Warum wir den 3. Oktober nicht mehr brauchen Leitartikel
Der Tag der Deutschen Einheit ist Menschen in Ost und West gleichgültig. Er ist eine blutleere Pflichtübung am falschen Datum. Schaffen wir ihn einfach ab
Am Samstag wird die Deutsche Einheit wieder nicht gefeiert. So wie jedes Jahr am 3. Oktober. Nirgendwo in der Republik kommen Menschen zusammen und stoßen mit einem Glas auf das Jubiläum an. Nirgendwo erhebt sich ein Feiertagsgefühl. Nirgendwo ist er ein Tag, der etwas Besonderes ist. Stattdessen machen Familien einen Ausflug oder werfen noch einmal den Grill an, wenn der Oktober golden ist. Das ist schön, aber hat mit dem Grund des Feiertages nichts zu tun. Offiziell mühen sich Bundesregierung und Ministerpräsidenten pflichtschuldig mit einem Einheitsfest und verkünden seit Jahren die Parole: „Viel zu tun, viel erreicht.“
Dass am 3. Oktober keine Freude aufkommt, hat mehrere Gründe. Erstens: Am Feiertag wird eines Verwaltungsakts gedacht. Am
3. Oktober 1990 traten die ostdeutschen Bundesländer dem Geltungsbereich des Grundgesetzes bei. Die Ordnung der alten Bundesrepublik wurde auf den Osten übertragen. Die Chance, eine neue, gemeinsame Verfassung zu erarbeiten – wie es das Grundgesetz vorgesehen hatte –, blieb ungenutzt. Die Geschicke im Osten bestimmten von nun an Westdeutsche. Von Beitrittsgebiet sprachen die Juristen, und kein Begriff bringt besser zum Ausdruck, welche Seite die kleine, unterlegene, schwächere war. Das Gefühl der Zweitklassigkeit hat tiefe Verletzungen bei den Ostdeutschen verursacht. Zur historischen Wahrheit gehört aber auch, dass die große Mehrheit der ehemaligen DDR-Bürger es so wollte.
Zweitens: Der 3. Oktober klappert stets hinterher, er kommt zu spät. Denn ein Dreivierteljahr davor wird an den Fall der Mauer am
9. November erinnert. Er ist der eigentliche Revolutionstag, der Tag der Freiheit, an dem die Ostdeutschen die Mauer auseinanderrissen. Die Bilder sind ikonisch. Ungläubiges Staunen, Freudentränen,
Umarmungen unter Wildfremden und knatternde Trabis.
Der 9.November ist der Schicksalstag der Deutschen. Weil an einem 9. November Hitler gegen die Weimarer Republik putschte und an einem anderen 9. November die Synagogen brannten, fällt es schwer, aus diesem Tag einen Feiertag der Deutschen zu machen. Ein besserer Termin wäre der 9. Oktober.
An jenem Tag im Herbst 1989 gingen in Leipzig das erste Mal Zehntausende auf die Straße, um gegen das SED-Regime zu protestieren. Doch über 30 Jahre später umzuschwenken, weil Jahrzehnte der falsche Feiertag begangen wurde, ergäbe eine schale Lösung.
Drittens: Leere Rituale werden hohl. Der Tag der Einheit am 3. Oktober ist ein anschauliches Beispiel dafür. Es handelt sich um eine ermüdende Wiederholung, die ihren Zweck verfehlt, Ost und West näherzubringen, die Nation zu einen. Als viel fruchtbarer hat sich die Debatte erwiesen, die sich vergangenes Jahr um den runden Mauerfalltag entsponnen hat. Seitdem wird stärker die wirtschaftliche Katastrophe der 90er Jahre diskutiert, die Millionen zwischen Ostsee und Erzgebirge in die Arbeitslosigkeit schickte. Seitdem wird stärker darüber gesprochen, warum so wenige Ostdeutsche im Vorstand von Konzernen sitzen, eine Bundesbehörde leiten oder an der Spitze einer Universität stehen. Angela Merkel und Joachim Gauck sind absolute Ausnahmen.
Wegen all dieser Gründe sollte der 3. Oktober abgeschafft werden. Wegen der historischen Schuld scheidet der 9. November als Feiertag aus. Das Gedenken an das Ende der Mauer ist stark genug für ein Gespräch zwischen beiden Teilen des Landes, selbst wenn nicht alle freihaben. Die Benennung eines Ersatztermins käme Jahre zu spät. Es gäbe zwar dann einen Feiertag weniger, aber angesichts ihrer Fülle ist das zu verschmerzen.
Der 9. November ist der Schicksalstag der Deutschen