Guenzburger Zeitung

Der „Herr Angeklagte“schweigt

Ein Prozess mit politscher Sprengkraf­t hat in Berlin begonnen. Es geht um einen Mord in der deutschen Hauptstadt und um Russland. Klar ist noch nicht einmal die Identität des Angeklagte­n

- Jutta Schütz und Andreas Rabenstein, dpa

Berlin Wer ist der Russe auf der Anklageban­k in dem Berliner Prozess um einen mutmaßlich­en Auftragsmo­rd staatliche­r russischer Stellen in der deutschen Hauptstadt? Der Vorsitzend­e Richter Olaf Arnoldi weiß es zum Prozessauf­takt am Mittwoch auch nicht. Ist es Vadim S. oder Vadim K.? Der Richter verkündet, er werde ihn nun mit „Herr Angeklagte­r“anreden, „das ist wenigstens unverfängl­ich“. Doch das Verfahren ist brisant: Unsichtbar sitzt der russische Staat mit auf der Anklageban­k.

Der „Herr Angeklagte“mit weißem Hemd, dunkler Hose und Mund-Nasen-Schutz hat in der Panzerglas­box im Hochsicher­heitssaal des Berliner Kriminalge­richts Platz genommen, wo das Kammergeri­cht wegen der verschärft­en Sicherheit­smaßnahmen tagt. Nur ein paar hundert Meter weiter soll der Russe in dem belebten Park Kleiner Tiergarten am 23. August 2019 einen 40 Jahre alten Georgier aus nächster Nähe mit einer Schalldämp­fer-Pistole erschossen haben. Auf einem Fahrrad habe er sich dem Wehrlosen genähert und dann abgefeuert, erst in den Oberkörper und dann zweimal in den Kopf.

Erst im zweiten Anlauf klappt es in dem altehrwürd­igen Gerichtssa­al nach kurzer Prozess-Unterbrech­ung mit den Mikrofonen und der Übertragun­g auf Kopfhörer, die auch der Angeklagte aufgesetzt hat. Kurz schnellt der mutmaßlich­e Mörder in die Höhe: „Das ist richtig, alles richtig, ich will nicht mehr sagen“, übersetzt der Dolmetsche­r. Zuvor hat Verteidige­r Robert Unger für den Angeklagte­n dessen Personalie­n vorgetrage­n: Vadim S., im August 1970 in Irkutsk geboren, russischer Staatsbürg­er, nicht verheirate­t, von Beruf Bauingenie­ur. „Mehr möchte ich zu meiner Person nicht erklären“, verliest der Anwalt für den Angeklagte­n. Später ergänzt er: „Herr S. wird sich derzeit zur Sache nicht einlassen.“Soll heißen: Der Angeklagte schweigt vorerst.

Die Anklage geht hingegen von einem 55 Jahre alten Vadim K. aus, der mit falschem Namen nach Deutschlan­d kam und den Georgier mit drei Schüssen „liquidiert­e“. Gegenüber dem Angeklagte­n sitzen vier der acht Nebenkläge­r, darunter

Ehefrau des Getöteten, der seit Anfang 2016 als Asylbewerb­er in Deutschlan­d lebte.

Die Bundesanwa­ltschaft hatte als oberste deutsche Anklagebeh­örde den Fall übernommen, weil sie überzeugt ist, dass die tödliche Attacke eine politische Dimension hat. Sollte im Urteil ein Auftragsmo­rd festgestel­lt werden, muss nicht nur der Angeklagte mit lebenslang­er Haftstrafe rechnen. Es wäre auch ein heftiger Rückschlag für das ohnehin schwer angeschlag­ene Verhältnis beider Länder. Bundeskanz­lerin Angela Merkel hat für diesen Fall Konsequenz­en angekündig­t.

„Heimtückis­ch oder aus Habgier oder aus anderen niedrigen Beweggründ­en“sei die Tat gewesen, sagt der Ankläger, Bundesanwa­lt Ronald Georg. Der Georgier habe wegen seiner Gegnerscha­ft zum russischen Zentralsta­at sterben müssen. Er war von russischen Behörden als Terrorist eingestuft worden. „Aus Sicht der russischen Regierung war das Tatopfer ein Staatsfein­d, insbesonde­re deshalb, weil der Getötete im Tschetsche­nien-Krieg gegen Russland gekämpft hatte“, so Georg.

Der mutmaßlich­e Mörder kam laut Anklage mit einem Reisepass russischer Behörden aus Moskau über Paris und Warschau nach Berlin. Eine russische Fahndungsm­itteilung zu dem Angeklagte­n war im Juli 2015 gelöscht worden. Diese Person war von russischen Behörden wegen eines am 19. Juni 2013 in Moskau verübten Mordes gesucht worden.

Der Angeklagte sei zunächst auf dem Rad geflüchtet, das er aber in die Spree warf und zu Fuß weiterlief, so die Anklage. Wenig später wurde er gefasst. Bei seiner Festnahme habe er 3720 Euro in bar dabeigehab­t sowie polnisches Geld.

Zum Motiv der Tat äußert sich Bundesanwa­lt Georg so: Entweder habe der Angeklagte den „Tötungsauf­trag“ausgeführt, um eine finanziell­e Entlohnung zu bekommen, oder weil er das Motiv seiner Auftraggeb­er teilte, einen politische­n Gegner zu beseitigen, um Vergeldie tung für dessen Rolle im zweiten Tschetsche­nien-Krieg und in weiteren bewaffnete­n Auseinande­rsetzungen mit Russland zu üben. Russlands Präsident Wladimir Putin hatte auf einer gemeinsame­n Pressekonf­erenz mit Merkel den Ermordeten einen „Banditen“und „Mörder“genannt.

Die Nebenkläge­r erwarten nun laut einer Erklärung eine umfassende Aufklärung – auch zu möglichen Mittätern, „die es hier in Berlin (aber auch anderswo) gegeben haben muss“. In dem Schreiben der Anwältinne­n im Namen von OpferAngeh­örigen heißt es, die Angst vor Verfolgung durch russische Behörden, weshalb „wir unsere Heimat verlassen haben“, habe sich bewahrheit­et. „Die Ermordung unseres Vaters, Bruders und Ehemanns hat uns zutiefst verängstig­t und verunsiche­rt.“Sie fordern einen Schutzstat­us.

Am Donnerstag sollen die ersten beiden Zeugen befragt werden. Der Prozess ist zunächst bis Ende Januar terminiert.

Angehörige haben Angst vor russischen Behörden

 ?? Foto: Odd Andersen, dpa ?? Polizisten bewachen den Eingang zum Gerichtssa­al im Kriminalge­richt Moabit zu Beginn des Prozesses um den Mord im Kleinen Tiergarten. Angeklagt ist ein 55‰jähriger Russe, der einen Tschetsche­nen mit georgische­r Staatsbürg­erschaft in einer Parkanlage erschossen haben soll. Das Urteil wird auch von der Politik mit Spannung erwartet.
Foto: Odd Andersen, dpa Polizisten bewachen den Eingang zum Gerichtssa­al im Kriminalge­richt Moabit zu Beginn des Prozesses um den Mord im Kleinen Tiergarten. Angeklagt ist ein 55‰jähriger Russe, der einen Tschetsche­nen mit georgische­r Staatsbürg­erschaft in einer Parkanlage erschossen haben soll. Das Urteil wird auch von der Politik mit Spannung erwartet.

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