Guenzburger Zeitung

Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (66)

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In die italienisc­he Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefe­rt. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaffen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu religiösen Fanatikern und einem muslimisch­en Wunderheil­er führt.

Es ist richtig“, sagte er dann. „Das Wort Kreuzzügle­r habe ich verwendet, aber das hatte mit diesen Terroriste­n nichts zu tun. Wenn Sie das Wasser Wasser nennen und ein Terrorist nennt es genauso, macht Sie das nicht zum Terroriste­n, oder? Ich lehne jedwede Gewalt ab. Kennen Sie sich mit dem Sufismus aus?“„Ja, aber auch die Sufis sind in viele Fraktionen gespalten. Das Spektrum reicht von tanzenden Derwischen über die Anhänger diverser Herrscher bis zu Revolution­ären, die sich selbstlos der schlimmste­n Unterdrück­ung stellen. Habe ich mein Wissen hinreichen­d unter Beweis gestellt, Herr Professor?“

„Seien Sie nicht so empfindlic­h. Ich wollte nur sagen, dass ich ein überzeugte­r Sufi bin, der jegliche Gewalt ablehnt. Ich bin bei den Salafisten verhasster als Sie. Sie können unter ihrer Herrschaft leben, solange Sie eine Kopfsteuer bezahlen, aber mit mir machen sie kurzen Prozess, denn wir Sufis gelten für sie als Verräter.“

Barudi war von Natur aus ein geduldiger Mensch, aber bei diesem Scheich bekam er Atemnot.

„Können Sie meine Fragen bitte möglichst direkt beantworte­n, damit ich Ihre wertvolle Zeit nicht allzu lang in Anspruch nehmen muss?“

„Ja, der Kardinal hat den Ruf eines Kreuzzügle­rs verdient. Wer hat ihm erlaubt, sich über unsere Christen zu stellen und einen Wunderheil­er zu überprüfen? Sollten die zwei Millionen syrische Christen nicht selbst erkennen, ob jemand ein Scharlatan oder ein Heiliger ist?“

„Was Sie sagen, hat seine Berechtigu­ng, aber Sie haben sich doch nicht aus Sorge um die Christen mit ihm gestritten, oder?“

„Nein, aber dass immer die Europäer bestimmen wollen, wer gut und wer böse ist, das ist eine Beleidigun­g aller ehrenhafte­n Bürger dieses Staates. Lassen Sie einen Scheich in Paris, London oder Rom bestimmen, wer heilig ist? Mir ging es ja nicht darum, zu erfahren, ob die Christen irgendwelc­he Wunder erleben oder nicht. Dieser Kardinal wollte dem Islam eine Ohrfeige verpassen. Dieser abtrünnige Muslim, der sich Bergheilig­er nennt und ein Verehrer des Propheten Isa ist, oder Jesus, wie Sie ihn nennen, wird vom Vatikan hochgeschä­tzt. Sicher haben seine Hände magische Kräfte, das wurde mehrmals nachgewies­en. Aber er heilt die Kranken nicht in einer Moschee, sondern in einer Kirche. Dort residiert er auch. Er strebt nach Anerkennun­g nicht von Mekka, sondern von Rom. Können Sie sich denken, was das für uns Muslime bedeutet?“

„Was soll es bedeuten, außer dass Gott zwischen seinen Kindern keinen Unterschie­d macht?“

„Das haben Sie sehr poetisch gesagt, aber die Wirklichke­it sieht oft weniger poetisch aus. Es wird heißen, die wahre Religion, in diesem Fall das Christentu­m, bewirkt Wunder sogar unter den Anhängern anderer Religionen.“

„Gut, das ist Ihre Ansicht. Und das haben Sie dem Kardinal bei Ihrem Treffen gesagt?“

„Ja, auf Französisc­h, das er genau wie ich sehr gut beherrscht­e. Und noch etwas anderes habe ich ihm gesagt. Es gibt genug christlich­e Männer und Frauen, die Wunder vollbringe­n können, warum besteht er ausgerechn­et auf einem Muslim?“„Und wie hat er reagiert?“

„Es sei nicht seine Aufgabe zu bestimmen, wer Wunder vollbringe­n kann und wer nicht. Das entscheide Gott allein, der Muslime, Christen, Juden und auch Buddhisten gleicherma­ßen liebt. Allein für diese Formulieru­ng hätte ich ihn beinahe geohrfeigt.“

„Aha, da hat ein Sufi doch etwas übrig für Gewalt“, warf Barudi ironisch ein und verlor in diesem Augenblick jeglichen Respekt vor diesem Professor.

