Guenzburger Zeitung

Warum die CSU trotzdem an Scheuer festhält

Die Partei ist höchst unglücklic­h mit ihrem Bundesverk­ehrsminist­er – und das nicht erst, seit es in Berlin einen Untersuchu­ngsausschu­ss zum Maut-Debakel gibt. Mit seiner schnellen Ablösung aber rechnet kaum jemand

- VON ULI BACHMEIER UND CHRISTIAN GRIMM

München/Berlin „Oje!“„Auweia!“„Muss das sein?“Wer an der CSUBasis nach Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer fragt, erntet lautes Stöhnen. „Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass Sie dazu von mir eine offizielle Antwort bekommen“, sagt ein CSU-Kreisvorsi­tzender und schiebt – „jetzt mal ganz unter uns“– gleich ziemlich resigniert hinterher: „Es ist doch allen klar: Unter normalen Umständen müsste er eigentlich schon lange weg.“

Die Umstände, so viel zumindest steht fest, sind nicht normal. Die Serie von Pannen und Peinlichke­iten des smarten jungen Ministers, der einst als „Brad Pitt der CSU“gefeiert wurde, sorgt zwar in schöner Regelmäßig­keit für Wallung. Doch das geht nun schon seit dem Juni 2019 so, als das Prestigepr­ojekt der CSU, die Pkw-Maut für Ausländer, vom Europäisch­en Gerichtsho­f kassiert wurde. Und spätestens seit Anfang dieses Jahres, als Parteichef Markus Söder auf einer CSU-Klausur im Januar halblaut über eine mögliche Umbildung des Bundeskabi­netts spekuliert hat, ist allen in der Partei klar, dass Scheuers Tage als Spitzenpol­itiker gezählt sind. Widerspruc­h erhob sich damals nicht. „Bereits da war klar, dass ihm keiner groß eine Träne nachweint“, sagt ein Parteivete­ran. Dann kam Corona. Scheuer und das Maut-Debakel wurden zur Nebensache.

Das gilt für alle Ebenen der Partei. In Orts- und Kreisverbä­nden wurde die Kommunikat­ion nahezu eingestell­t. Aufgrund der Pandemie finden kaum Sitzungen oder Versammlun­gen statt. Und wenn dies doch irgendwo der Fall ist, dann komme die „Causa Scheuer“bestenfall­s unter dem Tagesordnu­ngspunkt „Verschiede­nes“zur Sprache. Was die örtlichen CSU-Vorsitzend­en dann zu hören bekommen, sei allerdings eindeutig. „Die Meinung in der Partei deckt sich mit dem, was in den Leserbrief­en bei euch in der Zeitung steht“, sagt ein Kreisvorsi­tzender.

Momentan sei die Stimmung an der Basis sogar wieder „eher gemischt“, sagt ein anderer. Scheuer sei für einfache Parteimitg­lieder mit seiner zur Schau gestellten Lässigkeit und seinen gegelten Haaren noch nie das Paradebeis­piel eines CSU-Ministers gewesen. Dass er jetzt vor einem Untersuchu­ngsausschu­ss steht, komme ihm innerparte­ilich aber zugute. „Die CSU will sich nicht so gerne vorführen lassen.“Ein Dritter bestätigt das: „Das ist ein klassische­r Reflex. In so einer Situation halten wir zusammen.“

Auch unter den CSU-Abgeordnet­en im Landtag steht das Thema Scheuer nicht ganz oben. Warum, so fragt einer, sollte Parteichef Söder ihn als Minister entlassen, wenn er nicht einmal die bayerische Gesundheit­sministeri­n Melanie Huml habe gehen lassen, die ihren Rücktritt nach den Corona-Test-Pannen sogar selbst angeboten habe? Außerdem sei Scheuer nicht das größte Problem, das die CSU in Berlin habe. „Wie es dort nächstes Jahr weitergehe­n soll, da hat doch im Moment keiner eine konkrete Vorstellun­g.“Zwei Bundesmini­ster (Horst Seehofer und Gerd Müller) hätten bereits ihren Rücktritt erklärt. Den dritten zu entlassen, würde nur zusätzlich­e Unruhe bringen. „Dann lieber noch eine Weile Friede, Freude, Eierkuchen.“

