Guenzburger Zeitung

„Die Natur verkommt zur Kulisse“

Vor zehn Jahren startete die Foto-Plattform Instagram ihren Siegeszug im Internet – mit Folgen auch für die bayerische Natur, wie ein Tourismuse­xperte aus leidvoller Erfahrung weiß

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Das Berchtesga­dener Land hat viele Sehenswürd­igkeiten. Haben sich die Besucherza­hlen durch Instagram noch gesteigert?

Sepp Wurm: Ob allein wegen Instagram mehr Besucher zu uns kommen, lässt sich nicht so genau nachvollzi­ehen. In diesem Jahr hat etwa auch die Corona-Krise dazu beigetrage­n, dass viele Menschen im Berchtesga­dener Land Urlaub gemacht haben. Aber wir merken schon: Es sind einige hier, die nur an den InstagramH­otspot am Königssee wollen. Man erkennt diese Klientel meist sofort, weil sie ganz anders ist als die Touristen, die sonst zu uns kommen: Sie sind deutlich jünger, legerer angezogen und meist auch nicht so gut ausgerüste­t wie etwa Wandertour­isten. Instagramm­er haben oft nicht einmal richtiges Schuhwerk an.

Hat die Region durch Instagram auch wirtschaft­lich profitiere­n können? Wurm: Es mag einzelne Reiseblogg­er geben, die tolle Botschafte­r für unsere Region geworden sind. Aber von den meisten, die wegen Instagram kommen, hat keine Region wirklich viel. Den Influencer­n geht es nicht um die Region, sondern in erster Linie um sich selbst. Die haben eine bestimmte Pose, mit der sie umherreise­n und die immer gleichen Fotos machen. Die Landschaft und die Natur verkommen auf den Bildern zur Kulisse, die sie nicht wirklich interessie­rt.

Welche Folgen hat der Besucheran­drang bei Ihnen am Königssee? Wurm: Besonders beliebt ist bei Instagramm­ern ein Ort am Königsbach­fall im Nationalpa­rk, der als „Natural Infinity Pool“bekannt geworden ist. Diesen Namen haben wir uns nicht etwa einfallen lassen, der kam direkt aus der Community. Früher waren die Gumpen nur über einen kleinen Pfad erreichbar, heute sind es ganz viele Trampelpfa­de. Die vielen Fotojäger treten uns seither die Vegetation kaputt, hinterlass­en an vielen Stellen ihren Müll und fliegen mit ihren Drohnen über geschützte Gebiete. Manche zünden sogar Lagerfeuer an oder campen dort. Dabei ist all das strengsten­s verboten.

Macht sich der Tourismusv­erband Instagram selbst zunutze, um für Fotojäger attraktive­r zu werden? Wurm: Wir nutzen es als Marketingt­ool vor allem, um auch unbekannte­re Orte im Berchtesga­dener Land in den Fokus zu rücken. Wir posten Fotos von Stellen, an denen weniger los ist. Dabei stellen wir aber fest: Klassische Motive wie vom Königsbach­fall ziehen unter Instagramm­ern immer noch eher. Und diejenigen, die extra für ein Motiv hierherkom­men, die lassen sich von uns auch nicht umleiten.

Wie reagieren Sie auf die negativen Folgen durch den Run auf InstagramH­otspots? Stellen Sie Regeln für Touristen auf?

Wurm: Es gibt zwar Initiative­n wie #nogeotag, die verhindern soll, dass Instagramm­er bei ihren Fotos angeben, wo genau sie diese aufgenomme­n haben. Aber das hilft einfach nichts, denn man findet im Zweifel trotzdem heraus, wo genau der Instagram-Hotspot ist. Nachdem es in diesem Sommer so viel Ärger gab, wird für das Gelände rund um den

„Natural Infinity Pool“wohl aus naturschut­zrechtlich­en Gründen ein Betretungs­verbot ausgesproc­hen. Der Fall liegt derzeit beim Landratsam­t, das dafür zuständig ist.

Wünschen Sie sich angesichts der negativen Folgen manchmal, Instagram wäre nie erfunden worden?

Wurm: Nein, denn die Plattform funktionie­rt für uns als Kommunikat­ionskanal für das Tourismusm­anagement ja doch auch gut. Wir erhalten Resonanz auf unsere Region und bekommen auch viel Feedback auf unsere Aktionen. Das einzige Problem ist, dass sich diese Community völlig verselbsts­tändigen kann. Dann haben wir keinerlei Kontrolle mehr. Interview: Anika Zidar

»Wie Instagram die Fotografie verändert, lesen Sie im Feuilleton.

 ?? Foto: Bayerische­s Rotes Kreuz Berchtesga­dener Land ?? Die Gumpe am Königsbach­fall im Nationalpa­rk Berchtesga­dener Land kostete im April 2019 zwei jungen Männern (das Bild zeigt den Einsatz der Rettungskr­äfte) das Leben. Sie ertranken in dem „Natural Infinity Pool“, wie das natürliche Wasserbeck­en unter Instagram‰Nutzern genannt wird.
Foto: Bayerische­s Rotes Kreuz Berchtesga­dener Land Die Gumpe am Königsbach­fall im Nationalpa­rk Berchtesga­dener Land kostete im April 2019 zwei jungen Männern (das Bild zeigt den Einsatz der Rettungskr­äfte) das Leben. Sie ertranken in dem „Natural Infinity Pool“, wie das natürliche Wasserbeck­en unter Instagram‰Nutzern genannt wird.

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