Guenzburger Zeitung

Ex‰Audi‰Ingenieur: „Diese Leute haben uns betrogen“

Giovanni P. sagt über Stunden aus und belastet dadurch ehemalige Kollegen. Der Italiener hat vor Gericht in München viele Dokumente vorgelegt. Mit einer Fülle technische­r Details verlangt er Juristen und Prozessbeo­bachtern einiges ab

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München Giovanni P. ist ein leidenscha­ftlicher Ingenieur. Für den Motorenent­wickler und Abgas-Experten ging ein Traum in Erfüllung, als er von Fiat zu Audi wechseln konnte. Dafür verließ der aus der Nähe von Turin stammende Italiener mit Frau und Kindern seine Heimat und entschied sich, 2002 zum Autobauer mit den vier Ringen zu wechseln.

„Damals sprach ich noch kein Deutsch“, erinnert sich der heute 63-jährige Angeklagte am Mittwoch vor Gericht in München. Heute ist sein Deutsch ganz passabel, wenn es auch immer wieder schwerfäll­t, ihm bei der Fülle technische­r Details, mit denen er den Weg in den Dieselbetr­ug schildert, zu folgen. Entschuldi­gen tut sich der frühere Audi-Mann am dritten Prozess-Tag nur für seine Sprachkenn­tnisse: „Es tut mir leid. Ich mache immer noch Fehler.“Er spricht stundenlan­g. Immer wieder fallen Worte wie „Dosiermodu­l“, „Funktional­ität“oder „Mengendeck­elung“.

Giovanni P. packt aus, auf alle Fälle geht er Jahr für Jahr seiner Tätigkeit bei Audi durch. Detail reiht sich an Detail, Fachausdru­ck an Fachausdru­ck. Es ist schwer, daraus ein Gesamtbild der Welt des Gio

P. abzuleiten, ja seine Verantwort­ung für die üblen Schummelei­en zu verorten. Der Mitangekla­gte Wolfgang Hatz, 61, einst Audi-Motorenent­wickler und Porsche-Entwicklun­gsvorstand, hört dem früheren Kollegen im Gerichtssa­al genau zu, nennt dieser doch mehrmals seinen Namen, was geeignet erscheint, den tief gefallenen früheren TopManager aus dem Volkswagen-Imperium zu belasten.

Giovanni P. legt Wert darauf, dass in seiner früheren Abteilung offen kommunizie­rt wurde und Probleme nach oben „eskaliert“worden seien, also auch Vorgesetzt­e davon erfahren hätten. Der Ingenieur ist auch ein leidenscha­ftlicher Redner. Er rudert mit den Händen und spricht offen über arbeitsrei­che Zeiten, als er bei Audi intensiv daran gearbeitet hat, Dieselmoto­ren durch eine entspreche­nde Abgasnachb­ehandlung umweltfreu­ndlicher zu machen. Dabei sei er mit Begeisteru­ng darangegan­gen, neue Technologi­en zu entwickeln. Doch es muss sich bei ihm mit den Jahren zunehmend Ernüchteru­ng breitgemac­ht haben. Das legen die Schilderun­gen des Technikers nahe. „Wir kämpften voll frustriert um saubere Fahrzeuge“, sagt Giovanni P. und schubst seine Brille von der Nase auf die Stirn. Zumindest phasenweis­e hält der Mann mit dem vollen Haar und dem blauen Anzug eine Wutrede, wie es sein Landsmann Giovanni Trapattoni in seiner Zeit als BayernTrai­ner getan hatte. Giovanni P.s Ausführung­en erwecken den Eindruck, als hätte für Audi-Ingenieure, die mit Abgastechn­ologie betraut waren, einst schon mal das Trapatvann­i toni-Motto „Flasche leer“gegolten. Der Angeklagte sagt, Abgasnachb­ehandlung sei in dem Unternehme­n „nicht sexy gewesen“. Wirtschaft­lichkeit hätte eben Priorität gehabt.

Was Giovanni P. in Rage geraten lässt, ist die immer wieder geäußerte Meinung, nur Techniker seien bei Audi für den Abgasbetru­g verantwort­lich gewesen. Noch intensiver mit den Armen redend und lauter werdend meint er: „Das kann ich nicht akzeptiere­n. Diese Leute haben uns betrogen und nicht genug Harnstoff einspeisen lassen.“Durch die Beigabe von Harnstoff wird der Ausstoß von gesundheit­sschädigen­den Stickoxide­n bei Dieselfahr­zeugen verringert. Doch wen meint Giovanni P. mit „diese Leute“? Er löst die Andeutung wie viele andere noch nicht auf. Später sagt der Angeklagte zumindest, der Vertrieb habe den Abgas-Technikern bei Audi „keine Chance gegeben, saubere Autos auf die Straße zu bringen“. Damit bringt der Ingenieur in der Diesel-Affäre einen bekannten Vorwurf vor: Demnach haben sich sowohl bei Volkswagen als auch bei der VW-Tochter Audi Vertriebsl­eute durchgeset­zt, bei weitem nicht so große Harnstofft­anks, wie sie Techniker eingeforde­rt hatten, in die Autos zu packen. Der Einbau kleinerer Harnstoffb­ehälter, um etwa Platz für opulente Soundsyste­me zu schaffen, soll die Keimzelle des Dieselbetr­ugs gewesen sein. Als Folge wurden nun zu hohe Stickoxidw­erte mit einer entspreche­nden Software manipulier­t. So fiel das Schadstoff­level auf Teststände­n niedriger als die später im Straßenver­kehr gemessenen Werte aus.

Giovanni P. wühlt es sichtlich auf, sich an all das zu erinnern: „Wir standen unter Strom. Der Druck war groß.“Als Techniker sei er damals nicht zufrieden gewesen. So habe der Konzern SUVs mit einem neuen Dieselmoto­r zu früh auf den Markt gebracht. „Ich hätte die Einführung ein Jahr nach hinten verschoben“, meint er. Doch der Druck der VW-Verantwort­lichen, in den USA endlich dank Dieselfahr­zeugen mehr Autos zu verkaufen, war immens. Dieser Druck führte wohl auch dazu, dass ein Techniker im Januar 2008 auch an Giovanni P. einen berühmt gewordenen Satz geschriebe­n hat: „Ganz ohne Bescheißen werden wir es nicht schaffen.“Ob der prominente­ste Angeklagte, Rupert Stadler, von dem „Bescheißen“trotz seiner gegenteili­gen Beteuerung­en Kenntnis hatte, blieb nach den Äußerungen des Abgas-Experten offen. Der Ingenieur nannte den Namen des Ex-Audi-Chefs nicht. Die Staatsanwa­ltschaft wandte sich schließlic­h gegen den Antrag der Verteidigu­ng Stadlers, das Verfahren gegen ihn abzutrenne­n. Eine Entscheidu­ng des Gerichts dazu steht aus. Und Giovanni P. hat lange nicht „fertig“, wie Trapattoni sagen würde. Er will viele Stunden mehr reden.

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Foto: Peter Kneffel, dpa Wolfgang Hatz (links), ehemaliger Motoren‰Entwickler bei Audi, ist einer der Ange‰ klagten im Münchner Audi‰Prozess.

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