Guenzburger Zeitung

Sie hilft Menschen aus aller Welt

Seit 27 Jahren setzt sich Elfriede Roth aus Sonthofen für Schutz suchende Frauen und Flüchtling­e ein. Sie interessie­rt sich für deren Geschichte­n, unterstütz­t bei alltäglich­en Fragen. Nur einmal geriet sie an ihre Grenzen

- VON MICHAEL MANG

Sonthofen Elfriede Roth sitzt auf einer Holzbank vor dem alten Kasernenge­bäude in Sonthofen. Um sie herum spielen Kinder im Hof der Flüchtling­sunterkunf­t, die von einem hohen Metallzaun umschlosse­n ist. Ein dunkelhäut­iger Junge fährt mit dem Fahrrad knapp vor ihren Beinen vorbei und lächelt sie herausford­ernd an. Die Menschen hier kennen die 71-Jährige. Sie kommt immer noch fast jeden Tag hierher. Seit 27 Jahren hilft sie Geflüchtet­en, noch länger setzt sich die Stadt- und Kreisrätin der Grünen für Schutz suchende Frauen ein. Für ihr Engagement erhält Roth jetzt die Silberdist­el unserer Redaktion.

Alles begann mit dem „Memminger Abtreibung­sprozess“im Jahr 1988 gegen einen Mediziner, der Frauen illegal zum Schwangers­chaftsabbr­uch verholfen hatte. Demonstran­ten aus ganz Deutschlan­d reisten ins Allgäu. Auch Roth ging auf die Straße und begründete, bewegt von den Erlebnisse­n, mit einer Reihe von Mitstreite­rinnen 1993 den Verein „Die Arche Sonthofen“. „Wir waren uns schnell einig, dass wir Schutz suchenden Frauen helfen müssen“, erinnert sich die 71-Jährige. Noch heute ist Roth Vorsitzend­e des Vereins, der eine Wohnung bereithält, in der Frauen und Kinder Zuflucht finden, bis sie wieder auf eigenen Beinen stehen.

Als im Jahr 1993 Kinder aus Bosnien ins Oberallgäu kamen, um dem Krieg in ihrem Heimatland zu entkommen, begann Roths Engagement für Flüchtling­e. „Ich musste helfen.“Sie nahm zwei Mädchen bei sich auf. Später gewährte sie auch deren Mutter und Bruder Zuflucht. Fast zwei Jahre lebten die Familien unter einem Dach. „Das ging gut“, sagte Roth, die zwei Söhne und eine Tochter hat. „Wir haben damals den Dachboden ausgebaut.“Der Kontakt ist nicht abgerissen. Roth reiste 2018 zu der Familie, die in der Nähe von Sarajewo wohnt, und war schockiert über die Zerstörung, die der Krieg hinterlass­en hat.

Viele Menschen, die ihr in den vergangene­n drei Jahrzehnte­n besind, haben schrecklic­hes Leid erfahren, sind Kriegen entkommen und haben auf der Flucht ihr Leben und das ihrer Kinder riskiert. „Es führt einem vor Augen, dass man die eigenen, kleinen Probleme nicht zu wichtig nehmen sollte“, sagt Roth. „Man wird gelassener.“Als Belastung habe sie ihr Engagement aber deshalb nie empfunden. „Ich interessie­re mich für die Geschichte­n, aber ich schaue mir nicht die Bilder an“, sagt Roth. „Die meisten zeigen sowieso lieber Fotos von früher – wie sie gelebt haben, bevor alles zerstört wurde.“

„Ich mache das gerne“, sagt Roth, die in einer Steuerkanz­lei gearbeitet hat. „Es ist auch eine Chance, Menschen aus unterschie­dlichen Ländern und Kulturen kennenzule­rnen.“Nach dem Bosnienkri­eg kümmerte sie sich um kosovarisc­he Familien, wurde Mitglied im Integratio­nsbeirat des Landkreise­s Oberallgäu. Als 2013 die ersten

aus Afghanista­n kamen, war Roth erneut zur Stelle. Sie half mit anderen Ehrenamtli­chen, Kleidung und Lebensmitt­el aufzutreib­en, und begründete den Runden Tisch Asyl, dessen Hilfe sie bis heute koordinier­t. An ihre Grenzen seien die Helfer nur einmal gestoßen: Als im August 2015 – zum Höhepunkt der Flüchtling­skrise – jede Woche fünf bis sechs Busse mit 250 bis 300 Flüchtling­en in der Erstaufnah­meeinricht­ung in Sonthofen ankamen. „Das war für die Ehrenamtli­chen schon eine große Belastung“, erinnert sich Roth. „Wir haben gemerkt, dass wir es nicht mehr schaffen, alle zu betreuen.“Doch im Januar 2016 kamen keine Busse mehr. Heute leben rund 180 Flüchtling­e in Sonthofen in drei Unterkünft­en.

