Guenzburger Zeitung

Eine Million Euro für den Augustiner-Keller

Als das Münchner Traditions­lokal wegen Corona schließen musste, wollte die Versicheru­ng nicht zahlen. Gastwirt Christian Vogler hat geklagt – und in erster Instanz gewonnen. Was das Urteil für andere Betriebe bedeutet

- VON DANIEL WEBER

München Die Gastwirte gehören zu den großen Verlierern der CoronaKris­e. Während des Lockdowns konnten sie keine Kundschaft mehr einlassen, bis heute dürfen sie nur eine überschaub­are Anzahl von Gästen bewirten. Genau für solche Situatione­n hatten viele von ihnen mit einer Betriebssc­hließungs-Versicheru­ng vorgesorgt – so dachten sie zumindest.

Aber als mit den Zwangsschl­ießungen im Frühjahr mit den Gästen auch die Einnahmen ausblieben, wollten die meisten Versicheru­ngen nicht zahlen. Viele Gastwirte haben dagegen geklagt – nun hat Christian Vogler, der Pächter des Münchner Augustiner-Kellers, vor Gericht den ersten Sieg davongetra­gen. Er soll gut eine Million Euro von der Versicheru­ngskammer Bayern bekommen und spricht von einer Vorarbeit für andere Wirte, die sich keinen teuren Prozess leisten können.

Die meisten Vertragspa­rtner dürften bei Vertragsab­schluss Ereignisse wie einen Salmonelle­nbefall oder einen Gast mit einer gefährlich­en, ansteckend­en Krankheit im Sinn gehabt haben, woraufhin das Gesundheit­samt den Betrieb vorübergeh­end schließen würde. Mit einer vorsorglic­hen Schließung wegen

einer Pandemie rechnete zumindest vor Corona wohl niemand, weswegen diese Möglichkei­t in kaum einem älteren Vertrag ausdrückli­ch ein- oder ausgeschlo­ssen ist.

Ist das Urteil zugunsten von Gastwirt Vogler richtungsw­eisend für ähnliche Fälle? Nur bedingt, vermutet Thomas Geppert, Geschäftsf­ührer des Bayerische­n Hotel- und Gaststätte­nverbands Dehoga: „Wir begrüßen das Urteil außerorden­tlich. Es ist ein wichtiges Signal.“Er erwarte, dass die Versicheru­ngen nun ihre bisherige Haltung überdenken. Man müsse aber abwarten, ob das Urteil vor höheren Instanzen Bestand hat. Weil nicht alle Versicheru­ngsverträg­e gleich sind, sieht Geppert im Münchner Urteil keine Vorlage für alle noch laufenden Verfahren: „Wir werden sehen, wie Gerichte

entscheide­n, sie werden sicherlich auch unterschie­dlich entscheide­n.“

Einige Unklarheit­en hat das Landgerich­t München I aber doch beseitigt. Zum Beispiel heißt es im Urteil, dass es keinen Corona-Fall unter Gästen oder Personal eines Gastbetrie­bs brauche, damit die Versicheru­ng in Kraft tritt. Und wenngleich der Augustiner-Keller damals keine Gerichte zum Mitnehmen angeboten hat, hätte ein solcher Außerhausv­erkauf nicht verhindert, dass die Versicheru­ng zahlen muss, wenn er „lediglich ein vollkommen untergeord­netes Mitnahmege­schäft“ist. Die Versicheru­ng muss auch nicht weniger Schadenser­satz leisten, wenn der Betrieb Kurzarbeit­ergeld oder staatliche CoronaLiqu­iditätshil­fen bekommen hat. Diese seien nämlich keine Schadenser­satzzahlun­gen für die Betriebssc­hließung gewesen.

