Guenzburger Zeitung

„Die große Party ist vorbei“

Die Scorpions lieferten mit „Wind of Change“den Song zum Mauerfall und zur Einheit

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War Ihnen auf Anhieb klar, dass „Wind of Change“solch ein Klassiker wird?

Meine: Nein, überhaupt nicht. Für mich war das Besondere, dass ich nicht, wie sonst bei den Scorpions üblich, nur den Text geschriebe­n habe, während die Musik von Rudolf, unserem Gitarriste­n, kam. Dieses Mal hatte ich den Song auch komponiert. Insofern war das Lied auch mit einigen Fragezeich­en meinerseit­s verbunden, wie die Kollegen wohl darauf reagieren würden. Da es ja eindeutig kein typischer Rock-Song war und dazu noch mit diesem eher ungewöhnli­chen Pfeifen, war ich darauf gefasst, dass die Band sagt: „Der Song ist zwar schön und gut, aber bist du dir sicher, dass auch das Intro so passt?“

Sie haben das Lied, inspiriert durch einen Auftritt beim Moscow Music Peace Festival im September 1989, geschriebe­n.

Meine: Für uns als deutsche Band war das Erlebnis sicherlich emotionale­r als für die ebenfalls dort aufgetrete­nen Kollegen Bon Jovi oder Mötley Crüe. Zumal wir ja 1988 als erste deutsche Band in der Sowjetunio­n, in Leningrad, gespielt hatten. Die Veränderun­g lag einfach in der Luft, und wir waren mittendrin. Wir haben gespürt, dass sich die Welt vor unseren Augen verändert.

Was ist 31 Jahre später noch übrig von der damaligen Aufbruchst­immung? Meine: Die große Party ist vorbei. Viele der damaligen Errungensc­haften sind selbstvers­tändlich geworden. Auf der anderen Seite hat sich die Welt nicht zum Besseren verändert: Der 11. September, der Brexit, die Uneinigkei­t in der EU. Die Zeichen, die damals zum Ende des Kalten Krieges auf Zuschütten der Gräben und Niederreiß­en der Mauern standen, das alles ist ein Stück weit gewichen. In vielen Aspekten arbeiten wir heute wieder gegeneinan­der. Es ist traurig zu sehen, dass sich viele von den Hoffnungsv­isionen aus den Jahren 1989 und 1990 ins Gegenteil verkehren.

Woran denken Sie beim Thema „30 Jahre Deutsche Einheit“?

Meine: Ich sehe die Menschen, wie sie auf der Mauer tanzen. Es muss in Deutschlan­d niemand mehr sterben, nur weil er in Freiheit leben möchte. All das haben die Menschen in der DDR geschafft – es war eine Revolution ohne Blutvergie­ßen. Und ich bin mir sicher: Von Generation zu Generation wird es sich normaler anfühlen, dass wir ein Land sind. Gerade angesichts unserer Geschichte

finde ich es jedoch unglaublic­h, dass es hier Menschen gibt, die mit Nazi-Symbolen in der Hand den Reichstag stürmen wollen. In Belarus riskieren die Menschen gegenüber einem brutalen und skrupellos­en Regime ihr Leben für die Freiheit, und hier gehen die Leute mit Schildern auf die Straße, auf denen steht „Give us free“. Das ist grotesk.

Haben Sie Kontakt nach Belarus? Meine: Zurzeit haben wir keinen direkten Kontakt, aber wir haben dort viele Fans. „Wind of Change“darf in Belarus nicht mal mehr im Radio gespielt werden. Noch im letzten Jahr haben wir in Minsk und auch in der Ukraine gespielt. Wenn man in diesen Ländern Konzerte gibt, merkt man sehr deutlich: „Wind of Change“ist dort besonders stark, wo die Freiheit und die Hoffnung in Gefahr sind. Interview: Steffen Rüth

● Klaus Meine, 72, ist Sänger der deutschen Rockband Scorpions.

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Foto: dpa Klaus Meine schrieb Text und Musik von „Wind of Change“.

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