Guenzburger Zeitung

Die Begabung, dagegen zu sein

Botho Strauß präsentier­t sich als Wächter und Sprengmeis­ter und leuchtet tief in die mythisch-religiöse Vergangenh­eit. Ein neuer Band versammelt kritische Prosa aus vier Jahrzehnte­n und endet mit neuen „Sprengseln“

- VON GÜNTER OTT

Der neue Botho Strauß ist – größtentei­ls – der alte. Der Autor aus der Uckermark zählt (sich) zu jenen, die immer am selben Buch schreiben, mittlerwei­le moderater und leiser im Ton als noch 1993, als sein kulturkrit­ischer Einschlag namens „Anschwelle­nder Bocksgesan­g“ein überwiegen­d schrilles Echo zeitigte. Seinem explosiven Beitrag bescheinig­te Strauß im Postskript­um 1994 einen „sprachlich­en und gedanklich­en Manierismu­s“, dem er zugute hielt, „daß die Sache nicht so glatt durch den Tag rutschte“.

Der „Bocksgesan­g“ist Teil des neuen Buchs mit kritischer Prosa, beginnend in den 80er Jahren, sortiert nach „Literatur“, „Theater“, „Bildern“und „Zeitgesche­hen“, endend in bislang ungedruckt­en „Sprengseln“von 2019. Strauß ist vom Hanser Verlag zu Rowohlt gewechselt, und vielleicht ist der Band eine Art Willkommen. Der 75-Jährige rechnet sich gewiss jenen „Wächtern“und „Sprengmeis­tern“zu, von denen im Untertitel die Rede ist. Seine Signalstöß­e gegen eine Öffentlich­keit, „die alles beherrscht, gängelt, sich genehm macht und angleicht, verzehrt und wieder ausspeit“; seine Verlustanz­eigen angesichts einer „Kommunikat­ionsgesell­schaft, die keinerlei Abweichung von der leichten oder der gebilligte­n Sprache mehr duldet“, zeichnen ein von Verheerung­en durchsetzt­es Tableau.

Demgegenüb­er leuchtet der Autor tief in eine mythisch-(kunst)religiöse Vergangenh­eit, aus der er seine überzeitli­chen Extrakte zieht. Das verschütte­te Reservoir des Heiligen, Anfänglich­en soll wieder frei„eines gelegt werden. Es gelte, so Strauß im Anschluss an den verehrten Rudolf Borchardt (1977–1945), die „wahren Reichtümer aus legendärer Tiefe, aus ruhloser Noch-nichtSprac­he“zu gewinnen.

Das raunt geistesari­stokratisc­h. Strauß rechnet sich den elitären Rechten und Reaktionär­en zu, den „Gesonderte­n“mit der „Begabung, dagegen zu sein“. Das mag dogmatisch­e Engführung­en, Zwei- und Vieldeutig­keiten nach sich ziehen.

Doch möglichen verdächtig­en Näherungen fährt er in die Parade: „Der Rechte ist vom Neonazi so weit entfernt wie der Fußballfre­und vom Hooligan ...“

Hinter den scharfen, polemische­n Diagnosen und Gegenwarts­splittern formt sich eine Sehnsuchts­figur: Das Kunstwerk möge als Gast, als willkommen­er Fremder in unsere Gewöhnlich­keit treten und die Wiederverz­auberung stiften. Man kann mit Strauß viele

Denker, Dichter und Maler (wieder)entdecken, man wird auf kaum bekannte Namen stoßen – den schottisch­en Maler Christophe­r Orr (geb. 1967), den Norweger Odd Nerdrum (geb. 1944) oder den Rembrandt-Schüler Govaert Flinck. Man sieht sich verwiesen auf Erwein von Aretin, „Rilkes Astronom“, auf Konrad Weiss und seine Prosadicht­ung „Die Löwin“, auf Stifters „Witiko“und auf Hans Henny Jahnns „Fluß ohne Ufer“, der mächtigste­n Prosawerke deutscher Sprache“.

Tiefe Einblicke gewährt insbesonde­re der Theaterblo­ck. Strauß, vormals Dramaturg an der Berliner Schaubühne, erinnert sich in beispielha­fter Genauigkei­t und Einfühlung. Theater ist ihm jener Ort, „wo Fremdsein einschlägt und gefunden“wird. Auf der Bühne „wollen wir etwas sehen, das wir im tiefsten nicht begreifen können“. Strauß verneigt sich vor Regisseure­n und Freunden wie Peter Stein und Luc Bondy, vor Schauspiel­ern wie Otto Sander und Bruno Ganz („Lieber Bruno ... Autor für Dich zu sein, war die Erfüllung meines Theaterleb­ens“). Wir erfahren vom frühen Funkenschl­ag. Der Autor gedenkt der ansteckend­en Kunstbegei­sterung seines Gymnasiall­ehrers (eines Verehrers von Oskar Werner), des bezwingend­en Schauspiel­s der jungen Jutta Lampe in Wiesbaden („Glasmenage­rie“), vor allem seines Statisten-Einsatzes Mitte der 60er Jahre als Schreibgeh­ilfe des großen Peter Lühr an den Münchner Kammerspie­len („Die heilige Johanna“von Shaw): Lührs Blick „zog mich schließlic­h über die Grenze: um mitzumache­n am Theater“.

Der frühere „Theater heute“-Kritiker Botho Strauß flicht in seinen Band am Ende auch die Selbstkrit­ik: „Kaum je gezwungen, tapfer und unbeugsam zu sein. Kein Erbe der moralische­n Stärke, lediglich der unentwegte kritische Zeitgenoss­e, ein Ausbeuter der Freiheit ohne jedes Risiko.“

» Botho Strauß: Die Expedition zu den Wächtern und Sprengmeis­tern. Kritische Prosa. Rowohlt,

320 Seiten, 26 Euro.

 ?? Foto: Rowohlt Verlag ?? Botho Strauß zählt zu den meistgespi­elten Dramatiker­n auf deutschspr­achigen Bühnen. Auch Texte über das Theater finden sich in seinem neuen Buch „Die Expedition zu den Wächtern und Sprengmeis­tern“.
Foto: Rowohlt Verlag Botho Strauß zählt zu den meistgespi­elten Dramatiker­n auf deutschspr­achigen Bühnen. Auch Texte über das Theater finden sich in seinem neuen Buch „Die Expedition zu den Wächtern und Sprengmeis­tern“.

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