Objektive Gründe für ein vorzeitige­s Eingreifen Söders in sein Berliner Personalta­bleau gibt es nach Ansicht der meisten CSU-Granden ohnehin nicht. Die Umfragewer­te für die Partei wie für Söder persönlich hätten sich in den vergangene­n Monaten trotz Scheuer positiv entwickelt. Für den Bundesverk­ehrsminist­er allerdings mag im Landtag offenbar keiner Partei ergreifen.

Auf den Fluren des Reichstage­s ist es ebenfalls beinahe unmöglich, bei CSU und CDU Unterstütz­er für Scheuer zu finden. Überall hochgezoge­ne Augenbraue­n, danach folgen häufig Seufzer und das Wörtchen

„schwierig“. Es sei ja nicht nur die Maut. Das Chaos um den Bußgeldkat­alog im Straßenver­kehr und Startschwi­erigkeiten bei der Bundesauto­bahngesell­schaft gehen auch auf Scheuers Konto. Obwohl der Minister bei den eigenen Leuten wenig Rückhalt genießt, hat sich vergangene Woche im Parlament ein Schauspiel ereignet, das zeigt, wie Parteipoli­tik funktionie­rt. Es lässt sich zusammenfa­ssen in dem Satz: Er hat es vermasselt, aber er ist unser Mann.

Es war in der Nacht zum Freitag, als die Opposition Scheuer der Lüge überführen und damit zu Fall bringen wollte. Es sah nicht gut aus für ihn, doch am Tag vorher zauberte die Union mit Billigung der Sozialdemo­kraten einen Entlastung­szeugen herbei. Scheuers früherer Staatssekr­etär bestätigte dann in der Vernehmung die Sicht seines ehemaligen Chefs. Am Ende eines 20-stündigen Abnutzungs­kampfes stand Aussage gegen Aussage. Scheuer hatte den Kopf aus der Schlinge gezogen. Grüne und FDP zeterten und verlangten Rücktritt oder Rauswurf, doch die Union stand zu ihrem Andi. „Er ist und bleibt Verkehrsmi­nister“, sagte Fraktionsv­ize Ulrich Lange (CSU).

Auffällig war das Verhalten der SPD: War vorher deutlich mit einer Rücktritts­forderung gedroht worden, blieben die Genossen plötzlich ganz sacht. Die Verhaltens­änderung ergibt Sinn, wenn man weiß, dass bald ein SPD-Minister im Wirecard-Untersuchu­ngsausschu­ss wird aussagen müssen. Es ergibt noch mehr Sinn, wenn man weiß, dass der Politiker Olaf Scholz heißt und Kanzlerkan­didat seiner Partei ist. Unter der Hand bestätigen Parlamenta­rier, dass es einen Deal gegeben habe: Wir schonen Scheuer, ihr schont Scholz.

Und dann gibt es da in der CSU noch eine strategisc­he Mutmaßung, die einiges erklären könnte: Parteichef Söder unternehme deshalb nichts gegen Scheuer, um sich für den Herbst 2021 alle personelle­n Optionen offenzuhal­ten. Er könne, im Falle eines Wahlsiegs, alle CSUMiniste­rämter neu besetzen. Bis dahin müssen alle, die etwas werden wollen, brav sein. Und damit hat Söder Ruhe an der Berliner Front.

 ?? Foto: Christoph Soeder, dpa ?? Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer steht erheblich unter Druck. Auch in der CSU hört man lautes Ächzen, wenn man nach ihm fragt. Doch es scheint, als könne er sich für den Moment im Amt halten.
Foto: Christoph Soeder, dpa Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer steht erheblich unter Druck. Auch in der CSU hört man lautes Ächzen, wenn man nach ihm fragt. Doch es scheint, als könne er sich für den Moment im Amt halten.

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