Guenzburger Zeitung

War es eine Vergewalti­gung oder nicht?

Ein 18-Jähriger soll eine 13-Jährige zum Sex gezwungen haben. Weil er alles abstreitet, beginnt vor Gericht eine mühsame Suche nach Hinweisen im Umfeld der beiden. Und es deckt dabei einige Widersprüc­he auf

- VON ALEXANDER SING

Günzburg Es beginnt mit einer Schwärmere­i. Ein junges Mädchen, gerade einmal 13 Jahre alt, begeistert sich für einen älteren Jungen. Sie chattet mit ihm, träumt schon von einer Beziehung. Sie schickt ihm sogar anzügliche Fotos von sich, als er danach verlangt. Das reicht dem jungen Mann aber offenbar nicht. Er will mehr. Und eineinhalb Jahre später sitzt die Jugendlich­e mit weißem Gesicht vor dem Sitzungssa­al 2.1 am Günzburger Amtsgerich­t. Gleich soll sie dort drin erzählen, wie der einst umschwärmt­e 18-Jährige sie vergewalti­gt haben soll.

Zum Schutz der mittlerwei­le 15-Jährigen findet die Zeugenauss­age unter Ausschluss der Öffentlich­keit statt. Die Details, wie sich der Missbrauch abgespielt haben soll, liefert die Anklagesch­rift. Der zur Tatzeit 18 Jahre alte Angeklagte soll sich im März 2019 mit dem Teenager in der Wohnung seiner Eltern im nördlichen Landkreis Günzburg getroffen haben. Zunächst habe man Videospiel­e gespielt, der junge Mann habe aber schnell seine Absichten deutlich gemacht, als er anfing, das Mädchen zu küssen und schließlic­h auszuziehe­n. Laut Anklage habe sie sich dabei zwar unwohl gefühlt, es aber zugelassen. Als es dann aber zum Geschlecht­sverkehr kam und die 13-Jährige starke Schmerzen verspürte, soll sie geschrien und ihn mehrmals aufgeforde­rt haben, aufzuhören. Nach kurzer Unterbrech­ung soll der Angeklagte sie dann an den Hüften gepackt und erneut in sie eingedrung­en sein. Er soll ihr den Mund zugehalten haben, bis sie ihn biss. Den Geschlecht­sverkehr brachte er laut Anklage dennoch zu Ende.

Die Staatsanwa­ltschaft wertet das als schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes, weil das Mädchen bei der Tat unter 14 Jahre alt war. Vor Gericht zeigt sich aber, wie so oft bei Sexualstra­ftaten, dass es eine objektive Wahrheit eigentlich nicht gibt. Da ist die Seite des Angeklagte­n, die bis zum Schluss behauptet, das Mädchen sei nie in der Wohnung gewesen. Und da ist die Seite des Opfers, deren Darstellun­g der Vergewalti­gung im Lauf des Prozesses einige Risse bekommt.

Was dem Jugendschö­ffengerich­t um Amtsgerich­tsdirektor Walter

Henle die Aufklärung erschwert, ist die Tatsache, dass es keine direkten Zeugen zu dem angebliche­n Übergriff gibt. Die, die etwas dazu sagen können, stammen aus dem Umfeld der Beteiligte­n. Und sie haben ihre Informatio­nen auch von eben diesen. Die wenigen Fakten, zusammenge­tragen von einer Beamtin der Kriminalpo­lizei Neu-Ulm, zeigen auf, dass es tatsächlic­h im Vorfeld der Tat eine Annäherung zwischen den beiden gegeben hat. Das belegen diverse Chatprotok­olle. Vom Tattag selbst gibt es kurze Videoseque­nzen auf dem Handy des Opfers, die den Angeklagte­n zeigen. Und bereits kurz nach dem sexuellen Kontakt schrieb das Mädchen an eine Freundin, dass sie nun keine Jungfrau mehr sei.

Doch ab hier gehen die Darstellun­gen auseinande­r. Sowohl der Angeklagte als auch dessen Vater und mit im Haus lebender Großvater behaupten steif und fest, dass das Mädchen am vorgeblich­en Tattag nicht da gewesen sei. Minutiös erzählen sie und ein am Nachmittag zu Besuch gekommener Freund des Angeklagte­n, wie der Tag abgelaufen sein soll. An die Zeit vor und nach jenem Tag – immerhin liegt er bereits eineinhalb Jahre zurück – können sich die Männer allerdings nicht mehr erinnern.

Vieles spricht dafür, dass etwas passiert ist an jenem Tag. Aber war es eine Vergewalti­gung? Die vom Gericht beauftragt­e Psychologi­n Prof. Dr. Michaela Pfundmair aus München hat die Aussage des Mädchens auf Herz und Nieren geprüft. Sie sieht die Möglichkei­t, dass das Erlebte von der damals 13-Jährigen im Nachhinein anders bewertet wurde. Dabei spielten laut Pfundmair Einflüsse von außen eine große Rolle. So hatte sie sich zunächst einer älteren Freundin anvertraut, die schnell hinterfrag­t hatte, ob sie den Geschlecht­sverkehr so auch wirklich gewollt hatte. Jene Freundin rief später auch Telefon-Hotlines für Vergewalti­gungsopfer an, um sich zu informiere­n. Und jene Freundin zog schließlic­h auch die Eltern des Mädchens ins Vertrauen – gegen den erklärten Willen der jungen Frau.

Pfundmair zeichnet das Bild eines verunsiche­rten jungen Mädchens, dem wichtig ist, was andere von ihm denken, das wohl erst später realisiert­e, was ihm da überhaupt passiert ist – und das deshalb womöglich im Nachhinein ihren eigenen Anteil an dem Geschehene­n heruntersp­ielen wollte. Fakt ist aber, dass das Geschehene seine Spuren hinterlass­en hat. Laut ihrer Therapeuti­n leidet die 15-Jährige an einer posttrauma­tischen Belastungs­störung und hat bis heute große Angst vor dem Angeklagte­n.

Wird sich der 18-Jährige doch noch zur Sache äußern? Eine Verurteilu­ng sieht das Gericht als nicht unwahrsche­inlich an, ist der junge Mann doch einschlägi­g vorbestraf­t, weil er mehrfach junge Mädchen dazu überredet hat, ihm Nacktfotos zu schicken. Das Urteil soll am 16. Oktober fallen.

 ?? Archivfoto: Bernhard Weizenegge­r ?? Am Günzburger Amtsgerich­t wird aktuell der Fall eines 18-Jährigen verhandelt, der ein 13 Jahre altes Mädchen in der Wohnung seiner Eltern vergewalti­gt haben soll.
Archivfoto: Bernhard Weizenegge­r Am Günzburger Amtsgerich­t wird aktuell der Fall eines 18-Jährigen verhandelt, der ein 13 Jahre altes Mädchen in der Wohnung seiner Eltern vergewalti­gt haben soll.

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