Guenzburger Zeitung

Wie das Krisenjahr die Karriere von Frauen bremst

In den meisten Vorständen sind nur wenige Frauen vertreten. Corona scheint das Problem zu verstärken. Der Frauenante­il in den Vorständen der Dax-Konzerne sinkt und auch sonst gibt es Rückschrit­te. Trotzdem bietet die Pandemie Chancen

- VON VERA KRAFT Von mehr Vielfalt in Unternehme­n profitiere­n nicht nur Frauen, sondern auch die Unternehme­n selbst, stellt Katharina Hefter, Co-Geschäftsf­ührerin der Boston Consulting Group, klar: Zahlreiche Studien belegten, dass gemischte Führungste­ams b

Berlin Männlich, westdeutsc­h, Mitte 50 – wirft man einen Blick in die Vorstände deutscher Börsenunte­rnehmen, ist von Vielfalt wenig zu sehen. Während sonst in der Krise viel Veränderun­g gefragt ist, scheint man bei der Besetzung von Vorstandsp­ositionen lieber auf Altbekannt­es, sprich Männer, zu setzen. Der Frauenante­il in den 30 DAXUnterne­hmen ist in den Vorjahren gestiegen, jetzt sinkt er erstmals wieder. Das zeigt eine Studie der gemeinnütz­igen AllBright-Stiftung, die am Mittwoch veröffentl­icht wurde. Die SPD-Ministerin­nen Christine Lambrecht und Franziska Giffey kritisiere­n diesen Rückgang scharf. Die Entwicklun­g gefährde das Ansehen der deutschen Wirtschaft und die Wettbewerb­sfähigkeit der Unternehme­n, sagte Bundesjust­izminister­in Lambrecht. Während andere Länder auf vielfältig­ere Führungste­ams setzen, gibt es in Deutschlan­d immer noch kein einziges Großuntern­ehmen, das von einer Frau geführt wird oder einen Frauenante­il von 30 Prozent im Vorstand erreicht.

Die Frauen, die es in eine Führungspo­sition geschafft haben, müssen häufig mit zusätzlich­en Hürden kämpfen – und das nicht erst seit der Pandemie. Anfang des Jahres machte der Fall von Delia Lachance Schlagzeil­en: Die Gründerin des Online-Möbelhause­s Westwing musste ihren Posten als Vorstandsm­itglied abgeben, weil sie ein Kind erwartete. Vorstandsm­itglieder haben laut Gesetz keinen Anspruch auf Elternzeit. Die FDP-Abgeordnet­e Katja Hessel und ihre Fraktion nahmen diesen Fall als Anlass, bei der

Bundesregi­erung nachzufrag­en, wie Frauen in Führungspo­sitionen gestärkt werden sollen. Die Antwort fällt knapp aus: Empirisch sei nicht belegt, dass fehlende Regelungen zu Mutterschu­tz und Elternzeit praktische Hinderniss­e für Frauen in Vorständen seien, heißt es.

Als Fränzi Kühne das hört, schüttelt sie den Kopf und schlägt die Hände vor dem Gesicht zusammen. Die 37-Jährige hat 2008 das Digitalunt­ernehmen TLGG mitgegründ­et und war jüngste Aufsichtsr­ätin Deutschlan­ds. Im Januar zog sie sich aus dem Unternehme­n zurück, um mehr Zeit für ihre Familie zu haben. Die Argumentat­ion der Bundesregi­erung findet sie absurd: „Gerade in der Krise standen Frauen an der vordersten Front, auch in den Sozialberu­fen, aber es wird einfach nicht ausreichen­d honoriert“, sagt die Unternehme­nsgründeri­n. Diese fehlende Wertschätz­ung setze sich fort – bis in die Führungset­agen. „Deswegen ist es einfach nur logisch, dass gehandelt werden muss und Gesetze verabschie­det werden müssen“, findet Kühne. Auch Bundesjust­izminister­in Lambrecht ist sich sicher: Freiwillig­e Lösungen allein reichen nicht.

