Showdown für Scheuer
Die Betreiber belasten Verkehrsminister schwer: Sie hätten angeboten, das Urteil des Europäischen Gerichtshofes zur Straßenabgabe abzuwarten. Stimmt das, hat Scheuer im Bundestag gelogen. Aber der CSU-Mann hatte noch ein Ass im Ärmel
Berlin Einen passenderen Tag, um über Andreas Scheuer und sein Debakel Gericht zu halten, hätte es nicht geben können. Denn genau an diesem 1. Oktober sollte sie in Deutschland starten: die Autobahnmaut für Ausländer. Stattdessen sollte sich Scheuer gemeinsam mit einer Reihe anderer Zeugen den bohrenden Fragen im Untersuchungsausschuss zu dem CSU-Prestigeprojekt stellen, das sich zu einer herben Pleite für die Christsozialen entwickelte.
Wie viel Zeit am Ende noch für Scheuer als letzten Befragten bleiben sollte, war auch am späten Abend nicht klar. CDU und CSU hatten kurzfristig noch einen weiteren Zeugen in die Tagesordnung geschoben, der das Prozedere bis in die Nacht nach hinten verschob. FDP und Grüne witterten Mauertaktik und beklagten sich lauthals.
Seit dem Vormittag hatten die Abgeordneten zunächst stundenlang die Manager befragt, die mit dem Bund einst in viel versprechende Geschäfte kommen wollten – und ihm jetzt in einem Schiedsverfahren um Schadenersatzforderungen von 560 Millionen Euro gegenüberstehen. Die Mautbetreiber belasteten den CSU-Mann schwer. Demnach hatten sie sich bei einem Frühstück im November 2018 im Verkehrsministerium bereit erklärt, mit der Unterzeichnung des Vertrages zur Erhebung des Wegzolls zu warten, bis die Europarichter ihr Urteil gesprochen hatten. „Ich habe daher angeboten, der Bund könne bis zum EuGH-Urteil mit der Beauftragung warten“, sagte Eventim-Chef Klaus-Peter Schulenberg im Ausschuss. Das Unternehmen aus München, das sein Geld mit dem Verkauf von Eintrittskarten verdient, hatte sich mit der Firma Kapsch aus Österreich zusammengetan. Laut Schulenberg hat der Minister die Verschiebung mit der Begründung abgelehnt, ein Start der Maut im Wahljahr sei völlig undenkbar. Scheuer machte Druck, um den umstrittenen Wahlkampfschlager im Jahr 2020 irgendwie zu einem Abschluss zu bringen. Daher wurden die Verträge in den letzten Tagen des Jahres 2018 unterschrieben, damit genügend Zeit für die Vorbereitung bleibt. Bestätigt wurden die Aussagen Schulenbergs von seinem Geschäftspartner Georg Kapsch, dem Vorstandsvorsitzenden des gleichnamigen Maut-Spezialisten. „Er (Schulenberg) hat dann das Angebot gemacht, wenn wir Zeit brauchen, dann können wir gleich auf das EuGh-Urteil warten“, sagte der Unternehmer aus Wien.
Für Scheuer ist die Aussage eine echte Gefahr. Er hatte ein gutes Jahr nach besagtem Frühstück bei einer Befragung im Bundestag erklärt, es habe kein Angebot gegeben, mit der Unterschrift zu warten. Die SPD als Koalitionspartner hatte eine Lüge im Parlament als rote Linie definiert. Sollte sie der CSU-Minister übertreten, ist er für die Sozialdemokraten nicht mehr zu halten.
Steht bei Scheuer und den Mautbetreibern am Ende Aussage gegen Aussage, will die Opposition ein Kreuzverhör ansetzen – eine äußerst unangenehme Situation. „Ich rate keinem Minister der Bundesregierung, ein Kreuzverhör zu machen“, sagte der FDP-Verkehrspolitiker Christian Jung.
Doch Scheuer hatte noch ein Ass im Ärmel. Kurzfristig wurde sein früherer Staatssekretär Gerhard Schulz mobilisiert und der brachte die erhoffte Entlastung für seinen ehemaligen Chef. „Nein, aus meiner Erinnerung gab es dazu kein konkretes Angebot“, erklärte der Jurist am späten Berliner Abend im Sitzungssaal mit Blick auf die schwarze Spree. Im Ministerium wurde Schulz nur „Mr. Maut“genannt. Er sollte die heikle Mission zu einem guten Ende führen. Ihm zufolge gab es für Andreas Scheuer überhaupt keinen Grund, in die Verlängerung zu gehen. „Es gab keinen Anlass für uns zu warten. Wir brauchten keine Zeit“, sagte Schulz. Denn seinerzeit sei man an der Spitze der Ministeriums davon überzeugt gewesen, den Prozess vor dem Europäischen Gerichtshof zu gewinnen.
Nach der Vernehmung von Schulz sollte der Verkehrsminister in die Mangel genommen werden. Ob das im Anschluss noch passieren würde oder der Ausschuss sich vertagt, blieb aber bis zuletzt offen. Der Grund: Eine Ministerbefragung zieht sich mehrere Stunden. Die Stenographen hatten aber eigentlich um Mitternacht Dienstschluss.
Im Juni vergangenen Jahres hatte der Europäische Gerichtshof entschieden, dass die Maut gegen das EU-Recht verstößt, denn sie diskriminiere Ausländer. Vorgesehen war, dass die deutschen Autofahrer zwar auch Vignetten hätten kaufen müssen, anschließend aber bei der Kfz-Steuer entlastet würden. Die Mautbetreiber verlangen wegen des geplatzten Geschäftes eine halbe Milliarde Euro Entschädigung. Entsprechende Klauseln finden sich in den Verträgen. Aktuell läuft ein Schiedsverfahren mit der Bundesregierung.
Ob Andreas Scheuer trotz der schweren Pleite im Amt bleiben kann, hängt von CSU-Chef Markus Söder ab. Ob der weiter an seinem Mann festhält, wenn sich der Vorwurf der Lüge im Bundestag erhärtet, ist fraglich. Wegen der CoronaKrise galt bisher das Credo, keine unnötige Unruhe in die Regierungsmannschaft zu bringen. Vorerst versuchte die CSU aber, dem Ressortchef den Rücken zu stärken. Scheuer sei Verkehrsminister und bleibe Verkehrsminister, sagte UnionsObmann Ulrich Lange vor der Sitzung des Ausschusses.
Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, über ihren ersten Einkauf in Westberlin nach dem Fall der Mauer. 1989 war sie 15.