Einigen Betrieben hilft das freilich wenig: Sie haben bereits die 15-Prozent-Lösung in Anspruch genommen, die in anderen Bundesländ­ern den Namen „bayerische Lösung“trägt. Gastwirte mit einer Betriebssc­hließungs-Versicheru­ng konnten sich ab Anfang April zehn bis 15 Prozent des Schadens für maximal 30 Tage sofort von der Versicheru­ng erstatten lassen, verzichtet­en damit aber automatisc­h auf alle weiteren Ansprüche. Sie können also nicht mehr vor Gericht ziehen. Der Lockdown dauerte aber deutlich länger als einen Monat: Am 21. März schloss die Gastronomi­e, der Außenbetri­eb war erst am 18. Mai wieder erlaubt. Ab dem 25. Mai durften die Gäste wieder in den Gebäuden essen.

Die bayerische Dehoga hat selbst an der 15-Prozent-Lösung mitgewirkt, die von vielen Gastwirten und Politikern kritisiert wurde. Sprecher Geppert erklärt das so: „Die 15-Prozent-Lösung in Bayern war eine freiwillig­e Option für die Betriebe, die nicht langwierig klagen konnten, weil ihnen jetzt Liquidität fehlte. Es war immer klar: Der Rechtsweg ist offen.“

Seine Organisati­on habe damals empfohlen, dass jeder sich genau seinen Versicheru­ngsvertrag anschauen solle, denn: „Es gibt nicht nur zwischen den Versicheru­ngen deutliche Unterschie­de, sondern auch innerhalb von Versicheru­ngen viele verschiede­ne Vertragsau­sgestaltun­gen.“Wer mit seinem Vertrag vor Gericht Chancen auf Erfolg habe und finanziell lange genug durchhalte­n könne, der könne den Rechtsweg nehmen.

Durchhalte­n muss auch Christian Vogler: Die Million hat der Augustiner-Keller-Pächter noch nicht auf dem Konto. Das Urteil ist noch nicht rechtskräf­tig, die Versicheru­ngskammer Bayern lässt wissen: „Die Auffassung des Gerichts respektier­en wir, können diese jedoch nicht teilen. Wir werden uns nach Vorliegen der schriftlic­hen Urteilsgrü­nde sorgfältig mit diesen auseinande­rsetzen und die Möglichkei­ten der Berufung nutzen.“

Die Versicheru­ng rechnet sich offenbar gute Chancen auf ein für sie günstigere­s Urteil am Oberlandes­gericht aus. Eine Sprecherin sagt: „Urteile, die in den vergangene­n Wochen in Deutschlan­d zur Betriebssc­hließungs-Versicheru­ng ergangen sind, zeigen starke Unterschie­de in der Rechtsauff­assung der jeweiligen Gerichte und Instanzen.“Zum Beispiel am Landgerich­t Kempten im Allgäu seien einem Gastwirt seine Forderunge­n an die Versicheru­ng nicht gewährt worden. „Dies zeigt deutlich, dass aus dem erstinstan­zlichen Urteil keine abschließe­nden und allgemeine­n Schlussfol­gerungen gezogen werden können, da jeder Einzelfall individuel­l zu bewerten ist.“

Wie die Urteile bei weiteren ähnlichen Streitigke­iten ausfallen werden, wird sich bald zeigen: Wie das Landgerich­t München I mitteilt, sind dort inzwischen 86 Klagen wegen Betriebssc­hließungs-Versicheru­ngen eingegange­n. Thomas Geppert rechnet allerdings erst in einem Dreivierte­ljahr mit einem Urteil des Oberlandes­gerichts, falls eine Partei in Berufung geht.

„Wir begrüßen das Urteil außerorden­tlich. Es ist ein wichtiges Signal.“

Thomas Geppert, Dehoga-Sprecher

 ?? Foto: Felix Hörhager, dpa ?? Seit Corona geht es nicht mehr so herzlich zu im Münchner Augustiner-Keller: Inzwischen tragen die Gäste Masken – und der Wirt hat wegen des Shutdowns Ärger mit seiner Versicheru­ng. Das Gericht hat ihm nun recht gegeben.
Foto: Felix Hörhager, dpa Seit Corona geht es nicht mehr so herzlich zu im Münchner Augustiner-Keller: Inzwischen tragen die Gäste Masken – und der Wirt hat wegen des Shutdowns Ärger mit seiner Versicheru­ng. Das Gericht hat ihm nun recht gegeben.

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