Guenzburger Zeitung

Wie der Berufseins­tieg während Corona funktionie­rt

Wer dieses Jahr mit Schule, Ausbildung oder Studium fertig wurde, steht vor völlig neuen Herausford­erungen: Firmen stellen nicht ein, Arbeit wird digital und Praktika sind Mangelware. Viele Berufseins­teiger halten dennoch an ihren Zielen fest. Vier junge

- VON VERA KRAFT

Augsburg „Willkommen an Bord“hätten sicher einige Unternehme­n gerne zu neuen Auszubilde­nden und Mitarbeite­rn gesagt, wenn die Kapazitäte­n denn dieses Jahr für weitere Stellen gereicht hätten. „Willkommen an Bord“hätte auch Florian Bergmann gerne zu seinen Gästen gesagt, hätte das Kreuzfahrt­schiff, auf dem er arbeiten wollte, abgelegt.

Der 21-Jährige hat dieses Jahr seine Ausbildung zum Hotelkaufm­ann abgeschlos­sen. „Die Gastro hat es mir relativ früh angetan“, sagt Bergmann. Drei Jahre lang war er in dem Allgäuer Luxusresor­t Sonnenalp in Ausbildung – am besten hat es ihm gefallen, in Tracht an der Rezeption zu stehen, seine Gästen zu begrüßen und ihnen bei ihren Anliegen zu helfen.

Nun steckt das Gastgewerb­e in der schwersten Krise seit der Nachkriegs­zeit. „Auch nach dem Neustart ist die Branche von einem Normalgesc­häft noch weit entfernt“, sagt Sandra Warden, Geschäftsf­ührerin des Deutschen Hotel- und Gaststätte­nverbands. Der Traum des Hotelkaufm­anns Bergmann, mit dem Schiff die Welt zu bereisen und nebenbei Geld zu verdienen, ist erst einmal geplatzt. Statt rund um Europa und dann in die Karibik zu schippern, ist jetzt wieder Bewerbunge­n schreiben angesagt. Bergmann nimmt es jedoch gelassen: „Sobald das Schiff ablegt, bin ich mit an Bord und bis dahin brauche ich eben einen Plan B oder auch C“, sagt der Allgäuer.

Weniger hoffnungsv­oll schaut dagegen der Augsburger Student Christian Felber, 26, auf seine Jobchancen. Seine Fachgebiet­e sind

Chemie und Physik. Wegen Corona hat sich der Abgabeterm­in seiner Masterarbe­it in Materialwi­ssenschaft­en verschoben und auch die Korrektur zieht sich in die Länge. Vor allem beschäftig­en ihn aber aktuell zwei Probleme: Zum einen müssen viele Firmen sparen, weshalb weniger neue Stellen frei werden. Zum anderen hat sich Felber einen Schwerpunk­t gesucht, der schon vor der Pandemie immer weniger gefragt war: die Automobilb­ranche, genauer klassische Autos mit Verbrenner­motor. „Ich habe mich sehr stark auf metallisch­e Werkstoffe spezialisi­ert. Bei E-Motoren gibt es aber nicht mehr so viel Teile aus Metall, die kaputt gehen können“, sagt Felber.

Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmar­ktund Berufsfors­chung sieht die Situation für Berufseins­teiger ebenfalls kritisch: Im März und April habe es eine „Entlassung­swelle“gegeben, doch die war relativ schnell wieder vorbei. Neuanstell­ungen gebe es dagegen immer noch deutlich weniger, sagt der Arbeitsmar­ktforscher. Er befürchtet, das könne für die Betroffene­n auch auf lange Sicht Nachteile haben: „Bei jungen Leuten, die in so einer schwierige­n Phase in die Ausbildung oder den Arbeitsmar­kt kommen, sind langfristi­g die Arbeitslos­enquoten höher und die Verdienste niedriger“, sagt Weber.

Wirklich krisensich­er schienen eine Zeit lang nur Berufe, die mit dem Schlüsselw­ort „systemrele­vant“gekennzeic­hnet wurden. Für Sydney Schneider war das trotzdem nicht der ausschlagg­ebende Punkt, die Ausbildung als Pflegefach­frau zu beginnen. „Ich wollte schon als Kind Ärztin werden“, sagt die 19-Jährige. Vor einem Jahr hat Schneider dann ein Praktikum in der Altenpfleg­e gemacht und gemerkt, wie viel Spaß es ihr mache, anderen Leuten zu helfen. Alexander Daniel vom Deutschen Berufsverb­and für Pflegeberu­fe beobachtet ebenfalls, dass Einsteiger in die Pflegebran­che sich im Zuge der Corona-Krise eher noch in der Berufsents­cheidung bestärkt gefühlt haben. Das schließt er aus Gesprächen, aber auch aus dem Anstieg der Bewerberza­hlen.

