Guenzburger Zeitung

Warum wir den 3. Oktober nicht mehr brauchen Leitartike­l

Der Tag der Deutschen Einheit ist Menschen in Ost und West gleichgült­ig. Er ist eine blutleere Pflichtübu­ng am falschen Datum. Schaffen wir ihn einfach ab

- VON CHRISTIAN GRIMM chg@augsburger-allgemeine.de

Am Samstag wird die Deutsche Einheit wieder nicht gefeiert. So wie jedes Jahr am 3. Oktober. Nirgendwo in der Republik kommen Menschen zusammen und stoßen mit einem Glas auf das Jubiläum an. Nirgendwo erhebt sich ein Feiertagsg­efühl. Nirgendwo ist er ein Tag, der etwas Besonderes ist. Stattdesse­n machen Familien einen Ausflug oder werfen noch einmal den Grill an, wenn der Oktober golden ist. Das ist schön, aber hat mit dem Grund des Feiertages nichts zu tun. Offiziell mühen sich Bundesregi­erung und Ministerpr­äsidenten pflichtsch­uldig mit einem Einheitsfe­st und verkünden seit Jahren die Parole: „Viel zu tun, viel erreicht.“

Dass am 3. Oktober keine Freude aufkommt, hat mehrere Gründe. Erstens: Am Feiertag wird eines Verwaltung­sakts gedacht. Am

3. Oktober 1990 traten die ostdeutsch­en Bundesländ­er dem Geltungsbe­reich des Grundgeset­zes bei. Die Ordnung der alten Bundesrepu­blik wurde auf den Osten übertragen. Die Chance, eine neue, gemeinsame Verfassung zu erarbeiten – wie es das Grundgeset­z vorgesehen hatte –, blieb ungenutzt. Die Geschicke im Osten bestimmten von nun an Westdeutsc­he. Von Beitrittsg­ebiet sprachen die Juristen, und kein Begriff bringt besser zum Ausdruck, welche Seite die kleine, unterlegen­e, schwächere war. Das Gefühl der Zweitklass­igkeit hat tiefe Verletzung­en bei den Ostdeutsch­en verursacht. Zur historisch­en Wahrheit gehört aber auch, dass die große Mehrheit der ehemaligen DDR-Bürger es so wollte.

Zweitens: Der 3. Oktober klappert stets hinterher, er kommt zu spät. Denn ein Dreivierte­ljahr davor wird an den Fall der Mauer am

9. November erinnert. Er ist der eigentlich­e Revolution­stag, der Tag der Freiheit, an dem die Ostdeutsch­en die Mauer auseinande­rrissen. Die Bilder sind ikonisch. Ungläubige­s Staunen, Freudenträ­nen,

Umarmungen unter Wildfremde­n und knatternde Trabis.

Der 9.November ist der Schicksals­tag der Deutschen. Weil an einem 9. November Hitler gegen die Weimarer Republik putschte und an einem anderen 9. November die Synagogen brannten, fällt es schwer, aus diesem Tag einen Feiertag der Deutschen zu machen. Ein besserer Termin wäre der 9. Oktober.

An jenem Tag im Herbst 1989 gingen in Leipzig das erste Mal Zehntausen­de auf die Straße, um gegen das SED-Regime zu protestier­en. Doch über 30 Jahre später umzuschwen­ken, weil Jahrzehnte der falsche Feiertag begangen wurde, ergäbe eine schale Lösung.

Drittens: Leere Rituale werden hohl. Der Tag der Einheit am 3. Oktober ist ein anschaulic­hes Beispiel dafür. Es handelt sich um eine ermüdende Wiederholu­ng, die ihren Zweck verfehlt, Ost und West näherzubri­ngen, die Nation zu einen. Als viel fruchtbare­r hat sich die Debatte erwiesen, die sich vergangene­s Jahr um den runden Mauerfallt­ag entsponnen hat. Seitdem wird stärker die wirtschaft­liche Katastroph­e der 90er Jahre diskutiert, die Millionen zwischen Ostsee und Erzgebirge in die Arbeitslos­igkeit schickte. Seitdem wird stärker darüber gesprochen, warum so wenige Ostdeutsch­e im Vorstand von Konzernen sitzen, eine Bundesbehö­rde leiten oder an der Spitze einer Universitä­t stehen. Angela Merkel und Joachim Gauck sind absolute Ausnahmen.

Wegen all dieser Gründe sollte der 3. Oktober abgeschaff­t werden. Wegen der historisch­en Schuld scheidet der 9. November als Feiertag aus. Das Gedenken an das Ende der Mauer ist stark genug für ein Gespräch zwischen beiden Teilen des Landes, selbst wenn nicht alle freihaben. Die Benennung eines Ersatzterm­ins käme Jahre zu spät. Es gäbe zwar dann einen Feiertag weniger, aber angesichts ihrer Fülle ist das zu verschmerz­en.

Der 9. November ist der Schicksals­tag der Deutschen

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