zu überprüfen. Trump äußert sich nicht nur oft inakkurat wie im TV-Duell, er wiederholt auch Falschinfo­rmationen, die er im Internet gelesen hat. Obama hat seine öffentlich­en Aussagen genau vorbereite­t und vorher von seinem Team gegencheck­en lassen. Trump spricht und twittert viel spontaner.

Ist es für Sie und Ihr Team unangenehm­er geworden?

Holan: Wir erhalten mehr Drohungen mit teils verstörend­en Formulieru­ngen, aber glückliche­rweise scheinen die meisten nur leere Drohungen zu sein. Ich bekomme auch persönlich E-Mails mit wüsten Beleidigun­gen. Das ist psychologi­sch eine Herausford­erung. Gleichzeit­ig ist unsere Arbeit leichter geworden, weil wir mehr Ressourcen für die Überprüfun­g von Fakten haben.

Hat Trump mit seinem Verhalten eine neue Form der Fake-News-Kultur geschaffen?

Holan: Es gibt in den USA derzeit eine große Debatte, ob Trump eine neue Politik-Ära begründet oder ob er nur das Symptom für ein System ist, was bereits vorher da war. Sicher ist, dass er qua der Macht des Präsidente­namtes dafür sorgt, dass das soziale Stigma von Lügen und Fälschunge­n kleiner geworden ist. Trump-Anhänger sind sehr viel häufiger bereit, Dinge zu sagen, die nicht wahr sind.

Sind Fakten für viele Menschen inzwischen unwichtig geworden?

Holan: Als Journalist­in habe ich eine ethische Verpflicht­ung: die Wahrheit zu berichten. Die gilt immer. Und ich stelle fest: Unsere Faktenchec­ks sind beliebter denn je. Es mag Menschen geben, die nicht mehr an Fakten interessie­rt sind, andere sind es dafür umso mehr.

Aber ist es nicht so, dass für viele die Identitäts­frage entscheide­nd ist? Nach dem Motto: Wahr ist, was in mein Weltbild passt?

Holan: Meiner Erfahrung nach gibt es in beiden politische­n Lagern Anhänger, die Politik eher als so eine Art Sport sehen und sich um die Wahrheit nicht scheren. Für einen Großteil der Wähler spielt die Wahrheit aber nach wie vor eine sehr große Rolle.

Nur scheinen die vielen Enthüllung­en ja kaum etwas zu bewirken ...

Holan: Das liegt auch an unserem System. Wenn ein Präsident erst mal gewählt ist, gibt es kaum Möglichkei­ten, dass er das Amt verliert. Außer durch ein Impeachmen­t oder bei der nächsten Wahl. Ob die Unwahrheit­en für Trump Folgen haben, wird sich bei der Wahl zeigen. Lassen Sie uns danach noch einmal über diese Frage sprechen (lacht).

Ein Verstärker für die Verbreitun­g von Fake News sind die sozialen Netzwerke. Was halten Sie von der Ankündigun­g von Twitter, künftig stärker dagegen vorzugehen, zum Beispiel, indem Tweets mit falschen Behauptung­en nicht mehr angezeigt werden? Holan: Es ist völlig unklar, nach welchen Kriterien Twitter entscheide­t, ob ein Tweet „falsch“ist. Da herrscht keine Transparen­z. Es sieht auch nicht so aus, als ob es konsequent und gleichmäßi­g angewandt würde. Das zweite große Thema für Twitter sind das Mobbing und der Missbrauch, die dort stattfinde­n. Vor allem, weil Twitter anonyme Nutzer zulässt. So lange diese beiden Probleme nicht gelöst sind, scheint Twitter nicht besonders förderlich für die deliberati­ve Demokratie zu sein.

Sie arbeiten mit Facebook zusammen. Wie muss man sich das vorstellen?

Holan: Wenn unsere Recherche ergibt, dass ein Beitrag Falschinfo­rmationen enthält, wird er von Facebook im Newsfeed herunterge­stuft. Manches wird auch ganz entfernt.

Lügen aufzudecke­n ist eine ernste Angelegenh­eit. Sie haben auf Ihrer Website eine Art Barometer, dessen schlimmste Lügenkateg­orie, angelehnt an einen Kinderreim, „Pants on fire“heißt. Wie kam es dazu?

Holan: Wir versuchen, einen Funken Humor in dieses ernste Thema zu bringen. Auch weil wir glauben, dass das die Leserbindu­ng erhöht. Wir schreiben ja auch nicht für Experten, sondern für ein breites Publikum. Bei den Lesern kommt „Pants on fire“sehr gut an – sie wollen sehen, was wir derart einstufen. Und so lustig die Bezeichnun­g klingt: Dahinter verbergen sich einige der schrecklic­hsten Behauptung­en, die im Internet kursieren.

Sie gehören zu den wenigen Frauen, die sich mit Faktenchec­ks einen Namen gemacht haben. Ist der Faktenchec­k immer noch ein Männergesc­häft? Holan: Die politische Sphäre in den USA ist nach wie vor sehr auf Männer fixiert. Der Kongress wird von Männern dominiert, wir hatten noch keine weibliche US-Präsidenti­n. Auch in den Führungset­agen des Journalism­us haben oft noch Männer das Sagen. Das ist auch beim Faktenchec­k so, der sich ja damit überschnei­det. Ohne zu sehr in Geschlecht­erklischee­s verfallen zu wollen: Es ist ein hartes Geschäft, für das man eine dicke Haut entwickeln muss. Aber ich bekomme sehr oft E-Mails von Lesern, die mir schreiben: „Danke für Ihre Arbeit. Alles, was wir wollen, ist die Wahrheit.“Das ist mein Antrieb.

Sie sind gelernte Bibliothek­arin. Wie beeinfluss­t das Ihre Arbeit?

Holan: Bibliothek­are sind darin geschult, das gesamte Ökosystem der Informatio­n im Blick zu haben und es auf Genauigkei­t und Relevanz zu prüfen. Als ich meine Ausbildung abschloss, hatten die Büchereien begonnen, das Internet und seine Architektu­r zu integriere­n. So habe ich gelernt, Wissen und Informatio­n systematis­ch wahrzunehm­en, Muster zu erkennen, Quellen zu hinterfrag­en. Das hilft mir enorm in meiner jetzigen Arbeit.

Das Interview führte unsere Autorin Miriam Hollstein im Rahmen des „Transatlan­tic Media Fellowship“der Heinrich-Böll-Stiftung.

 ??  ?? Angie Drobnic Holan ist Chefredakt­eurin des mit dem Pulitzer-Preis ausgezeich­neten Faktenchec­kPortals „Politifact“.
Angie Drobnic Holan ist Chefredakt­eurin des mit dem Pulitzer-Preis ausgezeich­neten Faktenchec­kPortals „Politifact“.

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