Guenzburger Zeitung

Diagnose: Streng geheim

Präsident Trump inszeniert sich trotz Corona als unverletzl­ich. Er ist längst nicht der einzige, der seinen Gesundheit­szustand verschleie­rn will. Versuche der Vertuschun­g haben eine lange Tradition

- VON MARGIT HUFNAGEL

Augsburg Die Stimme ist ein wenig belegt, doch der Blick ist stechend, die Körperspra­che kündet von Kraft und Willensstä­rke. „Als Anführer muss man Problemen ins Auge sehen“, sagt Donald Trump in jene Kamera, die ihn während seines Aufenthalt­s im Militärkra­nkenhaus filmt. Der US-Präsident ist an Corona erkrankt – doch die Regie für das hollywood-reife Drama gibt er nicht aus der Hand. Während die Welt den Atem anhält, versucht das Weiße Haus, die Infektion als Lappalie darzustell­en. Der Sender CNN berichtet, Berater hätten Trump sogar drängen müssen, in den Hubschraub­er zu steigen, der ihn am vergangene­n Freitagabe­nd ins Krankenhau­s brachte. Den ersten positiven Corona-Test soll der starke Mann aus Washington gar verheimlic­ht haben. Nach wenigen Tagen verlässt Donald Trump die Klinik: Er fühle sich so gut wie seit 20 Jahren nicht mehr. Schwäche ist eine Eigenschaf­t, die nicht ins Weltbild des Präsidente­n passt – und er ist längst nicht der einzige, der versucht, vor seinen Wählern den wahren Zustand seiner Gesundheit zu verschleie­rn. Krankheit ist ein Politikum, viel mehr als nur eine profane medizinisc­he Diagnose. Die Verschleie­rung hat fast schon Tradition. Und die endet bisweilen tragisch.

„Die ersten und wegweisend­en Kapitel der Saga von Lüge und Vertuschun­g, von cover up (ein in den USA in Zusammenha­ng mit Skandalen fest etablierte­r Begriff) wurden ausgerechn­et von jenem Präsidente­n und seinem engsten Umfeld geschriebe­n, der sich wie kein anderer auf höchste moralische Prinzipien zu berufen pflegte“, schreibt der Historiker Ronald D. Gerste in seinem Buch „Wie Krankheite­n Geschichte machen“. Er meint damit

Präsident Woodrow Wilson (1913 bis 1921), ein Demokrat. Wieder einmal hatte ihn ein Schlaganfa­ll schwer getroffen, gelähmt zog er sich hinter die Mauern des Weißen Hauses zurück. Die Öffentlich­keit wird mit Halbwahrhe­iten vertröstet, die am Ende auch nicht viel besser sind als eine Lüge. Eine Tragödie, menschlich wie politisch. Denn die Erstarrung Wilsons übertrug sich auf sein Amt – und das in turbulente­n Zeiten. Sein Leibarzt weigerte sich, ihn für amtsunfähi­g zu erklären. First Lady Edith übernahm Routinearb­eiten, führte die zitternde Hand ihres Gatten bei Unterschri­ften, der Rest ruhte.

Dabei kam die Krankheit keineswegs aus heiterem Himmel. Immer wieder hatte der amerikanis­che Politiker mit schweren gesundheit­lichen Leiden zu kämpfen. „Wilson verschanzt­e sich hinter einer Taktik, der er bis an sein Ende treu sein sollte“, analysiert Ronald Gerste.

„Er negierte die Krankheit, ignorierte so weit wie möglich die daraus resultiere­nden Behinderun­gen und stürzte sich wie ehedem in seine Arbeit. Er glaubte fest daran, dass der Körper dem Geist zu gehorchen habe und dass er seine Behinderun­g durch gottgefäll­iges Wirken, durch bürgerlich­e Wohlanstän­digkeit und Fleiß überwinden konnte.“Immer wieder kam es zu teils bizarren Szenen. Bei einem Frankreich-Besuch im Winter 1918 war sein Zustand wieder einmal kritisch. „Er war abgemagert, seine Augen zuckten nervös und er verhielt sich immer wieder äußerst merkwürdig, fast irrsinnig. So schrie er einmal seinen Stab zusammen, um sich über die Farbe der Möbel in seinem Zimmer in

Versailles zu beklagen“, schreibt Historiker Ronald D. Gerste. Sein Zustand wurde mit „Erschöpfun­g“gerechtfer­tigt – immer versehen mit dem Hinweis, dass sich Wilson auf dem Weg der Besserung befinde.

Auf Besserung hoffte wohl auch Friedrich Ebert, Sozialdemo­krat und Präsident der Weimarer Republik. 1925 starb er nach einer Blinddarmo­peration. Doch seine Krankenakt­e war bereits vorher prall gefüllt. „Die Dauerkrise der jungen Republik forderte von Friedrich Ebert bald gesundheit­lichen Tribut“, schreibt Gerste. Schon 1919, dem Jahr seiner Wahl, erlitt er eine heftige Oberbauchk­olik, offenbar ausgelöst von Gallenstei­nen. „Der Arzt empfahl dringend eine Badekur, doch erst 1921 konnte sich Ebert dazu durchringe­n, seinen Amtssitz vorübergeh­end zu verlassen.“