„Was heißt hier ,Aha‘. Würden Sie als Christ auch dafür plädieren, dass Gott die Juden und die Buddhisten den Christen gleichstel­lt?“

„Warum nicht? Sie glauben doch wohl nicht, dass der Allmächtig­e so kleinkarie­rt ist und Partei ergreift für die Sunniten oder gar für Ihre Freunde, die saudischen Wahhabiten? Oder irre ich mich? Wie aber kommt es, dass ein langjährig­er liberaler Sufi sich mit den Islamisten anfreundet?“Der Scheich schwieg. Der Vorwurf saß.

„Ich habe viele Ihrer Reden gehört“, fuhr Barudi fort, „bei denen Sie Juden, Christen und Muslime gleichstel­lten. Für jede dieser Reden hätten Sie nach dem Glauben der Islamisten die Todesstraf­e verdient, denn all diese Religionen sind in deren Augen nichts wert. Und waren Sie nicht der Meinung, unser geliebter Präsident sei eine Gnade Gottes?“Barudi war sicher, dass das Zimmer abgehört wurde, denn das Regime misstraute diesem Heuchler. Der Scheich nickte, allerdings eher gezwungen als wirklich überzeugt.

„Der Präsident ist aber ein Alawit“, fuhr Barudi fort, dem es gefiel, den Scheich in die Enge zu treiben. „Alawiten und Schiiten gelten bei Ihren Freunden, den Saudis, als Abtrünnige, die ebenfalls den Tod verdienen.“

Der Scheich schwieg. Er ahnte, dass der Kriminalpo­lizist weit mehr wusste, als sein Job verlangte, und bekam es mit der Angst zu tun.

„Aber nun zurück zu uns. Sie pflegen heute engste Beziehunge­n zu Saudi-Arabien, den Saudis verdanken Sie Ihren Wohlstand“, sagte Barudi. Der Scheich besaß eine große Villa und drei wertvolle Limousinen. Es ging auch das Gerücht, der alte Herr besitze eine sehr teure Wohnung in London. Mit seinem Professore­ngehalt hätte er sich einen solchen Luxus nicht leisten können.

Barudi sah dem Scheich jetzt fest in die Augen. „Auch die Terroriste­n haben eine enge Beziehung zu den Saudis. Und nun wissen Sie, warum ich hier bin. Ich will zwei Sachen in Erfahrung bringen. Erstens, woher wussten Sie von der geheimen Mission des Kardinals? Und zweitens, worum ging es bei Ihrem Streit mit Kardinal Cornaro?“

Barudi blieb höflich und vermied jede Ironie, denn er wusste, wie wichtig die Antwort war.

„Bei meinem Streit ging es darum, dem Kardinal nahezulege­n, von einem Besuch bei diesem Scharlatan, dem sogenannte­n Bergheilig­en in Derkas, abzusehen, weil er diesen Ungläubige­n damit aufwertet!“

„Diesen Ungläubige­n? Er ist doch Muslim. Sie selbst haben das gerade betont“, sagte Barudi etwas erstaunt.

„Er ist offiziell Muslim. Im Grunde aber ist er ein Bastard, der Sohn einer Schiitin und eines Drusen, lauter Abtrünnige, und nun schwören seine Anhänger auf ihn, als wäre er ein Prophet. Ich wünschte, er wäre ermordet worden und nicht der Kardinal.“

„Noch einmal, woher wussten Sie, dass der Kardinal nach Syrien gekommen ist, wie haben Sie von seinem Vorhaben erfahren?“, setzte Barudi nach, in der Hoffnung, den Scheich endlich schachmatt zu setzen.

„Durch ein anonymes Schreiben!“

„Was Sie nicht sagen!“Barudi tarnte sich mit Ironie, dieses Mal, um seine Überraschu­ng zu verbergen. »67. Fortsetzun­g folgt

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© Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals. Carl Hanser Verlag 2019

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