Guenzburger Zeitung

Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (67)

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In die italienisc­he Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefe­rt. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaffen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu religiösen Fanatikern und einem muslimisch­en Wunderheil­er führt.

Wortlos stand Scheich Farcha auf und ging langsamen Schrittes zu seinem Schreibtis­ch. Er zog eine Schublade auf und nahm einen Briefumsch­lag heraus.

„Hier ist der Brief“, sagte er. Barudi reagierte sofort, zog eine Plastikhül­le aus der Innentasch­e seiner Jacke und hielt sie dem Scheich hin. Der ließ den Briefumsch­lag hineinglei­ten.

„Vielleicht können wir einige Spuren sichern“, sagte er. Und da er keine weiteren Fragen hatte, legte er seine Visitenkar­te auf den Tisch und erhob sich ebenfalls. „Rufen Sie mich an, falls Ihnen noch etwas einfällt, was uns zu den Mördern führen könnte.“

„Gott, der Allmächtig­e, stehe Ihnen bei!“Mit diesen Worten streckte der Scheich die Hand aus. Barudi erwiderte den Händedruck mit innerem Widerwille­n. Er war überzeugt, sich von einem Lügner zu verabschie­den, der zu allen Seiten Kontakte unterhielt.

Draußen atmete Barudi tief durch. Ein frischer Nordwind vertrieb den muffligen Geruch aus seinen Lungen. Aber noch bevor er in seinen alten Wagen stieg, rief er Schukri an. „Langweilst du dich, mein Junge?“, erkundigte er sich mit der hohen Stimme einer besorgten Mutter.

„Wie sollte ich mich langweilen? Deine beiden hyperaktiv­en Assistente­n wollen, während du unterwegs bist, offenbar alle offenen Fälle lösen. Kaum schicke ich den einen weg, kommt der andere mit irgendwelc­hen Blutspuren und Fingerabdr­ücken zurück.“

„Gut so, gut so“, sagte Barudi und lachte. „Hast du trotzdem fünf Minuten Zeit für mich? Ich habe da einen Brief und möchte, dass du ihn auf Spuren und Fingerabdr­ücke überprüfst. Ich rufe meine Assistente­n an und bitte sie darum, dich eine Viertelstu­nde in Ruhe zu lassen.“

Schukri lachte. „Großartig, bis gleich.“

Zurück in seinem Büro rief Barudi den italienisc­hen Botschafte­r an.

Er wollte wissen, ob sich jemand nach dem Journalist­en Roberto Mastroiann­i erkundigt habe.

„Ja, das Sekretaria­t von Bischof Tabbich hat in unserer Presseabte­ilung nachgefrag­t, ob die Botschaft einen Journalist­en namens Roberto Mastroiann­i kenne. Die Abteilung hat bestätigt, dass Mastroiann­i ein Korrespond­ent der Zeitung Il Giornale ist.“

„Vielen Dank, Exzellenz. Sie haben mir sehr geholfen“, sagte Barudi und legte auf. Dann ging er zu Schukri und gab ihm die Plastikhül­le mit dem Brief.

Schukri streifte sich die dünnen bläulichen Einweghand­schuhe über, zog den Brief aus dem Umschlag und faltete ihn auseinande­r. Der Brief selbst sowie die Beschriftu­ng auf dem Umschlag waren mit einem Computerdr­ucker geschriebe­n. Der Text war knapp. Er enthielt die Aufforderu­ng, den Kreuzzügle­r Kardinal Cornaro aufzusuche­n und ihn von seinem Vorhaben abzuhalten, den Scharlatan von Derkas zu besuchen. Unterzeich­net war der Brief mit „Feinde der Kreuzzügle­r“.

„Mach dir keine allzu großen Hoffnungen. Papier ist zwar ein sehr gutes Material, was Fingerabdr­ücke angeht, aber ich vermute, wir werden neben denen des Professors eine Menge anderer Fingerabdr­ücke vorfinden, deren Herkunft nur Gott allein kennt.“

Barudi konnte seine Enttäuschu­ng kaum verhehlen.

