Kommt nun doch eine Polizeistudie?
Neue rechtsextremistische Verdachtsfälle in Berlin lassen die Diskussion über eine wissenschaftliche Analyse wieder hochkochen. Auch aus der CSU sind neue Töne zu hören
München/Berlin Polizei und Politik kommen nicht zur Ruhe. Vor zwei Wochen waren fünf rechtsextreme Polizei-Chatgruppen in NordrheinWestfalen aufgedeckt worden, am Donnerstag wurde bekannt, dass es beim Verfassungsschutz von Nordrhein-Westfalen ähnlich gelagerte Verdachtsfälle gibt. Nur wenige Stunden später geriet Berlin in den Blickpunkt: Auch in den Reihen der Hauptstadt-Polizei hat es in einer geschlossenen digitalen Diskussionsrunde, einem Chat, offenbar eine Fülle rassistischer und antisemitischer Äußerungen gegeben. Das ARD-Magazin Monitor berichtete, dass die Behörde ein Strafverfahren eingeleitet habe. Meldungen, die noch am selben Tag wieder eine politische Debatte über die Frage hochkochen ließen, ob eine Studie zu rechtsextremen Umtrieben in der Polizei notwendig ist.
Bis auf die AfD fordert die Opposition nahezu geschlossen eine solche Polizeistudie. Jetzt zeichnet sich auch in der Union ein vorsichtiges
Umdenken ab. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte eine wissenschaftliche Analyse bisher noch strikt abgelehnt. Es gehe schließlich um Einzelfälle, man dürfe die Beamten nicht unter Generalverdacht stellen, so der Tenor in der Union. Seehofer stellte zuletzt immerhin eine breit angelegte gesellschaftliche Untersuchung zu diesem Thema in Aussicht.
Doch der Augsburger CSU-Bundestagsabgeordnete Volker Ullrich geht weiter: „Ich halte eine Studie über Extremismus bei der Polizei für notwendig, allerdings sollte diese Untersuchung auch die Bundeswehr und die mit Fragen der öffentlichen Sicherheit befassten Teile des Öffentlichen Dienstes umfassen.“Auf diese Weise würde der Staat seinen Willen dokumentieren, für Transparenz zu sorgen.
Auch in einem weiteren Punkt setzt Ullrich im Gespräch mit unserer Redaktion neue Akzente. Angesichts der sich häufenden Berichte über rechtsextreme Vorfälle bei den Sicherheitsbehörden würde er persönlich „nicht mehr von Einzelfällen sprechen“. Dazu hätten sich die Vorfälle zuletzt zu sehr gehäuft. „Das bedeutet nicht, dass ich die Polizei unter Generalverdacht stelle. Sie macht einen sehr guten Job und hat Vertrauen verdient“, sagte Volker Ulrich.
Ein Satz, den wohl der bayerische Innenminister Joachim Herrmann sofort unterschreiben würde. Auch wenn „jeder Fall bitter und einer zu viel“sei, fordert er im Interview mit unserer Redaktion, die Relationen nicht aus den Augen zu verlieren: „Wir haben in Deutschland insgesamt mehr als 300000 Polizistinnen und Polizisten.“
Allerdings schätzt Herrmann die Situation im Lichte der aktuellen Erkenntnisse ganz offensichtlich kritischer als zuvor ein. So kündigte er an, die Regelanfrage beim Verfassungsschutz wieder einzuführen – und zwar „nicht für den Öffentlichen Dienst insgesamt, wie es früher mal war, aber für Polizeivollzugsbeamte auf jeden Fall“. Es werde in
Zukunft bei jedem Bewerber grundsätzlich und ohne konkreten Anlass beim Verfassungsschutz nachgefragt werden, ob irgendwelche Erkenntnisse vorliegen.
Viele Experten treibt die Frage um, wie es gelingen kann, dass mehr Informationen über rechtsextreme Tendenzen aus der Polizei herauskommen. Bisher dürfte dem im Alltag nicht selten ein falsch verstandener Korpsgeist entgegenstehen – die Furcht vor den Konsequenzen also, wenn man einen Kollegen bei Vorgesetzten „anschwärzt“.
Der Vorsitzende des Bunds Deutscher Kriminalbeamter, Sebastian Fiedler, brachte in der ARD die Installation einer externen Stelle ins Spiel, an die sich Beamte von Sicherheitsbehörden wenden könnten, „falls es in ihrem beruflichen Umfeld mutmaßlich rechtsextreme Tendenzen“gibt. Fiedler hält zudem eine Studie zur Aufarbeitung von Rechtsextremismus in den Sicherheitsbehörden für unabdingbar.
Lesen Sie dazu auch den Kommentar und unser großes Interview mit Innenminister Joachim Herrmann auf Bayern.
Opposition fordert eine breite Untersuchung