War es eine Vergewaltigung oder nicht?
Ein 18-Jähriger soll eine 13-Jährige zum Sex gezwungen haben. Weil er alles abstreitet, beginnt vor Gericht eine mühsame Suche nach Hinweisen im Umfeld der beiden. Und es deckt dabei einige Widersprüche auf
Günzburg Es beginnt mit einer Schwärmerei. Ein junges Mädchen, gerade einmal 13 Jahre alt, begeistert sich für einen älteren Jungen. Sie chattet mit ihm, träumt schon von einer Beziehung. Sie schickt ihm sogar anzügliche Fotos von sich, als er danach verlangt. Das reicht dem jungen Mann aber offenbar nicht. Er will mehr. Und eineinhalb Jahre später sitzt die Jugendliche mit weißem Gesicht vor dem Sitzungssaal 2.1 am Günzburger Amtsgericht. Gleich soll sie dort drin erzählen, wie der einst umschwärmte 18-Jährige sie vergewaltigt haben soll.
Zum Schutz der mittlerweile 15-Jährigen findet die Zeugenaussage unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Die Details, wie sich der Missbrauch abgespielt haben soll, liefert die Anklageschrift. Der zur Tatzeit 18 Jahre alte Angeklagte soll sich im März 2019 mit dem Teenager in der Wohnung seiner Eltern im nördlichen Landkreis Günzburg getroffen haben. Zunächst habe man Videospiele gespielt, der junge Mann habe aber schnell seine Absichten deutlich gemacht, als er anfing, das Mädchen zu küssen und schließlich auszuziehen. Laut Anklage habe sie sich dabei zwar unwohl gefühlt, es aber zugelassen. Als es dann aber zum Geschlechtsverkehr kam und die 13-Jährige starke Schmerzen verspürte, soll sie geschrien und ihn mehrmals aufgefordert haben, aufzuhören. Nach kurzer Unterbrechung soll der Angeklagte sie dann an den Hüften gepackt und erneut in sie eingedrungen sein. Er soll ihr den Mund zugehalten haben, bis sie ihn biss. Den Geschlechtsverkehr brachte er laut Anklage dennoch zu Ende.
Die Staatsanwaltschaft wertet das als schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes, weil das Mädchen bei der Tat unter 14 Jahre alt war. Vor Gericht zeigt sich aber, wie so oft bei Sexualstraftaten, dass es eine objektive Wahrheit eigentlich nicht gibt. Da ist die Seite des Angeklagten, die bis zum Schluss behauptet, das Mädchen sei nie in der Wohnung gewesen. Und da ist die Seite des Opfers, deren Darstellung der Vergewaltigung im Lauf des Prozesses einige Risse bekommt.
Was dem Jugendschöffengericht um Amtsgerichtsdirektor Walter
Henle die Aufklärung erschwert, ist die Tatsache, dass es keine direkten Zeugen zu dem angeblichen Übergriff gibt. Die, die etwas dazu sagen können, stammen aus dem Umfeld der Beteiligten. Und sie haben ihre Informationen auch von eben diesen. Die wenigen Fakten, zusammengetragen von einer Beamtin der Kriminalpolizei Neu-Ulm, zeigen auf, dass es tatsächlich im Vorfeld der Tat eine Annäherung zwischen den beiden gegeben hat. Das belegen diverse Chatprotokolle. Vom Tattag selbst gibt es kurze Videosequenzen auf dem Handy des Opfers, die den Angeklagten zeigen. Und bereits kurz nach dem sexuellen Kontakt schrieb das Mädchen an eine Freundin, dass sie nun keine Jungfrau mehr sei.
Doch ab hier gehen die Darstellungen auseinander. Sowohl der Angeklagte als auch dessen Vater und mit im Haus lebender Großvater behaupten steif und fest, dass das Mädchen am vorgeblichen Tattag nicht da gewesen sei. Minutiös erzählen sie und ein am Nachmittag zu Besuch gekommener Freund des Angeklagten, wie der Tag abgelaufen sein soll. An die Zeit vor und nach jenem Tag – immerhin liegt er bereits eineinhalb Jahre zurück – können sich die Männer allerdings nicht mehr erinnern.
Vieles spricht dafür, dass etwas passiert ist an jenem Tag. Aber war es eine Vergewaltigung? Die vom Gericht beauftragte Psychologin Prof. Dr. Michaela Pfundmair aus München hat die Aussage des Mädchens auf Herz und Nieren geprüft. Sie sieht die Möglichkeit, dass das Erlebte von der damals 13-Jährigen im Nachhinein anders bewertet wurde. Dabei spielten laut Pfundmair Einflüsse von außen eine große Rolle. So hatte sie sich zunächst einer älteren Freundin anvertraut, die schnell hinterfragt hatte, ob sie den Geschlechtsverkehr so auch wirklich gewollt hatte. Jene Freundin rief später auch Telefon-Hotlines für Vergewaltigungsopfer an, um sich zu informieren. Und jene Freundin zog schließlich auch die Eltern des Mädchens ins Vertrauen – gegen den erklärten Willen der jungen Frau.
Pfundmair zeichnet das Bild eines verunsicherten jungen Mädchens, dem wichtig ist, was andere von ihm denken, das wohl erst später realisierte, was ihm da überhaupt passiert ist – und das deshalb womöglich im Nachhinein ihren eigenen Anteil an dem Geschehenen herunterspielen wollte. Fakt ist aber, dass das Geschehene seine Spuren hinterlassen hat. Laut ihrer Therapeutin leidet die 15-Jährige an einer posttraumatischen Belastungsstörung und hat bis heute große Angst vor dem Angeklagten.
Wird sich der 18-Jährige doch noch zur Sache äußern? Eine Verurteilung sieht das Gericht als nicht unwahrscheinlich an, ist der junge Mann doch einschlägig vorbestraft, weil er mehrfach junge Mädchen dazu überredet hat, ihm Nacktfotos zu schicken. Das Urteil soll am 16. Oktober fallen.