Der Mann hinter der AfD-Spitze
Christian Lüth soll davon geredet haben, Flüchtlinge zu vergasen. Wie viel Einfluss hatte der gefeuerte Sprecher wirklich in der Partei?
Berlin Er schwadronierte davon, Migranten zu „vergasen“: Die Affäre um die menschenverachtenden Äußerungen des früheren Parteiund Fraktionssprechers Christian Lüth stürzt die AfD nicht nur in eine Glaubwürdigkeitskrise. Sie verschärft auch den schwelenden innerparteilichen Machtkampf. Kritiker werfen dem Parteivorstand um Alexander Gauland, Alice Weidel, Tino Chrupalla und Beatrix von Storch vor, bereits seit längerem von den Vorwürfen gewusst zu haben.
Am Montag hatte die AfD ihren ehemaligen Pressesprecher fristlos entlassen. Der Grund: Ein Dokumentarfilm des Senders ProSieben mit dem Titel „Rechts.Deutsch.Radikal“. Darin sind Aussagen zu hören, die Lüth (44) offenbar im Februar bei einem Gespräch in einer Berliner Bar gemacht hatte. Er traf sich damals mit einer rechten Internet-Aktivistin, ohne zu wissen, dass diese sich bereits zu einem Ausstieg aus der rechten Szene entschlossen hatte. Das Gespräch wurde von Journalisten ohne das Wissen Lüths aufgezeichnet. Demnach hat der damalige Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion unter anderem gesagt: „Die AfD ist wichtig; und das ist halt schizophren, das haben wir mit Gauland lange besprochen: Je schlechter es Deutschland geht, desto besser für die AfD.“Es folgte der auf Zuwanderer bezogene Satz: „Wir können die nachher immer noch alle erschießen, das ist überhaupt kein Thema, oder vergasen, oder wie du willst, mir egal.“
Fraktionschef Gauland hatte den Rauswurf des Ex-Sprechers so begründet: „Die Herrn Lüth zugeschriebenen Äußerungen sind völlig inakzeptabel und in keiner Weise mit den Zielen und der Politik der AfD und der AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag vereinbar.“Lüth sei seit August nicht mehr Parteimitglied gewesen und zum Zeitpunkt der Aufnahmen im Februar auch nicht Parteisprecher gewesen. Beides ist korrekt. Doch Beobachter mutmaßen, der Parteiaustritt im August habe damit zu tun, dass die Vorwürfe da bereits bekannt gewesen sind.
Tatsächlich hat Lüth im Februar nicht für die Partei gesprochen. Seit dem AfD-Einzug ins Parlament 2017 war er Sprecher der Fraktion im Bundestag. Allerdings wurde er von diesem Posten im Frühjahr freigestellt: Hintergrund waren Chatprotokolle zwischen Lüth und einer Frau. Lüth hatte sich in der Unterhaltung selbst als „Faschist“bezeichnet und auf seine „arische Abstammung“verwiesen. Er brüstete sich, Enkel des vom NS-Regime hochdekorierten U-Boot-Kommandanten Wolfgang Lüth zu sein. Was die Familie des Kriegsmarine-Kapitäns im Übrigen zurückwies. Christian Lüth ist wohl ein Großneffe des Offiziers.
Glaubte Lüth, dass solche Geschichten seinem Ansehen in der Partei dienten? In der AfD galt er als enger Vertrauter von Alexander Gauland. Wenn er Tweedsakko und auf Hochglanz polierte Schuhe trug, wirkte er wie eine jüngere Ausgabe des AfD-Seniors. Ob auf Parteitagen oder in den Gängen des Bundestags – Lüth mit dem markant dreieckigen Ansatz im pomadisierten Haar war eine auffällige Erscheinung, bewegte sich mitten im AfDMachtzentrum. Unumstritten war er allerdings auch in den eigenen Reihen nie. Nicht wenige Funktionäre hielten ihn für einen skrupellosen Karrieristen und Wichtigtuer. Ein unsolider Lebenswandel wurde ihm nachgesagt, ein Hang zum Alkohol.
Zwischen Ex-Parteichefin Frauke Petry und Lüth soll eine erbitterte Feindschaft bestanden haben. Heute behauptet Petry, dass die Spitzengremien der Partei sich bereits vor Jahren mit mindestens zwei Fällen beschäftigt hätten, in denen es um Lüth und Hitlergruß-Vorwürfe ging. Sollte dies zutreffen, wäre eine mangelnde Distanz des Sprechers zum Nationalsozialismus heute für einige führende Köpfe keineswegs eine Überraschung.
Selbst der Chat-Skandal im Mai, so schien es, konnte dem selbst ernannten „Faschisten“nichts anhaben. Er wurde nicht entlassen, sondern nur freigestellt. Weiß Lüth zu viel über hochrangige AfD-Funktionäre, wie Parteimitglieder vermuten? Jedenfalls war schnell von einer möglichen „Anschlussverwendung“die Rede. Zeitweise hieß es sogar, Lüth könne Mediendirektor und damit eine Art Chefstratege der Partei werden. Eine Rolle, die Lüth, der sich stets als Strippenzieher gerierte, sogar noch aufgewertet hätte.
Der Politikwissenschaftler war zunächst bei der FDP in Erscheinung getreten. Um Macht und darum, wie sie auch mit undemokratischen Mitteln übernommen werden kann, geht es bei einer Episode, die in Südamerika spielte. Für die liberale Friedrich-Naumann-Stiftung arbeitete Lüth in Honduras und machte von sich reden, als er einen gewaltsamen Militärputsch rechtfertigte. Zudem beriet er einen berüchtigten Wirtschaftsboss, dem Auftragsmorde an politischen Gegnern vorgeworfen werden. Später versuchte er offenbar, im Entwicklungsministerium unterzukommen. Doch das misslang. Laut Medienberichten hatte er in seinem Lebenslauf geschummelt. Später arbeitete er für einen Abgeordneten der FDP – doch als die 2013 aus dem Bundestag flog, wechselte er zur AfD.
Ein Hauptstadtjournalist, der seit den frühen AfD-Jahren immer wieder mit Lüth zu tun hatte, erinnert sich an eine „professionelle Zusammenarbeit“in der Anfangszeit. Doch später habe Lüth mehrfach Journalisten beschimpft und irgendwann die übliche Pressearbeit praktisch eingestellt. „Vieles spricht dafür, dass sich Lüth zusammen mit der Partei radikalisiert hat.“