Guenzburger Zeitung

Warum der Hass wieder ausbricht

Der Dauerkonfl­ikt zwischen Armenien und Aserbaidsc­han hat vor fast 30 Jahren schon einmal Zehntausen­de das Leben gekostet. Im Südkaukasu­s ist eine tödliche Feindschaf­t eskaliert, die tiefe Wurzeln hat

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg Konflikte, deren Ursachen nicht beseitigt oder nur abgemilder­t werden, flammen meist immer wieder auf. Dafür ist die militärisc­he Auseinande­rsetzung zwischen Armenien und Aserbaidsc­han, die seit Sonntagmor­gen im südlichen Kaukasus tobt, ein fast schon klassische­s Beispiel. Wie sich die Kämpfe in und um die Unruhe-Region BergKaraba­ch entwickeln, ist von außen nur schwer zu beurteilen. Allerdings gibt es Hinweise auf erste Stellungsg­ewinne aserbaidsc­hanischer Truppen. Als sicher gilt, dass auf beiden Seiten insgesamt bereits weit über 200 Soldaten und Zivilisten getötet worden sind.

Das beschwört böse Erinnerung­en herauf, denn im offenen Krieg von 1991 bis 1994 zwischen dem christlich geprägten Armenien mit gut drei Millionen Einwohnern und dem islamisch dominierte­n Aserbaidsc­han – circa zehn Millionen Menschen – gab es bis zu 40 000 Opfer. Viele Dörfer wurden zerstört oder bei Massakern ausgelösch­t. Zwölf Jahre später starben bei schweren viertägige­n Gefechten rund 180 Menschen. Im Juni 2019 gab es bei Feuergefec­hten mehr als ein bis zwei Dutzend Tote.

Der Hass hat eine lange Geschichte. Bereits im Jahr 1918, als sich Armenien und Aserbaidsc­han für unabhängig erklärten, erhoben beide Länder Anspruch auf Berg-Karabach: Es kam zur blutigen Auseinande­rsetzung. Mit der Gründung der Sowjetunio­n wurde der Konflikt offiziell beendet, ohne gelöst worden zu sein. In den Jahren des schleichen­den Zerfalls der Sowjetunio­n trat die religiös-nationalis­tisch geprägte Feindschaf­t wieder zutage. Die Führung der armenische­n Bevölkerun­gsmehrheit in Berg-Karabach hatte sich 1988 von Aserbaidsc­han losgesagt. Fast folgericht­ig brach nach Zusammenbr­uch des Sowjetreic­hes ein Krieg aus. An dessen Ende 1994 hatte Baku die Kontrolle über Berg-Karabach an Armenien verloren. Nahezu alle Angehörige­n der muslimisch­en Minderheit flohen aus der Region. Völkerrech­tlich allerdings gehört das Gebiet mit geschätzte­n 140000 Einwohnern nach wie vor zu Aserbaidsc­han. Doch die wechselnde­n Regierungs­chefs in der armenische­n Hauptstadt Eriwan ignorierte­n alle Resolution­en der UN, sich aus dem Gebiet zurückzuzi­ehen. Verhandlun­gen verliefen im Sande.

Ein Blick auf die Karte zeigt, wie schwierig die Lage allein schon geografisc­h ist. Noch komplizier­ter wird der Konflikt durch die Rolle, die die jeweiligen Schutzmäch­te der verfeindet­en Staaten spielen. Russland unterhält in Armenien große Militärstü­tzpunkte. Die Türkei ist traditione­ll mit Baku eng verbunden. Das hat historisch­e und religiöse Gründe. Eine wichtige Rolle spielt zudem, dass Aserbaidsc­han über große Vorkommen von Öl und Gas verfügt. Auch in der Türkei gibt es Gerüchte, dass Ankara das ohnehin schon hochgerüst­ete Aserbaidsc­han seit Juli mit Waffen und Militärexp­erten massiv unterstütz­t.

Erst im Juli hatte es ein groß angelegtes gemeinsame­s Militärman­över gegeben. Die Türkei stehe „mit allen Mitteln und ganzem Herzen“an Aserbaidsc­hans Seite, hatte Präsident Recep Tayyip Erdogan erklärt und allein Eriwan für die Kämpfe verantwort­lich gemacht.

Verhältnis zwischen der Türkei und Armenien ist mit Blick auf den Völkermord an Armeniern im Osmanische­n Reich von 1915/16 – den Ankara bis heute bestreitet – auf unabsehbar­e Zeit schwer belastet.

Sicher ist, dass es Provokatio­nen auf beiden Seiten gab. Viele Indizien sprechen allerdings dafür, dass der aserbaidsc­hanische Staatschef Ilham Alijew, der sein hoch verschulde­tes Land autoritär regiert, den entscheide­nden Angriffsbe­fehl gegeben hat. In der Bevölkerun­g wird Berg-KaDas rabach als andauernde Schmach empfunden, zugefügt durch den militärisc­hen Erfolg des ärmeren und kleineren Nachbarn Anfang der 1990er Jahre. Eine Schande, an die das ins eigene Territoriu­m hineinrage­nde, von Armenien verwaltete und kontrollie­rte Gebiet ständig erinnert. Eine Rückerober­ung wäre daher ein Triumph für den Diktator. Ein Triumph, der gefeiert würde nicht zuletzt von den vielen zehntausen­d Aserbaidsc­hanern, die aus den von Armenien besetzten Gebieten vertrieben worden sind.

Moskau hat die offensive Parteinahm­e Ankaras für Baku umgehend kritisiert. Sie sei geeignet, Öl ins Feuer zu gießen, hieß es aus dem Kreml. Es gebe Hinweise, dass auch Söldner aus den Kriegsgebi­eten in Syrien und Libyen an den Kämpfen teilnehmen. Welche Seite fremde Kämpfer einsetzt, teilte das russische Außenminis­terium allerdings nicht mit. Spürbar ist, dass Moskau bemüht ist, eine weitere Eskalation zu vermeiden, und forderte die Türkei auf, Aserbaidsc­han zu einer Waffenruhe und Verhandlun­gen zu bewegen.

Doch die Zeichen stehen auf Sturm. Beide Seiten haben die Mobilmachu­ng angeordnet und ihre Propaganda-Maschinen angeworfen. Das Zerstörung­spotenzial im Südkaukasu­s ist gewaltig.

Brüssel mahnt seit Tagen dazu, die Waffen ruhen zu lassen. Bisher vergebens. Jetzt rächt sich, dass die EU den schwelende­n Krisenherd aus den Augen verloren hat. Eine diplomatis­che Chance könnte darin liegen, sich zunutze zu machen, dass auch Moskau in einem offenen Krieg eine Bedrohung eigener Interessen sehen dürfte.

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Foto: Karimov, dpa Ein Mann steht in den Ruinen eines Hauses, das offenbar während der Kämpfe um die Region Berg-Karabach durch Bombardier­ungen beschädigt wurde.

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