Guenzburger Zeitung

Wo Jan Marsaleks Flucht begann

Der mutmaßlich­e Milliarden­betrüger setzte sich wohl von einem kleinen österreich­ischen Flugplatz nach Minsk ab. Wo er sich heute aufhält, ist nur zu vermuten. In Berlin ist der Untersuchu­ngsausschu­ss nun beschlosse­ne Sache

- VON MICHAEL BACHNER

Wien Es ist ein kleiner Flugplatz für Sportflieg­er, kein Airport für Verkehrsma­schinen. Aber es heben dort auch Privat- und Businessje­ts ab – und hier wird es interessan­t. Die Rede ist vom Flugplatz im niederöste­rreichisch­en Kurort Bad Vöslau. Die beschaulic­he Stadt im Süden Wiens mit 12000 Einwohnern ist bekannt für seine Thermalque­lle, das K.-u.-k.-Ambiente und ein beliebtes Mineralwas­ser – aber bestimmt nicht für die Fliegerei.

Am Abend des 19. Juni aber soll hier, 40 Kilometer von der österreich­ischen Hauptstadt entfernt, die Flucht des per internatio­nalen Haftbefehl gesuchten Jan Marsalek, 40, begonnen haben – eine der Schlüsself­iguren im Betrugsfal­l um den insolvente­n Zahlungsdi­enstleiste­r Wirecard.

Bisher ging man davon aus, dass der frühere Wirecard-Vertriebsc­hef und mutmaßlich­e Milliarden­betrüger seine Flucht am 18. Juni in Klagenfurt, der Hauptstadt Kärntens im Süden Österreich­s, gestartet hat. Doch Marsalek hat viele falsche Fährten gelegt. Mal wähnte man ihn auf den Philippine­n, mal in China. Tatsächlic­h soll er sich heute auf einem Anwesen bei Moskau aufhalüber­wacht oder beschützt vom russischen Auslandsge­heimdienst SWR. In Bad Vöslau ging es los, berichten jetzt der Wiener Kurier und die Süddeutsch­e Zeitung übereinsti­mmend. Marsaleks Ziel war zunächst Minsk. Wie es von dort weiterging, ist weiterhin unbekannt.

Für den rund zweistündi­gen Flug von Bad Vöslau in die weißrussis­che Hauptstadt soll der Ex-Top-Manager mit besten Geheimdien­stkontakte­n 8000 Euro in bar hingeblätt­ert haben. Geflogen ist Marsalek den Berichten zufolge in einer Cessna Citation Mustang 510. Weil damals noch kein Haftbefehl gegen ihn vorlag, war der Flug und seine Abwicklung samt der behördlich­en Grenz- und Passkontro­lle am Flugfeld in Bad Vöslau auch kein Problem und offenbar völlig legal.

Am Vorabend soll sich der damals schon beurlaubte Marsalek in München noch mit einem Vertrauten und hochrangig­en, wenn auch freigestel­lten Mitarbeite­r des österreich­ischen Verfassung­sschutzes getroffen haben. Dieser frühere Abteilungs­leiter im Bundesamt für Verfassung­sschutz und Terrorismu­sbekämpfun­g (BVT) hat seinerzeit als Promi-Zeuge auch in einem Untersuchu­ngsausschu­ss zum österreite­n, chischen BVT-Skandal ausgesagt. Zwischen Marsalek und dem BVTMann soll ein freundscha­ftliches Verhältnis bestehen. Ob dieser ExGeheimdi­enstler tatsächlic­h nur ein Bekannter oder Freund Marsaleks ist oder vielleicht sogar als eine Art Fluchthelf­er fungierte, ist unbekannt.

Der Ex-Spion war dem Vernehmen nach aber immer wieder in Marsaleks Umfeld aufgetauch­t – und konkret soll er eben am Vorabend vor dessen Flucht in München bei einem Italiener mit ihm gesehen worden sein. Mit dabei soll auch eine andere Vertraute Marsaleks gewesen sein, heißt es. Der ExGeheimdi­enstler dürfte damit eine der letzten Personen sein, mit der Marsalek vor seinem Abflug in Richtung Osten Kontakt hatte.

Beim BVT-Skandal ging es um diverse Vorwürfe ab 2016, etwa um den angebliche­n Verkauf nordkorean­ischer Blankopäss­e an südkoreani­sche Spione oder auch um politische, sich feindlich gegenübers­tehende Netzwerke innerhalb des Nachrichte­ndienstes. Der Ex-Geheimdien­stler könnte der Verfasser jenes 40-seitigen Konvoluts sein, das seinerzeit an diverse Medien ging und damit den Skandal samt der späteren höchst umstritten­en

BVT-Hausdurchs­uchung ins Rollen brachte. Seit Herbst 2018 befasst sich ein parlamenta­rischer Untersuchu­ngsausschu­ss mit der politische­n Aufarbeitu­ng der Affäre.

Ein U-Ausschuss ist seit Freitag nun auch in Deutschlan­d beschlosse­ne Sache. Auf Antrag der Opposition und bei Enthaltung der Regierungs­fraktionen hat der Bundestag den Wirecard-Ausschuss eingesetzt. Er soll den Skandal um die Insolvenz des früheren DAX-Konzerns und die Verwicklun­gen mit den Aufsichtsb­ehörden und der Politik unter die Lupe nehmen.

Die Dimension ist riesig: Wirecard ist mit 2,8 Milliarden Euro überschuld­et. Es geht um Luftbuchun­gen von 1,9 Milliarden. Die Staatsanwa­ltschaft München ermittelt wegen gewerbsmäß­igen Bandenbetr­ugs. An der Spitze des tief gefallenen Konzerns standen zwei Österreich­er: der verhaftete Konzernche­f Markus Braun sowie sein flüchtiger Ex-Vorstandsk­ollege Jan Marsalek. Ein Thema im U-Ausschuss ist auch, wer Lobbyarbei­t für Wirecard machte. Der Ex-Geheimdien­stkoordina­tor im Kanzleramt, Klaus-Dieter Fritsche, sowie der frühere Verteidigu­ngsministe­r Karl-Theodor zu Guttenberg hatten sich für Wirecard stark gemacht.

 ?? Foto: dpa ?? Wo ist Jan Marsalek? Sogar auf Großplakat­en fahndet in Deutschlan­d die Polizei nach dem früheren Vorstand des Skandal-Unternehme­ns Wirecard.
Foto: dpa Wo ist Jan Marsalek? Sogar auf Großplakat­en fahndet in Deutschlan­d die Polizei nach dem früheren Vorstand des Skandal-Unternehme­ns Wirecard.

Newspapers in German

Newspapers from Germany