Allein in der Kreisstadt ist also derzeit noch viel Platz. Deshalb hat Roth gemeinsam mit ihrer GrünenKrei­stagsfrakt­ion in einem flammenden Appell gefordert, besongegne­t ders den unbegleite­ten Flüchtling­en aus dem abgebrannt­en Lager auf Lesbos im Oberallgäu Obdach und Hilfe zu gewähren. „Das sollte eine Selbstvers­tändlichke­it sein“, sagt Roth. „Wir haben die VerantworF­lüchtlinge tung, Menschen zu helfen, die durch Krieg, Verfolgung und andere Notlagen ihre Heimat verlassen mussten und in Europa und Deutschlan­d Zuflucht suchen.“Wenn Roth das fordert, widerspric­ht in Sonthofen niemand öffentlich. Denn sie hat gezeigt, was man mit persönlich­em Engagement bewegen kann. Für ihren Einsatz erhielt sie 2019 das Bundesverd­ienstkreuz am Bande. Ihre Überzeugun­g, Menschen in der Not zu helfen, ist ungebroche­n. Obwohl sie die Probleme täglich sieht. Neben der schwierige­n Wohnungssu­che sind das die Integratio­n in Schule und Beruf. „Die größte Herausford­erung ist die Sprache.“

Ein etwa zwölfjähri­ger Junge mit schwarzem Haar tritt aus der Tür des Kasernenge­bäudes, geht auf Roth zu und fragt in fast akzentfrei­em Deutsch: „Frau Roth, können Sie uns helfen, ein Formular auszufülle­n?“Der Vater des Jungen steht – das Papier in der Hand – schweigend hinter ihm. Er spricht die Sprache nicht. Die 71-Jährige bittet den Jungen, sich kurz zu gedulden und erzählt leise: „Er ist einer der Besten in seiner Klasse.“

„Ich freu mich für jeden, der es geschafft hat, eine eigene Wohnung und eine Arbeit zu finden“, sagt Roth. „Vor allem wenn man die Kinder sieht, die hier aufgewachs­en und jetzt angekommen sind.“Diese positiven Erlebnisse überwiegen. Das Bedürfnis, alles hinzuschme­ißen, habe sie nie gehabt. Gekränkt habe sie, wenn ihr unterstell­t wurde, nicht alle gleich zu behandeln.

Das größte Problem sei die Perspektiv­losigkeit vieler Flüchtling­e – in Verbindung mit der ständigen Angst vor Abschiebun­g. Das könne dazu führen, dass Menschen in Kriminalit­ät und Sucht abrutschen. „Deshalb würde ich mir wünschen, dass alle, die kommen, den Anspruch haben, Deutsch zu lernen“, sagt Roth. „Und dass alle bleiben dürfen, die Arbeit haben und sich nichts zuschulden kommen lassen.“

Im Eingangsbe­reich der Unterkunft sitzt der Junge mit seinem Vater auf dem Fußboden. Er hält immer noch das deutsche Formular in der Hand. Sie haben auf Roth gewartet, die hier ein kleines Büro hat. „Geht ruhig schon mal auf Euer Zimmer“, sagt Roth zu den beiden. „Ich klopf’ dann bei euch.“

 ?? Foto: Matthias Becker ?? Seit 27 Jahren engagiert sich Elfriede Roth aus Sonthofen (rechts) für Schutz suchende Menschen. Die 71-Jährige ist immer noch jeden Tag in der Flüchtling­sunterkunf­t der Oberallgäu­er Kreisstadt, in der 100 Menschen leben.
Foto: Matthias Becker Seit 27 Jahren engagiert sich Elfriede Roth aus Sonthofen (rechts) für Schutz suchende Menschen. Die 71-Jährige ist immer noch jeden Tag in der Flüchtling­sunterkunf­t der Oberallgäu­er Kreisstadt, in der 100 Menschen leben.

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