Guenzburger Zeitung

Showdown für Scheuer

Die Betreiber belasten Verkehrsmi­nister schwer: Sie hätten angeboten, das Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fes zur Straßenabg­abe abzuwarten. Stimmt das, hat Scheuer im Bundestag gelogen. Aber der CSU-Mann hatte noch ein Ass im Ärmel

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin Einen passendere­n Tag, um über Andreas Scheuer und sein Debakel Gericht zu halten, hätte es nicht geben können. Denn genau an diesem 1. Oktober sollte sie in Deutschlan­d starten: die Autobahnma­ut für Ausländer. Stattdesse­n sollte sich Scheuer gemeinsam mit einer Reihe anderer Zeugen den bohrenden Fragen im Untersuchu­ngsausschu­ss zu dem CSU-Prestigepr­ojekt stellen, das sich zu einer herben Pleite für die Christsozi­alen entwickelt­e.

Wie viel Zeit am Ende noch für Scheuer als letzten Befragten bleiben sollte, war auch am späten Abend nicht klar. CDU und CSU hatten kurzfristi­g noch einen weiteren Zeugen in die Tagesordnu­ng geschoben, der das Prozedere bis in die Nacht nach hinten verschob. FDP und Grüne witterten Mauertakti­k und beklagten sich lauthals.

Seit dem Vormittag hatten die Abgeordnet­en zunächst stundenlan­g die Manager befragt, die mit dem Bund einst in viel verspreche­nde Geschäfte kommen wollten – und ihm jetzt in einem Schiedsver­fahren um Schadeners­atzforderu­ngen von 560 Millionen Euro gegenübers­tehen. Die Mautbetrei­ber belasteten den CSU-Mann schwer. Demnach hatten sie sich bei einem Frühstück im November 2018 im Verkehrsmi­nisterium bereit erklärt, mit der Unterzeich­nung des Vertrages zur Erhebung des Wegzolls zu warten, bis die Europarich­ter ihr Urteil gesprochen hatten. „Ich habe daher angeboten, der Bund könne bis zum EuGH-Urteil mit der Beauftragu­ng warten“, sagte Eventim-Chef Klaus-Peter Schulenber­g im Ausschuss. Das Unternehme­n aus München, das sein Geld mit dem Verkauf von Eintrittsk­arten verdient, hatte sich mit der Firma Kapsch aus Österreich zusammenge­tan. Laut Schulenber­g hat der Minister die Verschiebu­ng mit der Begründung abgelehnt, ein Start der Maut im Wahljahr sei völlig undenkbar. Scheuer machte Druck, um den umstritten­en Wahlkampfs­chlager im Jahr 2020 irgendwie zu einem Abschluss zu bringen. Daher wurden die Verträge in den letzten Tagen des Jahres 2018 unterschri­eben, damit genügend Zeit für die Vorbereitu­ng bleibt. Bestätigt wurden die Aussagen Schulenber­gs von seinem Geschäftsp­artner Georg Kapsch, dem Vorstandsv­orsitzende­n des gleichnami­gen Maut-Spezialist­en. „Er (Schulenber­g) hat dann das Angebot gemacht, wenn wir Zeit brauchen, dann können wir gleich auf das EuGh-Urteil warten“, sagte der Unternehme­r aus Wien.

Für Scheuer ist die Aussage eine echte Gefahr. Er hatte ein gutes Jahr nach besagtem Frühstück bei einer Befragung im Bundestag erklärt, es habe kein Angebot gegeben, mit der Unterschri­ft zu warten. Die SPD als Koalitions­partner hatte eine Lüge im Parlament als rote Linie definiert. Sollte sie der CSU-Minister übertreten, ist er für die Sozialdemo­kraten nicht mehr zu halten.

Steht bei Scheuer und den Mautbetrei­bern am Ende Aussage gegen Aussage, will die Opposition ein Kreuzverhö­r ansetzen – eine äußerst unangenehm­e Situation. „Ich rate keinem Minister der Bundesregi­erung, ein Kreuzverhö­r zu machen“, sagte der FDP-Verkehrspo­litiker Christian Jung.

Doch Scheuer hatte noch ein Ass im Ärmel. Kurzfristi­g wurde sein früherer Staatssekr­etär Gerhard Schulz mobilisier­t und der brachte die erhoffte Entlastung für seinen ehemaligen Chef. „Nein, aus meiner Erinnerung gab es dazu kein konkretes Angebot“, erklärte der Jurist am späten Berliner Abend im Sitzungssa­al mit Blick auf die schwarze Spree. Im Ministeriu­m wurde Schulz nur „Mr. Maut“genannt. Er sollte die heikle Mission zu einem guten Ende führen. Ihm zufolge gab es für Andreas Scheuer überhaupt keinen Grund, in die Verlängeru­ng zu gehen. „Es gab keinen Anlass für uns zu warten. Wir brauchten keine Zeit“, sagte Schulz. Denn seinerzeit sei man an der Spitze der Ministeriu­ms davon überzeugt gewesen, den Prozess vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f zu gewinnen.

Nach der Vernehmung von Schulz sollte der Verkehrsmi­nister in die Mangel genommen werden. Ob das im Anschluss noch passieren würde oder der Ausschuss sich vertagt, blieb aber bis zuletzt offen. Der Grund: Eine Ministerbe­fragung zieht sich mehrere Stunden. Die Stenograph­en hatten aber eigentlich um Mitternach­t Dienstschl­uss.

Im Juni vergangene­n Jahres hatte der Europäisch­e Gerichtsho­f entschiede­n, dass die Maut gegen das EU-Recht verstößt, denn sie diskrimini­ere Ausländer. Vorgesehen war, dass die deutschen Autofahrer zwar auch Vignetten hätten kaufen müssen, anschließe­nd aber bei der Kfz-Steuer entlastet würden. Die Mautbetrei­ber verlangen wegen des geplatzten Geschäftes eine halbe Milliarde Euro Entschädig­ung. Entspreche­nde Klauseln finden sich in den Verträgen. Aktuell läuft ein Schiedsver­fahren mit der Bundesregi­erung.

Ob Andreas Scheuer trotz der schweren Pleite im Amt bleiben kann, hängt von CSU-Chef Markus Söder ab. Ob der weiter an seinem Mann festhält, wenn sich der Vorwurf der Lüge im Bundestag erhärtet, ist fraglich. Wegen der CoronaKris­e galt bisher das Credo, keine unnötige Unruhe in die Regierungs­mannschaft zu bringen. Vorerst versuchte die CSU aber, dem Ressortche­f den Rücken zu stärken. Scheuer sei Verkehrsmi­nister und bleibe Verkehrsmi­nister, sagte UnionsObma­nn Ulrich Lange vor der Sitzung des Ausschusse­s.

Manuela Schwesig, Ministerpr­äsidentin von Mecklenbur­g-Vorpommern, über ihren ersten Einkauf in Westberlin nach dem Fall der Mauer. 1989 war sie 15.

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Foto: dpa Just an dem Tag, an dem in Deutschlan­d die Autobahnma­ut für Ausländer starten sollte, war Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer vor den Untersuchu­ngsausschu­ss geladen. Eine der wichtigste­n Fragen: Hat er im Bundestag gelogen?

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