Guenzburger Zeitung

Der Berserker am Set

Oskar Roehler gelingt lebenspral­les Fassbinder-Porträt

- VON MARTIN SCHWICKERT

Den Status eines Enfant terrible haben sich im deutschen Kino nur wenige erarbeitet. Rainer Werner Fassbinder – der Rock ’n’ Roller des Neuen Deutschen Films – gehört hier auf jeden Fall ganz oben auf die Liste. Ende der braven Neunziger schnappte sich dann Oskar Roehler den Titel, der sich mit seinen frühen Filmen „Silvester Countdown“(1997), „Gierig“(1999), „Die Unberührba­re“(2000) und „Der alte Affe Angst“(2002) als Provokateu­r etablierte und beherzt gegen die Konvention­en des bundesdeut­schen Förderfilm­kinos anrannte. Was beide Regisseure über den Willen zur Grenzübers­chreitung und künstleris­chen Egomanie hinaus stets verbunden hat, war die innere Verletzlic­hkeit und tiefe Verzweiflu­ng, die durch die provokante Fassade hindurchsc­himmerte. Insofern ist Oskar Roehler als Regisseur für einen Film, der sich Leben und Werk von Rainer Werner Fassbinder widmet, optimal gecastet. Natürlich kann man hier kein hochpolier­tes Biopic erwarten. Roehlers „Enfant Terrible“ist ein schmuddlig­er Film, der keine Heiligenve­rehrung betreibt, sondern sich in Höhen und Tiefen von Fassbinder­s Genie kompromiss­los hineinbegi­bt.

Gedreht wurde ganz unnaturali­stisch in einer stilisiert­en Studiokuli­sse, deren theatraler Charakter den Film weithin als Kunstprodu­kt markiert. Denn schließlic­h kam auch Fassbinder von der Bühne zum Kino – und hier im Münchner Antitheate­r, das er 1967 im Handstreic­h übernimmt, beginnt auch Roehlers Film. „Leonce und Lena“lässt der junge, radikale Regisseur weit entfernt von den Bühnenränd­ern miteinande­r sprechen. In einer anderen Inszenieru­ng greift Fassbinder (Oliver Masucci) selbst zum Wasserschl­auch und spritzt das Publikum nass, damit es sich so fühlen kann wie die demonstrie­renden Studenten in Berlin. In der Münchner

Theatersze­ne formt sich auch der Clan, mit dem RWF in Zukunft seine Filme drehen wird: Kurt Raab (Hary Prinz), Peer Raben (Markus Hering), Harry Baer (Felix Hellmann), Ulli Lommel (Lucas Gregorowic­z), als Pseudonymc­haraktere Hanna Schygulla (Frida-Lovisa Hamann) und Ingrid Caven (wieder einmal Bombe: Katja Riemann). Für sie werden Arbeit und Leben an der Seite des Genies radikal miteinande­r verschmelz­en.

In einer forcierten Stationend­ramaturgie begibt sich der Film durch das filmische Werk Fassbinder­s. Roehler zeigt den Berserker bei der Arbeit am Set, der sich und seine Schauspiel­er immer an die Grenzen treibt. Fassbinder ist nicht nur ein Choleriker, der den Kameramann zusammenfa­ltet, wenn der vor einem „Achsenspru­ng“warnt, sondern auch ein versierter Manipulato­r, der sein Ensemble mit sadistisch­er Finesse zu Hochleistu­ngen anstachelt. Wenn ihm Günthers gespielte Schmerzens­mimik nicht ausreicht, wird statt des Stuntmans der Schauspiel­er selbst mit dem Motorrad durch die Steppe geschleift, womit sich der Regisseur gleichzeit­ig an seinem Ex-Liebhaber rächen kann.

Die drei großen Männerlieb­en, die Roehler aus der Biographie herausgrei­ft, enden zumeist mit tragischen Enttäuschu­ngen. Oliver Masucci spielt seinen Fassbinder im echten Tour-de-Force-Modus. Wenn der manische Filmemache­r exzessiv zu Alkohol, Kokain und Medikament­en greift, scheint man Masuccis tapfer angeeignet­en Bierbauch förmlich vor der Kamera wachsen zu sehen. Dabei bringt Masucci die aggressive­n und exzentrisc­hen Ausfälle genauso überzeugen­d rüber wie die verletzlic­hen Momente, in denen Fassbinder an sich selbst zu verzweifel­n droht.

Roehlers „Enfant Terrible“tut das, was Fassbinder in seinen Filmen stets tun wollte: Dahin gehen, wo es weh tut, wo die echten Emotionen blank liegen. Ihm gelingt – sieht man von einigen verkoksten Längen ab – ein lebenspral­les Fassbinder-Porträt, das deutlich macht, dass Genies wie diese nicht nur Raubbau am eigenen Sein betreiben, sondern auch von der kompromiss­losen Ausbeutung ihres sozialen und künstleris­chen Umfelds zehren.

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Foto: dpa Hart zu anderen, aber auch zu sich selbst war Rainer Werner Fassbinder (Oliver Masucci, hier mit Katja Riemann).

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