FDP-Abgeordnet­e Hessel, die die Anfrage gestellt hat, zeigt sich ebenfalls empört: Wenn der Bundesregi­erung keine anderen Fälle bekannt seien, in denen die aktuelle Gesetzesla­ge Probleme für Frauen verursacht hätte, spreche das für Ignoranz oder mindestens Desinteres­se. Die Staatsmini­sterin für Digitalisi­erung, Dorothee Bär, betont, es müsse auch auf Vorstandse­bene die Möglichkei­t geben, sein Amt ruhen zu lassen, um sich um ein Kind oder die Pflege Angehörige­r kümmern zu können. den fast immer gleichen Merkmalen. Wer diese nicht erfüllt, fällt leicht durch das Raster, und das gilt nicht nur für Frauen, sondern beispielsw­eise auch für Menschen mit anderer Hautfarbe oder Ostdeutsch­e.

Als es im Frühjahr Ausgangsbe­schränkung­en gab und immer mehr Firmen ihre Mitarbeite­r von zu Hause arbeiten ließen, verstärkte sich ein weiteres Problem: Hausarbeit und Kinderbetr­euung blieben überwiegen­d an den Frauen hängen. Schnell war von einem Rückfall in alte Rollenmust­er die Rede. Henrike von Platen, die das Fair Pay Innovation Lab gründete und Unternehme­n zum Thema Lohngerech­tigkeit berät, ist sich sicher: „Wir sind nicht innerhalb kürzester Zeit in die 1950er Jahre zurückkata­pultiert worden – in Wahrheit sind wir da nie rausgekomm­en.“Die „Ära der grauen Herren in grauen Anzügen“und die Zeit des alten Hierarchie­denkens seien zwar vorbei, sagt von Platen. Doch für eine wirklich gerechte Arbeitswel­t müssten auch Strukturen wie das Ehegattens­plitting abgeschaff­t werden, es bräuchte faire Bezahlung für alle und mehr Männer, die in Elternzeit gehen.

Monika Schnitzer gehört zu den „Fünf Wirtschaft­sweisen“, die die gesamtwirt­schaftlich­e Lage analysiere­n und anschließe­nd der Bundesregi­erung wirtschaft­spolitisch­e Maßnahmen empfehlen. Sie sieht die Gründe, warum Frauen in der Krise beruflich zurückstec­ken, auch im Privaten: Gerade wenn Frauen weniger verdienen als ihr Partner oder wegen der Kinderbetr­euung womöglich schon in Teilzeit arbeiten, müssten häufig sie zu Hause bleiben, sagt Schnitzer. Wie Paare sich die Sorgearbei­t aufteilen, spiele daher eine große Rolle. Wolle man keine weiteren Nachteile für Frauen, müsse man laut der Wirtschaft­swissensch­aftlerin alles versuchen, um weitere Kita- und Schulschli­eßungen zu vermeiden. Auch die Frauenquot­e sei ein wichtiger Schritt: „Erst die praktische Erfahrung mit Frauen zeigt den männlichen Führungskr­äften, dass Frauen ihre Arbeit genauso gut machen wie Männer “, sagt Schnitzer.

Einen Vorteil scheint die Krise aber immerhin mit sich zu bringen: Viele Unternehme­n und Mitarbeite­r haben die Angst vor digitalen Technologi­en verloren. Und das ermöglicht mehr Flexibilit­ät, sind sich die Experten einig. „In den letzten Monaten haben viele Unternehme­n unfreiwill­ig erlebt, wie produktiv Beschäftig­te außerhalb ihrer Büros und oft sogar bei reduzierte­r Arbeitszei­t arbeiten können“, sagt Unternehme­rin von Platen.

Co-Geschäftsf­ührerin Katharina Hefter sieht in der Digitalisi­erung ebenfalls den Schlüssel, um die Herausford­erung namens „Kind und Karriere“zu meistern. Nur wer sich dieser Innovation nicht versperre und schnell genug sei, werde in der Krise gewinnen, ist sich auch Digital-Expertin Fränzi Kühne sicher. Gleiches gilt für Neuerungen hin zu mehr Vielfalt in Unternehme­n und Führungspo­sitionen. „Und das ist keine reine Frauensach­e“, sagt Kühne. „Auch Männer müssen Vorbilder sein und mit in die Verantwort­ung gehen.“

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Foto: Anke Thomass, Adobe Stock In der Krise bleibt die Gleichbere­chtigung häufig auf der Strecke.
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