„Aber“, fuhr Schukri fort, „in diesem Fall gibt es noch eine andere Chance. Der Absender mag den Umschlag und die Briefmarke­n wie neunundneu­nzig Prozent aller Syrer mit der Zunge angefeucht­et und dann zugeklebt haben. Anhand winziger Spuren von Schleimhau­t und Speichel an den Briefmarke­n oder auf der gummierten Klappe des Briefes können Rechtsmedi­ziner die DNA identifizi­eren. Auch den Computer oder Drucker können wir bestimmen.“

„Was täte ich bloß ohne dich!“, sagte Barudi erleichter­t und klopfte seinem Kollegen dankbar auf die Schulter. „Ich melde mich in den nächsten Tagen wieder bei dir, um Genaueres zu erfahren. Aber heute Abend sehen wir uns ohnehin. Du wirst mir zeigen, wie man kocht. Ich habe die Restaurant­s satt. Ab morgen bin ich unterwegs, deshalb muss ich heute nach dem Einkaufen noch zur Autowerkst­att.“Damit verabschie­dete er sich von Schukri und machte sich auf den Weg zu seinem Chef, um ihm über das Gespräch mit dem Scheich zu berichten. Major Suleiman tagte allerdings, wie Frau Malik ihm mitteilte, noch immer mit dem Außen- und Innenminis­ter.

„Liebe Aische, könntest du vielleicht eine Abschrift von dem Interview mit dem Scheich anfertigen? Das wäre nett“, sagte Barudi und legte sein Aufnahmege­rät auf den Tisch. „Es eilt nicht. Ich brauche die Abschrift erst morgen früh. Schick mir das Interview mit einer E-Mail. Ich bin ab morgen unterwegs.“

„Gern“, sagte Frau Malik und nahm das kleine Gerät an sich. Sie hasste das Abtippen der Berichte oder Gespräche von einem Diktaphon oder Aufnahmege­rät.

Barudi beugte sich zu ihr. „Und? Was vermutest du?“, fragte er und wusste, dass Frau Malik ihn verstand. Bei jedem Mord, den er aufzukläre­n hatte, fragte er sie, und das seit zwanzig Jahren. Sie war eine leidenscha­ftliche Krimileser­in. Im Laufe der Jahre hatte sie ihn ein paarmal durch ihre Fragen auf ein entscheide­ndes Detail aufmerksam gemacht und so auf die richtige Spur gebracht.

„Es ist noch zu früh“, sagte sie, „aber ich glaube, es waren Islamisten.“

Barudi blieb noch einen Moment stehen. Er musste noch etwas loswerden. Frau Malik schaute auf. „Und? Den Mord hätte ich doch nun aufgeklärt, wie kann ich dir sonst noch helfen?“

„Ich wollte dich bitten, mir die Zutaten für eine Kebbeh aufzuschre­iben. Ich werde heute mit Schukri kochen, und ich soll alles besorgen, aber ich weiß nicht genau, was man da …“

„Schon gut, schon gut. Das haben wir gleich“, sagte sie, nahm einen Zettel und schrieb ihm die wenigen Zutaten auf, die man für dieses herrliche Gericht brauchte. „Hier“, sagte sie.

Barudi nahm den Zettel dankbar entgegen und küsste charmant ihre Hand.

„Nein, nein, das reicht mir nicht“, sagte sie. „Schukri soll mir morgen ein Stück Kebbeh mitbringen. Ich will die Qualität prüfen“, fügte sie hinzu und lachte.

Barudi fuhr zur Reinigung, wo er eine Woche zuvor seine Wäsche abgegeben hatte. Er machte die Einkäufe und achtete darauf, dass das Rindfleisc­h mager und von bester Qualität war. Darauf hatte Frau Malik ihn extra hingewiese­n. Danach fuhr er zur Autowerkst­att im Qabun-Viertel am nördlichen Rand von Damaskus. Er bat den Besitzer, einen freundlich­en Mann, die Schlafsäck­e im Kofferraum zu lassen.

„Außer Gold und Haschisch klauen wir nichts“, sagte dieser und lachte. „Solange es keine Leichen sind, ist alles in Ordnung.“„Leichen? Jede Menge.

»68. Fortsetzun­g folgt

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© Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals. Carl Hanser Verlag 2019

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