Guenzburger Zeitung

Kommt nun doch eine Polizeistu­die?

Neue rechtsextr­emistische Verdachtsf­älle in Berlin lassen die Diskussion über eine wissenscha­ftliche Analyse wieder hochkochen. Auch aus der CSU sind neue Töne zu hören

- VON SIMON KAMINSKI UND ULI BACHMEIER

München/Berlin Polizei und Politik kommen nicht zur Ruhe. Vor zwei Wochen waren fünf rechtsextr­eme Polizei-Chatgruppe­n in NordrheinW­estfalen aufgedeckt worden, am Donnerstag wurde bekannt, dass es beim Verfassung­sschutz von Nordrhein-Westfalen ähnlich gelagerte Verdachtsf­älle gibt. Nur wenige Stunden später geriet Berlin in den Blickpunkt: Auch in den Reihen der Hauptstadt-Polizei hat es in einer geschlosse­nen digitalen Diskussion­srunde, einem Chat, offenbar eine Fülle rassistisc­her und antisemiti­scher Äußerungen gegeben. Das ARD-Magazin Monitor berichtete, dass die Behörde ein Strafverfa­hren eingeleite­t habe. Meldungen, die noch am selben Tag wieder eine politische Debatte über die Frage hochkochen ließen, ob eine Studie zu rechtsextr­emen Umtrieben in der Polizei notwendig ist.

Bis auf die AfD fordert die Opposition nahezu geschlosse­n eine solche Polizeistu­die. Jetzt zeichnet sich auch in der Union ein vorsichtig­es

Umdenken ab. Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) hatte eine wissenscha­ftliche Analyse bisher noch strikt abgelehnt. Es gehe schließlic­h um Einzelfäll­e, man dürfe die Beamten nicht unter Generalver­dacht stellen, so der Tenor in der Union. Seehofer stellte zuletzt immerhin eine breit angelegte gesellscha­ftliche Untersuchu­ng zu diesem Thema in Aussicht.

Doch der Augsburger CSU-Bundestags­abgeordnet­e Volker Ullrich geht weiter: „Ich halte eine Studie über Extremismu­s bei der Polizei für notwendig, allerdings sollte diese Untersuchu­ng auch die Bundeswehr und die mit Fragen der öffentlich­en Sicherheit befassten Teile des Öffentlich­en Dienstes umfassen.“Auf diese Weise würde der Staat seinen Willen dokumentie­ren, für Transparen­z zu sorgen.

Auch in einem weiteren Punkt setzt Ullrich im Gespräch mit unserer Redaktion neue Akzente. Angesichts der sich häufenden Berichte über rechtsextr­eme Vorfälle bei den Sicherheit­sbehörden würde er persönlich „nicht mehr von Einzelfäll­en sprechen“. Dazu hätten sich die Vorfälle zuletzt zu sehr gehäuft. „Das bedeutet nicht, dass ich die Polizei unter Generalver­dacht stelle. Sie macht einen sehr guten Job und hat Vertrauen verdient“, sagte Volker Ulrich.

Ein Satz, den wohl der bayerische Innenminis­ter Joachim Herrmann sofort unterschre­iben würde. Auch wenn „jeder Fall bitter und einer zu viel“sei, fordert er im Interview mit unserer Redaktion, die Relationen nicht aus den Augen zu verlieren: „Wir haben in Deutschlan­d insgesamt mehr als 300000 Polizistin­nen und Polizisten.“

Allerdings schätzt Herrmann die Situation im Lichte der aktuellen Erkenntnis­se ganz offensicht­lich kritischer als zuvor ein. So kündigte er an, die Regelanfra­ge beim Verfassung­sschutz wieder einzuführe­n – und zwar „nicht für den Öffentlich­en Dienst insgesamt, wie es früher mal war, aber für Polizeivol­lzugsbeamt­e auf jeden Fall“. Es werde in

Zukunft bei jedem Bewerber grundsätzl­ich und ohne konkreten Anlass beim Verfassung­sschutz nachgefrag­t werden, ob irgendwelc­he Erkenntnis­se vorliegen.

Viele Experten treibt die Frage um, wie es gelingen kann, dass mehr Informatio­nen über rechtsextr­eme Tendenzen aus der Polizei herauskomm­en. Bisher dürfte dem im Alltag nicht selten ein falsch verstanden­er Korpsgeist entgegenst­ehen – die Furcht vor den Konsequenz­en also, wenn man einen Kollegen bei Vorgesetzt­en „anschwärzt“.

Der Vorsitzend­e des Bunds Deutscher Kriminalbe­amter, Sebastian Fiedler, brachte in der ARD die Installati­on einer externen Stelle ins Spiel, an die sich Beamte von Sicherheit­sbehörden wenden könnten, „falls es in ihrem berufliche­n Umfeld mutmaßlich rechtsextr­eme Tendenzen“gibt. Fiedler hält zudem eine Studie zur Aufarbeitu­ng von Rechtsextr­emismus in den Sicherheit­sbehörden für unabdingba­r.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar und unser großes Interview mit Innenminis­ter Joachim Herrmann auf Bayern.

Opposition fordert eine breite Untersuchu­ng

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