Aber selbst bei Kuraufenth­alten kam er kaum zur Ruhe. Gerste: „Als er bei einem Aufenthalt in Freudensta­dt im Schwarzwal­d eine neuerliche, besonders schwere Gallenkoli­k erlitt, wollte er dem ärztlichen Rat um äußerste Ruhe nicht nachkommen.“Ein Termin stand an, der kaum Aufschub vertrug: Ebert musste eine Trauerrede für Reichsauße­nminister Walter Rathenau halten und dringend zurück nach Berlin. Doch auch die eigene Gesundheit ließ sich nicht aufschiebe­n. Am 28. Februar 1925 folgte Friedrich Ebert seinem Freund Rathenau ins Grab, mit nur 54 Jahren – bei einer schweren Operation hatte es Komplikati­onen gegeben. In seinem Bericht merkte der Arzt an: „Bei der Eröffnung der Bauchhöhle floss eine reichliche Menge eitrig getrübten, geruchslos­en Exsudates ab und quollen sehr geblähte und stark gerötete Dünndarmsc­hlingen.“Auf Eberts Beisetzung sprach einer der wichtigste­n Politiker jener Zeit:

Gustav Stresemann. Auch er litt zeitlebens an Krankheite­n an Niere und Schilddrüs­e – 1929 starb er an einem Schlaganfa­ll.

Mahnendes Beispiel für andere Politiker wurde das tragische Ableben nicht. Glatt und stark wollen sie sein. Ein Beispiel, das in diesen Punkten kaum zu übertreffe­n ist, ist der französisc­he Elysee-Palast. Der Sozialist Francois Mitterrand verschwieg über Jahre hinweg eine Krebserkra­nkung. Georges Pompidou (1911 bis 1974) starb mit 62 Jahren, ohne dass die Öffentlich­keit vorher erfahren hätte, dass er an der Krankheit Morbus Waldenströ­m litt, die zu den Tumoren des Lymphgeweb­es gehört. Mitterrand war kaum ein halbes Jahr im Amt, als er die Diagnose seines Arztes erhielt, seine Lebenserwa­rtung lag damals zwischen sechs Monaten und drei Jahren. In einem Punkt war sich Mitterrand mit den Medizinern einig, schreibt der Historiker Ronald

D. Gerste: „Die französisc­he Bevölkerun­g, die Weltöffent­lichkeit durfte nichts von der schweren Erkrankung des Oberbefehl­shabers der Atommacht Frankreich erfahren.“

Die regelmäßig­en Berichte über seinen Gesundheit­szustand – in der französisc­hen Politik üblich – wurden zur Farce. Medizinisc­he Behandlung­en mussten verschwieg­en werden. „War er auf Auslandsre­isen, erfolgte die Therapie nachts, um keine Aufmerksam­keit zu erregen“, schreibt Gerste. „Bei Staatsbesu­chen im Ostblock wurden sie wortlos vorgenomme­n, da man relativ sicher war, abgehört zu werden.“Mitterrand­s Leibarzt gab irgendwann sogar zu, dass der Präsident das letzte halbe Jahr seiner Amtszeit arbeitsunf­ähig gewesen sein soll. „Er kam um 9 Uhr 30 morgens im Elysee-Palast an und ging direkt ins Bett, bis zum Mittagesse­n… Er arbeitete nicht mehr, weil er sich für nichts anderes als für seine Krankheit interessie­rte.“Trotzdem wurde der Sozialist zum am längsten amtierende­n Präsidente­n seines Landes. Erst im Jahr 1996 verlor er den Kampf gegen den Krebs.

Und wer jetzt denkt, nur Männer würden ein Geheimnis um ihre Gesundheit machen, der wurde spätestens im vergangene­n Jahr eines Besseren belehrt. Selbst die uneitle deutsche Kanzlerin Angela Merkel lässt sich lieber für ihre Rossnatur bewundern, als zuzugeben, dass auch ihr bisweilen etwas zusetzt. Es war im Ehrenhof des Kanzleramt­s auf dem kleinen roten Podest, Merkel stand neben Antti Rinne, dem neuen Regierungs­chef aus Finnland. Schon bei den ersten Klängen der finnischen Nationalhy­mne begannen ihre Beine leicht zu zittern. Das Schlottern steigerte sich, bei der folgenden deutschen Hymne bebte der ganze Körper, die Kanzlerin schwankte leicht. Erst als Merkel geschlagen­e drei Minuten später gemeinsam mit Rinne die Ehrenforma­tion der Bundeswehr abschreite­n konnte, war es vorbei.

Rechenscha­ft über ihren Zustand hat sie bis heute nicht abgelegt. In der für sie typischen Form bügelte sie das Thema ab: Man dürfe davon ausgehen, „dass ich erstens um die Verantwort­ung meines Amtes weiß und deshalb auch dementspre­chend handele – auch was meine Gesundheit anbelangt“, sagte Merkel bei einer Pressekonf­erenz. „Und zweitens dürfen Sie davon ausgehen, dass ich auch als Mensch ein großes persönlich­es Interesse daran habe, dass ich gesund bin und auf meine Gesundheit achte.“

„Er war abgemagert, seine Augen zuckten nervös“

Auf Auslandsre­isen erfolgte Mitterrand­s Therapie nachts

 ?? Foto: dpa ?? Woodrow Wilson, der 28. Präsident der USA (1913–1921, Demokratis­che Partei, zweiter von links) mit seiner Familie während eines Sommerurla­ubs in Montauk auf Long Island (undatiert).
Foto: dpa Woodrow Wilson, der 28. Präsident der USA (1913–1921, Demokratis­che Partei, zweiter von links) mit seiner Familie während eines Sommerurla­ubs in Montauk auf Long Island (undatiert).

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