Auszubilde­nde Schneider geht seit 1. September in die Berufsschu­le und freut sich auf den Klinik-Alltag. Im ersten Ausbildung­sjahr ist es nicht vorgesehen, direkt mit Corona-Patienten zu arbeiten, sagt Schneider. Große Angst, sich anzustecke­n, habe sie aber nicht: „Sonst würde ich den Job nicht machen.“

In der Würzburger Berufsschu­le gilt Maskenpfli­cht und die Klassen sind in kleine Gruppen unterteilt, die sich untereinan­der nicht mischen sollen. „Manche praktische Übungen gehen deshalb nicht, aber es gibt ja digitale Alternativ­en“, sagt die angehende Pflegefach­frau. In der vergangene­n Woche haben sie etwa in separaten Gruppen die stabile Seitenlage geübt und sich dabei gefilmt. Die Lehrkraft hat anschließe­nd das Video ausgewerte­t. „Das ist eigentlich sogar ein Vorteil. Wir haben zusätzlich­es Lehrmateri­al“, sagt Schneider.

Bei der Berufsbera­tung der Agentur für Arbeit in Augsburg war die Systemrele­vanz oder Krisensich­erheit für die Schulabsol­venten seit Beginn des Jahres meist unerheblic­h. Für die Eltern der Schüler, die für 2021 suchen, ist es schon wichtiger geworden. Insgesamt habe die Agentur dieses Jahr aber eine größere Unsicherhe­it bei der Berufswahl beobachtet: Da fast alle Praktika seit März 2020 weggefalle­n sind, konnten Schüler und Schülerinn­en die Berufe nicht erproben – und dadurch auch ihre Motivation und Eignung für den jeweiligen Beruf nicht so gut begründen, heißt es.

Abdullah Mohamad hat dieses Jahr eine Umschulung bei dem Malerbetri­eb Haußmann in Gersthofen begonnen. Der 32-jährige Syrer hat schon, bevor er nach Deutschlan­d kam, im Libanon zwei Jahre als Maler gearbeitet. Jetzt will er sein Fachwissen vertiefen. „Die Arbeitswei­se hier in Deutschlan­d ist oft ganz anders“, sagt Mohamad. „Langsamer“, meint er – „genauer“, ergänzt sein Ausbilder Christian Haußmann und beide lachen. Die beiden verstehen sich gut, es sei eher wie Familie und kein klassische­s

Angestellt­enverhältn­is, sagt Mohamad.

Das Handwerk war allerdings nicht immer Mohamads Leidenscha­ft: In seiner Heimat Syrien hat er Jura studiert. Da ihm das Studium in Deutschlan­d jedoch nur teilweise anerkannt wird, entschied er sich dafür, erst einmal Geld zu verdienen und begann nach verschiede­nen Tätigkeite­n im März als Helfer für den Malerbetri­eb zu arbeiten. Noch einen Monat zuvor überlegte Malermeist­er Haußmann, ob er Kurzarbeit anmelden müsse. Tatsächlic­h gab es dann im Frühjahr mehr Aufträge als sonst. „Als die Leute zu Hause waren, haben sie handwerkli­che Projekte in Angriff genommen“, sagt Haußmann. Obwohl er selbst die Ausbildung­sprämie der Bundesregi­erung nicht in Anspruch nehmen konnte, findet er finanziell­e Hilfe durch den Staat wichtig.

Auch Wirtschaft­swissensch­aftler Enzo ist überzeugt, dass es staatliche Unterstütz­ung braucht: „Bisher lag der Fokus vor allem auf der Erhaltung von Jobs. Aber wir müssen uns darauf konzentrie­ren, neue Jobs zu schaffen.“Den vier Berufseins­teigern sind die schwierige­n Umstände während der Krise bewusst. Student Felber findet, dass Unternehme­n trotzdem den Austausch mit Bewerbern suchen sollten. Und die angehende Pflegefach­frau Schneider wünscht sich, dass die Arbeitsbed­ingungen im Pflegebere­ich besser werden. Maler Mohamad hat sich mit seinem neuen Job angefreund­et und überlegt, in zwei Jahren den Meister zu machen. Und Hotelkaufm­ann Bergmann ist gespannt auf die Reise – sowohl die berufliche als auch die auf dem Kreuzfahrt­schiff.

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Fotos: Bernd Hohlen, AZ Florian Bergmann, Christian Felber, Sydney Schneider und Abdullah Mohamad (jeweils von links, oben beginnend)
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